“Wirtschaftspolitik sollte mehr Schumpeter wagen”

Kurz vor dem Jahreswechsel bietet sich immer ein Fazit des ablaufenden Jahres an. Verbunden mit dem Blick auf 2024. Wann kommen Zinssenkungen und in welchem Ausmaß? Was müsste sich hierzulande tun, um wirtschaftlich wieder Tritt zu fassen? Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt Eyb & Wallwitz, gibt Antworten. 
20. Dezember 2023
Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz / Foto: © Eyb & Wallwitz

Kurz vor dem Jahreswechsel bietet sich immer ein Fazit des ablaufenden Jahres an. Verbunden mit dem Blick auf 2024. Wann kommen Zinssenkungen und in welchem Ausmaß? Was müsste sich hierzulande tun, um wirtschaftlich wieder Tritt zu fassen? Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt Eyb & Wallwitz, gibt Antworten. 

INTELLIGENT INVESTORS: Die US-Inflation ist weiter leicht rückläufig, die Kernrate bleibt indes bei 4,0 Prozent. Das dämpft doch manche Erwartungen auf eine baldige Zinssenkung, oder?
Dr. Johannes Mayr: Die FED wird früher oder später die Zinsen wieder senken, und viel spricht für einen Beginn dieses Prozesses im neuen Jahr. Denn mit über 5% liegt der Leitzins deutlich über dem „normalen Niveau“, das mittelfristig zu einem Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage führt und zwischen 3 und 4% liegen dürfte. Gleichzeitig hängt der Zeitpunkt für den Beginn von Zinssenkungen am Verlauf von Konjunktur und Inflation. Je schwächer dieser ausfällt, desto rascher kommt die monetäre Wende. Wir erwarten ein Soft Landing der US-Wirtschaft, das sich über mehrere Quartale erstrecken und die Inflation nur langsam in Richtung 2% sinken lassen wird. In diesem Szenario sind moderate Zinssenkungen ab Jahresmitte realistisch, aber keine rasche und drastische Kehrtwende der FED.

II: Das Thema der Staatsschulden treibt uns hierzulande und in Übersee um. Insbesondere in den USA erreicht die Schuldenquote ein hohes Niveau. Wie gefährlich ist dieser Schuldenberg kurz- und mittelfristig? Was sollte eine (neue) Administration 2024ff tun?
Mayr: Eine schnelle Lösung gibt es nicht. In den USA hat sich die Bruttoverschuldung — angeschoben durch die enorm expansive Fiskal- und Geldpolitik zur Eindämmung von Finanz- und COVID-Krise – tatsächlich besonders stark erhöht und liegt bei rund 100% am BIP. Vor allem aber zeichnet sich perspektivisch ein weiterer deutlicher Anstieg ab, die Verschuldung könnte bei aktueller Gesetzeslage ab 2040 bei 180% liegen. Hintergrund sind die aus dem Ruder laufenden Gesundheitsausgaben durch die zunehmende Alterung sowie höhere Zinskosten bei einem gleichzeitig geringeren Wachstumspotenzial als in der Vergangenheit. Angesichts der Höhe und der Dynamik der Verschuldung sind fiskalische Reformen unabdingbar, und zwar sowohl auf der Ausgaben- als auch der Einnahmenseite. Diese sollten aber weniger auf kurzfristige Erfolge und Ausgabenkürzungen abzielen, sondern mittelfristig angelegt und auf das Wachstumspotenzial ausgerichtet sein. Je besser die Wirtschaft läuft, desto eher bleiben die Staatsfinanzen unter Kontrolle. Kurzfristig scheint das Eskalationsrisiko ohnehin begrenzt. Zum einen fehlt internationalen Investoren nach wie vor die Anlagealternative zu US-Staatsanleihen. Zum anderen steht die FED gerade in Krisenphasen als Käufer der letzten Instanz weiterhin bereit. Mit einer nachhaltig etwas höheren Risikoprämie sollte man in den kommenden Jahren allerdings schon rechnen.

