Die nachhaltige Kapitalanlage wird dynamisch bleiben

Der Gedanke des nachhaltigen Investierens ist nicht mehr aus den Köpfen zu bekommen. Zu wichtig und zu universell ist das Thema. Und der Blick zurück offenbart, dass es keineswegs neu ist. Vielleicht in der Dimension, das mag sein. Bereits 1987 wurde der Brundtland-Bericht veröffentlicht. Die II-Chefredaktion sprach mit drei renommierten Experten im ESG-Umfeld.
18. März 2022
(v.l.n.r) Jan Rabe, Patrick Vogel und Richard Schmidt

II: Mehrwert zu schaffen ist ein gutes Stichwort. Ich nehme an, dass Sie alle dem Vorwurf, Nachhaltigkeit gehe zulasten von Rendite, entschieden entgegentreten?
Rabe: Unsere Analysen zeigen dies eindeutig. Wir können zum heutigen Stand das Zwischenfazit ziehen, dass ein nicht nachhaltig ausgerichtetes Portfolio das Rendite-Risikoprofil belastet. Zu unterstreichen gilt in diesem Zusammenhang vor allem, dass sich so nicht nur Renditen steigern, sondern vor allem Risiken reduzieren ließen. Zu beachten ist, dass sich der Nachhaltigkeitsbegriff stetig im Wandel befindet – nur wer die nachhaltige Kapitalanlage vorausdenkt, wird Bestand haben.

II: Lassen Sie uns zu einem weiteren wichtigen Aspekt kommen – der Klimaneutralität als hehrem Ziel. So will die EU-Kommission beispielsweise grüne Anleihen fördern, mit denen Unternehmen Geld für klimafreundliche Investitionen einsammeln. Mit Hilfe welcher Methoden lässt sich Klimaneutralität überhaupt darstellen?
Schmidt: Kerngedanke ist, dass sich aus den Treibhausgasemissionen der Unternehmen der CO2-Fußabdruck eines gesamten Investmentfonds oder Portfolios ableiten lässt. MSCI hat ein Tool erarbeitet, das darstellt, inwiefern sich die Unternehmen in den Anlageportfolios an den weltweiten Temperaturzielen orientieren. Somit lässt sich eine Aussage dahingehend treffen, ob ein Portfolio, das einen impliziten Temperaturanstieg von zwei Grad oder weniger als Auswirkung hätte, beispielsweise als gut angesehen werden kann. Anders formuliert – das Tool rechnet die aktuellen und prognostizierten Treibhausgasemissionen jedes Unternehmens unter Berücksichtigung der Emissionsreduktionsziele in einen geschätzten Temperaturanstieg um. Für den Kunden wird auf einen Blick klar, welche Temperaturauswirkungen sein Portfolio hat. Mit einem vergleichsweise abstrakten CO2-Fußabdruck kann der Anleger weniger anfangen, mit einer Gradzahl dagegen schon.

I: Das klingt gut. Vielleicht zu gut? Wo sind die möglichen Fallstricke?
Rabe: Im Kern geht es darum, eine komplexe Thematik in praktikable Metriken zu überführen, um die Treibhausgasintensität eines Portfolios in Einklang mit den Zielen aus dem Pariser Klimaabkommen zu bringen – nämlich der Begrenzung der durchschnittlichen globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Eine naive Ausrichtung nach diesen Metriken ist jedoch nicht ökonomisch sinnvoll. Ein Beispiel: Im passiven Bereich suggerieren Exchange Traded Funds (ETFs) auf Paris-Aligned Benchmarks, welche auf Empfehlungen der EU-Kommission abstellen, dass ein auf 1,5 Grad ausgerich-tetes Portfolio klimaneutral wäre. Wenn wir die Branchengewichtung dieser ETFs gegenüber ihren konventionellen Benchmarks betrachten, sticht ins Auge, dass diese Ausrichtung eher als eindimensional zu bewerten ist. Während so Entwickler von Solarparks profitieren, werden Energie‑, Grundstoff‑, und Versorger-Branchen stark untergewichtet.

II: Welche Folgen hat das?
Rabe: Vielen ist nicht bewusst, dass genau diese eindimensionale Betrachtung die Energiewende nicht nur verteuert, sondern diese auch verlangsamt. Wussten Sie, dass 98 % einer Windkraftanlage aus Vorprodukten energieintensiver Branchen stammen – vor allem aus Zement, Stahl und Aluminium? Der Abfluss von Kapital aus diesen Branchen begünstigt folglich die sogenannte Grünflation. Das Ziel der Energiewende wird damit kon-terkariert. Anstatt an traditionellen Branchenklassifizierungen festzuhalten, sollte wertschöpfungskettenübergreifend gedacht werden.

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