“Ich rechne mit einer ersten Zinssenkung der Fed im zweiten Quartal”

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Zeit für einen Rück- und Ausblick. Felix Herrmann, Chefvolkswirt ARAMEA Asset Management AG, ist ein Kenner der Märkte und Entwicklungen. Chefredakteur Alexander Heftrich sprach mit ihm beispielsweise über die Geldpolitik in den USA und Europa, den Aussichten einer Zinssenkung und Chancen der Portfolioaufstellung 2024.
19. Dezember 2023
Felix Herrmann, Chefvolkswirt ARAMEA Asset Management AG / Foto: © ARAMEA

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Zeit für einen Rück- und Ausblick. Felix Herrmann, Chefvolkswirt ARAMEA Asset Management AG, ist ein Kenner der Märkte und Entwicklungen. Chefredakteur Alexander Heftrich sprach mit ihm beispielsweise über die Geldpolitik in den USA und Europa, den Aussichten einer Zinssenkung und Chancen der Portfolioaufstellung 2024.

INTELLIGENT INVESTORS: Herr Herrmann, der Blick zurück – die Inflationsraten dies- und jenseits des Atlantiks sind im Jahresverlauf zurückgekommen. Vor diesem Hintergrund, wie bewerten Sie die Politik der jeweiligen Notenbanken?

Felix Herrmann: Die Inflationsdaten für November fielen überraschend schwach aus – in den USA sowie in der Eurozone – und auch die Kernkomponenten der Inflation wiesen einen überraschend deutlichen disinflationären Trend auf, was darauf hindeutet, dass die schwache Wirtschaft bereits Auswirkungen auf die Preisgestaltung der Unternehmen hat. Es wäre sicherlich ein Fehler, den Inflationsrückgang der letzten Monate zu extrapolieren, da die Inflation strukturell erhöht bleiben dürfte (knappe Arbeitsmärkte, mehr Lohndruck). Zudem möchten die Notenbanken sicherlich den Fehler der Fed aus den 1990er Jahren  vermeiden, als sie erste zaghafte Zinssenkungen beschloss, diese dann aber wenige Monate später wieder korrigieren musste, weil die Inflation doch wieder zu klettern begann. Den Erfolg bei der Inflationsbekämpfung aufs Spiel zu setzen, wäre der Worst Case.

Und dennoch: Nach den viel zitierten „long and variable Lags“ fängt die Geldpolitik nun an zu wirken – und das offenbar etwas stärker als erwartet. Insofern eröffnet sich der Spielraum für Senkungen im kommenden Jahr – auch, weil die Konjunktur schon längst in einer Verfassung ist, die erste Senkungen zulässt.

II: Den Blick voraus – wann und wie viele Zinsschritte erwarten Sie im kommenden Jahr?

Herrmann: Die Märkte preisen nach dem Kommunikationsschwenk auf der Fed-Sitzung im Dezember („wir senken nicht erst, wenn die Inflation 2% erreicht hat“ und „wir sind uns der Risiken bewusst, die entstehen, wenn die Zinsen zu lange hoch bleiben“) die erste US-Leitzinssenkung bereits für den März. Gleiches gilt für die EZB. In Summe erwartet der Markt für das Jahr 2024 in beiden Währungsräumen aktuell sechs Senkungsschritte à 25 Basispunkten.

Die Dezember-Sitzung der EZB hat allerdings deutlich gemacht, dass man sich an einem anderen Punkt in Sachen Inflationsbekämpfung sieht als die Fed und insbesondere die Sorgen vor dem hohen Lohndruck in der Eurozone im EZB-Turm recht ausgeprägt sind, weshalb Diskussionen über Zinssenkungen in Frankfurt anders als in Washington noch nicht Gegenstand der Sitzungen waren, was wiederum den Schluss nahelegt, dass die Fed die Zinsen im Zyklus wie so oft früher senkt als die EZB.

Ich ziehe die erwarteten Zeitpunkte der ersten Senkungen um jeweils ein Quartal nach vorne und rechne nun mit einer ersten Zinssenkung der Fed im zweiten und im Falle der EZB im dritten Quartal des kommenden Jahres. Die dann beginnenden Leitzinssenkungszyklen könnten zumindest bis zu den jeweils neutralen Leitzinsniveaus recht aggressiv ausfallen. Ob es allerdings deren sechs Senkungen in beiden Währungsräumen werden, halte ich doch für etwas unwahrscheinlich.