II: Die Diskussion um die Schuldenbremse beherrschte die vergangenen Wochen. Auf der einen Seite das Lager, das für eine Aussetzung selbiger votiert, andere sehen eine Aufweichung mehr als kritisch. Wie sehen Sie das?
Mayr: Eine Schuldenbremse für die öffentliche Hand ist grundsätzlich sinnvoll. Sie sollte vor allem die konsumtiven Ausgaben des Staates begrenzen. Denn die Versuchung ist stets groß, über Transfers und Subventionen ökonomische Anpassungen hinauszuzögern bzw. die Bürger von den finanziellen Folgen politischer Weichenstellungen zu befreien. Deshalb sollte staatlicher Konsum — zu dem neben dem Sozialetat auch Subventionen für die Industrie und Landwirtschaft und Transfers an die Haushalte wie das Baugeld oder die Zuschüsse zu Heizungen oder Elektroautos gehören — stets aus den laufenden Steuereinnahmen und damit von der aktuellen Generation finanziert werden. Dagegen sollte eine politisch vorgegebene Schuldenbremse möglichst nicht den Spielraum für langfristige Investitionsvorhaben verringern, von denen das Wachstumspotenzial und damit auch künftige Generationen profitieren. Eine Abgrenzung zwischen staatlichem Konsum und Investitionen ist zugegeben nicht ganz einfach, Bildungsausgaben sind ein prominentes Beispiel. Hier lohnt es sich aber über neue Konzepte der Abgrenzung nachzudenken. Denn was eine andauernde Schwäche öffentlicher Investitionen für den Kapitalstock und die Infrastruktur und damit das Wachstumspotenzial bedeutet, zeigt der Abwärtstrend der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Dekaden eindrucksvoll.

II: Welche Denkanstöße würden Sie den politischen Entscheidungsträgern in Berlin zur Jahreswende gerne mit auf den Weg geben?
Mayr: Unabhängig von der Lösung im Haushaltsstreit sollte die Politik die derzeitige Vollkaskomentalität nicht weiter verstärken. Anstatt auf Transfers an breite Teile der Bevölkerung und Subventionen bestimmter Branchen und Geschäftsmodelle zu setzen, sollte mit den verfügbaren öffentlichen Mittel primär in die Standortbedingungen insgesamt investiert werden. Energieversorgung, Verkehrsinfrastruktur und Humankapital sind dabei zentrale Punkte. Mit Blick auf die Unternehmen sollte die Wirtschaftspolitik mehr Schumpeter zu wagen. Unrentable Geschäftsmodelle sollten nicht mit unverhältnismäßigem finanziellem Aufwand am Markt bzw. im Inland gehalten und subventioniert werden. Das gilt auch für besonders energieintensive Bereiche der Wirtschaft. Und auch von den Bürgern sollte mehr Eigenverantwortung eingefordert werden. Transfers sollten beschränkt und stärker an der Bedürftigkeit ausgerichtet werden. Und unbequeme Wahrheiten und ökonomische Gegebenheiten sollten klar artikuliert und die jeweiligen Politikoptionen und deren Kosten offen dargelegt werden.

II: Fernab der Theorie – was sollten Anleger jetzt vermehrt im Blick haben? Wie sollten sie sich positionieren?
Mayr: Bei allen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen. Am Finanzmarkt war die Entwicklung 2023 sehr erfreulich. Das zeigt einmal mehr, dass sich Investoren und Unternehmen nicht nur an Krisen und Risiken orientieren, sondern primär auf Chancen blicken. Das könnte sich 2024 wiederholen. Denn es zeichnen sich in zahlreichen Bereichen der Wirtschaft Entwicklungssprünge und dynamische Trends ab. Dazu zählen insbesondere die Digitalwirtschaft, aber auch der Pharmabereich. Innovationen und Investitionen in diesen Segmenten bergen nicht nur Potenzial für die jeweiligen Unternehmen, sondern können auch gesamtwirtschaftlich und gesellschaftlich viel Positives bringen.

SOCIAL MEDIA

RECHTLICHES

AGB
DATENSCHUTZ
IMPRESSUM
© wirkungswerk
ALLE RECHTE VORBEHALTEN

Anmeldung zum Newsletter