Geht nicht, gibt’s nicht

Was haben die Zinsen und der Ölpreis gemeinsam? Richtig, beide können negativ werden – und das, obwohl ein negatives Preisschild bei beiden Größen lange als ausgeschlossen galt. Ein Kommentar von Felix Herrmann, Kapitalmarktstratege bei BlackRock.
28. April 2020
Herrmann Felix

Was haben die Zinsen und der Ölpreis gemeinsam? Richtig, beide können negativ werden – und das, obwohl ein negatives Preisschild bei beiden Größen lange als ausgeschlossen galt. Ein Kommentar von Felix Herrmann, Kapitalmarktstratege bei BlackRock.

Rohstoffhändler rund um den Globus rieben sich in der vergangenen Woche erstaunt die Augen, als der Preis für Öl der Sorte West Texas Intermediate (WTI) zwischenzeitlich auf etwa ‑40 US-Dollar pro Fass fiel. Während harte Wirtschaftsdaten, die den Corona-Schock bereits abbilden, bis dato noch Mangelware sind, offenbart der Verfall des Ölpreises bereits jetzt wie durch ein Brennglas, wie stark die Weltwirtschaft und vor allem der Welthandel durch das Coronavirus in Mitleidenschaft geraten sind.

Der enorme Nachfrageeinbruch beim Öl auf das niedrigste Niveau seit 1968 und die jüngste, relativ halbherzige Angebotsreduzierung der Förderländer hat zuletzt zu einem dramatischen Engpass bei den Lagerkapazitäten geführt. Bei Öl der Sorte WTI ist dieser Engpass besonders eklatant, da WTI-Öl im Gegensatz zu Öl der Sorte Brent nur schwerlich auf Schiffen notfallmäßig zwischengelagert werden kann, da es in Regionen gefördert wird, die schlicht keinen direkten Zugang zu den Weltmeeren haben. Zusätzlich zu diesem Kapazitätsengpass sorgte eine technische Besonderheit des Marktes für Öl-Future-Kontrakte für den Absturz unter die Nulllinie: Aus Sorge vor einer unerwünschten Lieferung des Öls bei Fälligkeit des Mai-Kontraktes setzte letzte Woche starker Verkaufsdruck bei eben diesem Kontrakt ein. Investoren „rollten“ ihre Kontrakte in solche mit längerer Laufzeit. In normalen Zeiten ist das ein Routinevorgang. Da aber derzeit so gut wie nichts normal ist, war der Verkaufsdruck beim Mai-Kontrakt derart groß, dass sich zwischenzeitlich eine Preisdifferenz von 60 US-Dollar zwischen dem Mai- und dem Juni-Kontrakt auftat. Letzterer handelte Mitte letzter Woche bei rund 20 US-Dollar – plus wohlgemerkt. Mit anderen Worten: Jeder, der über ausreichend Lagerkapazitäten verfügt, hätte 40 US-Dollar für die Lagerung des Öls vereinnahmen und es dann im Juni für rund 20 US-Dollar verkaufen können.

Der Preisrückgang des Öls dürfte zur Folge haben, dass viele Produzenten ein für alle Mal vom Markt verschwinden werden. Was einerseits Hoffnung auf eine Stabilisierung beim Ölpreis macht, schürt insbesondere in den USA Sorgen vor Ansteckungseffekten. Sollten nämlich US-Ölförderfirmen gleich reihenweise Insolvenz anmelden müssen, entstünde zwischen San Francisco und New York ein nicht zu unterschätzender Druck in vielen Bankbilanzen. Die Sorge, dass aus einer Gesundheits- und Wirtschaftskrise eine erneute globale Finanzkrise erwächst, geistert entsprechend umher. Um jedoch eine erneute Finanzkrise oder aber auch eine erneute Staatsschuldenkrise in Italien zu verhindern, stemmen sich Zentralbanken und Regierungen weiter mit aller Kraft gegen die negativen Auswirkungen des Virus. Den Beschluss der EU-Kommission, weitere 500 Milliarden Euro an Hilfen bereit zu stellen, nimmt man angesichts der gewaltigen Summen, mit denen in diesen Tagen hantiert wird, mittlerweile schon fast routiniert zur Kenntnis.

Trotz dieser horrenden Zahlen zeigt sich aktuell jedoch auch, wie schwer es ist, dass die Hilfe auch wirklich dort ankommt, wo sie gebraucht wird. So war etwa das 350-Milliarden-US-Dollar-Hilfsprogramm für Unternehmen in Not in den USA derart schnell vergriffen, dass kleine Unternehmen gar nicht zum Zuge kamen. Die Implementierung der Hilfen wird in den nächsten Monaten demnach ganz entscheidend sein. Und obwohl hier in Deutschland nicht alles reibungslos verläuft, so schauen doch viele Unternehmen in den USA derzeit etwas neidisch zu uns, da die Verteilung der Hilfen – auch dank Instrumenten, die sich in früheren Krisen bewährt haben, wie etwa dem Kurzarbeitergeld – letztlich gut funktioniert.

Was das für Anleger bedeutet 

Das beherzte Eingreifen von Regierungen und Zentralbanken vermochte die Wogen an den Finanzmärkten zu glätten. Die Aktienmarktvolatilität in Europa hat sich im Vergleich zu den Höchstständen im März mehr als halbiert. Und auch die Kursverluste bei globalen Aktien konnten rund zur Hälfte wett gemacht werden.

Die Logik der Anleger scheint wie folgt zu lauten: Trotz des wohl schwersten Wachstumseinbruchs seit den 30er-Jahren sollten die rekordhohen Stimuli den kumulierten wirtschaftlichen Schaden beschränken und ihn letztlich auch auf ein Niveau beschränken, das signifikant kleiner ist als das, was durch die Finanzkrise entstanden ist. Schließlich ist die allein im letzten Monat beschlossene Unterstützung der globalen Zentralbanken bereits so groß wie jene aus dem gesamten Jahr 2008.

Ob der Ansatz frei nach dem Motto „don’t fight the Fed“ auch dieses Mal wieder berechtigt ist, wird die Zeit zeigen. Man kann den Zentralbanken (und den Regierungen) zumindest zugutehalten, dass sie eine außer Kontrolle geratene Lage an den Märkten durchaus gekonnt stabilisiert haben. Der Kursanstieg der letzten Wochen ist am Ende aber wohl nur dann zu rechtfertigen, wenn die beste aller Welten eintritt – soll heißen: eine zweite Ansteckungswelle bleibt aus, die Reproduktionsrate fällt auf einen Wert deutlich unter eins, verharrt dort, und die globale Wirtschaft kann vielerorts zeitnah zu großen Teilen wieder hochgefahren werden, bis ein Impfstoff gefunden ist. Eine gewisse Skepsis ist sicher angebracht, ob es wirklich so kommt. (ah)

Foto: Felix Herrmann, © BlackRock

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