“Das deutsche Geschäftsmodell ist unter Druck”

Im November 2022 sprach ich mit Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, zu den volkswirtschaftlichen Entwicklungen rund um den Globus. Zeit für ein Update. Im aktuellen Interview geht der Chefvolkswirt auf die Notenbankentscheidungen, das Wiederentdecken Japans und die deutsche Wirtschaft im Speziellen ein.
27. September 2023

Im November 2022 sprach ich mit Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, zu den volkswirtschaftlichen Entwicklungen rund um den Globus. Zeit für ein Update. Im aktuellen Interview geht der Chefvolkswirt auf die Notenbankentscheidungen, das Wiederentdecken Japans und die deutsche Wirtschaft im Speziellen ein.

INTELLIGENT INVESTORS: Herr Walk, Mitte September standen einige Notenbankentscheidungen an. So tagten u.a. EZB, FED, BoE und BoJ. Von Ihrer Warte aus, gab es Überraschungen?
Edgar Walk: Die Entscheidungen der EZB und der BoE waren knapp. Beide Wirtschaftsräume sind derzeit von zu hohen Inflationsraten bei gleichzeitig schwachen Konjunkturdaten geprägt. Die EZB fokussierte sich mit ihrer Leitzinserhöhung eher auf die Inflationsbekämpfung, während die BoE eher die Konjunkturrisiken bei ihrer Zinspause im Blick hatte. Die BoJ hatte dagegen schon im Vorfeld signalisiert, dass sie erst bei einem merklich höheren Lohnwachstum ihre Geldpolitik anpassen wird. Derzeit ist das Lohnwachstum in Japan mit etwa 1,8 Prozent immer noch deutlich unter dem erforderlichen Lohnwachstum von über 3,0 Prozent. Dass die US-Notenbank eine abwartende Haltung einnehmen würde, war weitestgehend erwartet worden. Es war jedoch für die Finanzmärkte überraschend, dass eine große Wahrscheinlichkeit besteht für eine weitere Leitzinserhöhung in diesem Jahr und eine niedrige Wahrscheinlichkeit für Leitzinssenkungen im nächsten Jahr. Grundsätzlich ist unsere These, dass sich die Inflation mit Blick auf 2024 als hartnäckig erweisen wird und die EZB, Fed und die BoE allenfalls im vierten Quartal vorsichtig den Leitzins werden senken können.

II: Lassen Sie uns zunächst einen Blick auf die Weltmächte im Westen und Osten werfen, USA und China. Die jüngsten August-Daten aus Peking scheinen wieder besser ausgefallen zu sein. Dennoch, wie viel Sand ist dort im Getriebe? Wie wahrscheinlich ist das Szenario eines „Soft landings“ in den USA?
Walk: Die chinesische Wirtschaft leidet unter der Schwäche am Wohnimmobilienmarkt. Der Immobilienmarkt ist völlig überdimensioniert und wird über mehrere Jahre hinweg schrumpfen müssen. Die Regierung kann allerdings jederzeit mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen gegensteuern und die Konjunktur stabilisieren, was derzeit auch zu beobachten ist. Wir erwarten jedoch, dass die derzeitigen Stimuli bis Jahresende wieder verpuffen werden und sich die Konjunktur dann wieder merklich verlangsamt. Insgesamt rechnen wir mit einem Szenario wie in Japan – also einer langen Phase des niedrigen Wachstums. Eine Krise wird es in China aber nicht geben, da das Finanzsystem von der Regierung kontrolliert wird.

In den USA besteht durchaus eine Chance auf ein Soft Landing. Der Arbeitsmarkt ist weiterhin unglaublich robust. Allerdings sind die Konjunkturdaten aus den USA derzeit sehr wechselhaft, sodass es sehr schwierig ist, den derzeitigen konjunkturellen Trend anhand der Datenlage abzulesen. Wir sind daher für alle Szenarien offen, wünschen uns aber natürlich die weiche Landung.

II: Viele Investoren haben Japan in den vergangenen Monaten bzw. im zurückliegenden Jahr „wiederentdeckt“. Welche Gründe machen Sie dafür aus?
Walk: Die Wiederentdeckung Japans hängt vor allem mit der guten Entwicklung am japanischen Aktienmarkt zusammen. Es gibt aber auch gute fundamentale Gründe für Investitionen in japanische Aktien. So befindet sich Japan seit 2013 in einem Reformprozess, der langsam beginnt Früchte zu tragen. Vor allem die Corporate Governance wurde reformiert, sodass japanische Unternehmen sich stärker als in der Vergangenheit an den Forderungen der Aktionäre orientieren müssen. Aber auch die Partizipation der Frauen am Arbeitsmarkt wurde gestärkt, die Immigration von ausländischen Arbeitskräften erheblich vereinfacht und der Tourismus als Wachstumsbranche entwickelt. Darüber hinaus ist der Realzins zum ersten Mal seit Einsetzen der Deflation Anfang der 1990er Jahre negativ. Das heißt, die Bank von Japan verfolgt zum ersten Mal seitdem eine wirklich expansive Geldpolitik. Insgesamt hat die japanische Wirtschaft damit gute Chancen, ein stabiles Wachstum zu verzeichnen und die lange Phase der Deflation zu beenden. Mittelfristig bestehen also weiterhin gute Perspektiven für den japanischen Aktienmarkt.

II: Die Unkenrufe in der deutschen Wirtschaft reißen nicht ab; vom kranken Mann Europas ist wieder die Rede. Zu Recht? Woher könnten Impulse für unsere Wirtschaft kommen?
Walk: Das deutsche Geschäftsmodell ist unter Druck: Wir haben lange von der billigen Energie aus Russland, von der starken Nachfrage aus China und dem Sicherheitsschild der USA profitiert. Weil es so gut lief, hat es Deutschland verschlafen, ausreichend in die eigene Infrastruktur, in die Verteidigung, in Bildung und in Forschung & Entwicklung zu investieren.
Darüber hinaus hat Deutschland eine sehr komplexe Bürokratie aufgebaut, die die unternehmerische Initiative stark behindert. Deutsche Unternehmer investieren daher im Moment viel lieber im Ausland. Es ist aber noch nichts verloren. Die Regierung kann und sollte daher gegensteuern.

 

 

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