II: Das Thema der Staatsschulden treibt uns hierzulande und in Übersee um. Insbesondere in den USA erreicht die Schuldenquote ein hohes Niveau. Wie gefährlich ist dieser Schuldenberg kurz- und mittelfristig? Was sollte eine (neue) Administration 2024ff tun?

Herrmann: Im Prinzip lebt das Land seit der Finanzkrise über seine Verhältnisse. Da das US-Treasury aber nun einmal das wohl wichtigste Asset der Finanzmarktwelt emittiert, dass fast jeder Anleger in seinem Depot hat – egal ob privat oder institutionell – war das exzessive Schuldenmachen bislang kein Problem gewesen. Das könnte sich in Zukunft theoretisch durchaus ändern.

Die Ratingagenturen S&P und Fitch erhoben jüngst schon öfter den mahnenden Zeigefinger und entzogen den USA sogar das höchste Rating. Moody‘s senkte zumindest den Ausblick auf negativ. Auch sie wissen, was den USA in den nächsten Jahren drohen könnte. Auf der einen Seite eine weiterhin hohe Neuverschuldung, die sich nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Zinsen ergibt: die Zinszahlungen des Treasurys im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind um einen ganzen Prozentpunkt gestiegen. Bald werden die USA mehr für Zinsen ausgeben als für ihren Militärhaushalt. Das Primärmarktangebot an US-Staatsanleihen wird daher unweigerlich steigen. Auf der anderen Seite sinkt die Nachfrage nach US-Staatsanleihen gleich aus mehreren Gründen. Der sicher bedeutsamste ist die Bilanzreduzierung der US-Notenbank, die ihren Bestand an US-Staatsanleihen jeden Monat um USD 60 Milliarden reduziert und damit als Nachfrager sukzessive wegfällt. Gleichzeitig reduzieren aber auch wichtige Investoren in Asien – vornehmlich Japan und China – ihr strukturelles Engagement in US-Staatsanleihen. Insofern ergibt sich Renditeaufwärtsdruck bei US-Treasuries gleich von zwei Seiten. Das vom Markt zu absorbierende Netto-Neuemissionsvolumen wird sich voraussichtlich von knapp einer Billion in diesem Jahr auf zwei Billionen US-Dollar 2024 verdoppeln.

Man könnte jetzt an diesem Punkt verzweifeln und das US-Treasury einfach nur noch bemitleiden. Allerdings würde eine solche Position einerseits die Bedeutung von US-Staatsanleihen für den Gesamtmarkt unterschätzen und zum anderen den Effekt der gestiegenen Renditen unterschätzen, die US-Staatsanleihen deutlich attraktiver machen. Gerade private Haushalte, Pensionskassen und US-Banken dürften sich wieder stärker unter den Käufern tummeln und so ein Gegengewicht zu den Verkäufern bilden.

II: China: Hände weg von Aktien oder jetzt erst recht?

Herrmann: Das Ausbleiben neuer ernsthafter fiskalischer Anreize deutet auf einen weiteren Verlust der Wachstumsdynamik in China hin. Auch die Korrektur im Immobilien- und Bausektor wird sich wahrscheinlich fortsetzen. Die dortigen Probleme sind vor allem struktureller Natur. Die Regierung hat bewiesen, dass sie willkürliche Eingriffe in die Realwirtschaft nicht scheut. Insofern halten wir uns in China zurück.

II: „Bonds are back“ war besonders 2023 eines der häufigeren Schlagworte. Ihr Haus steht für eine bedeutende Expertise im Rentensegment. Was gilt es jetzt bei Anleihen zu berücksichtigen?

Herrmann: Die letzten Wochen lieferten einen Vorgeschmack auf das, was an den Rentenmärkten passieren kann, wenn eine regelrechte Euphorie rund um mögliche Leitzinssenkungen in der näheren Zukunft entsteht. Innerhalb weniger Tage fielen die Bundrenditen je nach Laufzeit um mehr als 50 Basispunkte. Der Markt hat im Zuge dessen das „Higher-for-Longer“-Szenario jedoch womöglich etwas zu früh zu den Akten gelegt. Grundsätzlich dürfte das Rentenmarktjahr 2024 dennoch als ein erfreuliches in die Finanzmarktgeschichte eingehen.

Die jüngste Entwicklung bei langen Bundesanleihen erscheint aus meiner Sicht etwas fehlgeleitet zu sein, da die langen Zinsen somit selbst im Falle eines tatsächlich rasch beginnenden sowie durchaus umfangreichen Senkungszyklus bereits recht gering anmuten. Schließlich liegt das zehnjährige Bundrenditeniveau nun fast 200 Basispunkte unterhalb des Leitzinses in der Eurozone. Insbesondere die nach wie vor zu niedrige Laufzeitprämie mahnt fortgesetzt zu Vorsicht beim Eingehen von Durationsrisiken. Aber auch die strukturell höhere Inflation, die ich erwarte, spricht dafür, dass das faire zehnjährige Zinsniveau bei Bundesanleihen höher liegen sollte als es aktuell der Fall ist. „Higher for longer“ lebt also durchaus.

EUR-Credits preisen ein, dass die Eurozone in keine schwere Rezession im kommenden Jahr abgleiten wird. Die Spreadniveaus sind bereits ausgesprochen eng, wenngleich immer noch deutlich weiter als vor der Coronakrise bzw. dem Ukrainekrieg. Entsprechend kann man durchaus von einer fairen Bewertung sprechen und darf gleichzeitig auf weitere (moderate) Spreadeinengungen hoffen, wenn der breite Rentenmarkt von der oben zitierten Leitzinseuphorie angesteckt wird. Für eine Outperformance riskanterer Segmente des Rentenmarkts genügt aber bekanntlich bereits ein konstantes Spreadniveau.

Vorsichtiger sind wir im kommenden Jahr allerdings im Bereich der Hochzinsanleihen, die einerseits unter der aktuellen Konjunktur-schwäche aber auch unter der sich abzeichnenden „Maturity Wall“ (die zwar erst 2025 und 2026 so richtig steil wird, aber bereits in 2024 steigende Refinanzierungsvolumina zur Folge haben dürfte) leiden könnte. Als weitaus attraktiver erachten wir daher EUR-Nachranganleihen, die nur von bonitätsstarken Emittenten begeben werden können.

II: DAX und Dow Jones zeitweise auf All-Time-High. Ist da nicht schon sehr viel eingepreist?

Herrmann: Die letzten Wochen haben das Aktienmarktjahr 2023 letztlich doch noch zu einem überdurchschnittlichen werden lassen – was jedoch zumindest theoretisch das Potenzial der Aktienmärkte für 2024 etwas reduziert. Eine weiche Landung der US-Wirtschaft sowie die zumindest in Europa berechtigte Hoffnung auf Bewertungszuwächse sollten im kommenden Jahr Gesamterträge von knapp über 10% am Aktienmarkt möglich machen. Eine stärkere Differenzierung des Aktienportfolios nach Sektoren und Faktoren ist jedoch das Gebot der Stunde.

Gegen eine kurzfristige Korrektur in den ersten Wochen des neuen Jahres kann man sich aktuell recht preisgünstig mit Optionen absichern, was angesichts der starken Rally der letzten Wochen ratsam erscheint.

II: Wie schaut die ARAMEA AG auf 2024? Welche Anlagelösungen würden Sie Investoren ans Herz legen?

Herrmann: Wir sind, wie bereits oben erwähnt, im kommenden Jahr recht bullish auf EUR-Nachranganleihen. Mit einer laufenden Verzinsung von aktuell circa 7% in unserem Aramea Rendite Plus wäre selbst bei unverändertem Zinsniveau das Jahr 2024 schon ein erfreuliches. Die Zinssenkungen der Zentralbanken dürften die Rendite in den zweistelligen Bereich liften.

SOCIAL MEDIA

RECHTLICHES

AGB
DATENSCHUTZ
IMPRESSUM
© wirkungswerk
ALLE RECHTE VORBEHALTEN

Anmeldung zum Newsletter