Zinswende, aber noch keine Normalität an den Märkten

2022 ist fürwahr ein extremes Jahr an den Finanzmärkten. Die Inflation ist weiter auf hohem Niveau, die EZB versucht, mit einem ersten Zinsschritt entgegenzuwirken und dennoch bleibt vieles im Nebulösen. Lohnt sich der Einstieg in Aktien wieder? Liegt das Schlimmste bereits hinter uns? Bernhard Matthes ist ein ausgesprochen guter Kenner der Materie. Er leitet seit 2007 das Asset Management der Bank für Kirche und Caritas (BKC) in Paderborn. Die Chefredaktion sprach mit ihm über die Lage im Sommer 2022.
19. September 2022

2022 ist fürwahr ein extremes Jahr an den Finanzmärkten. Die Inflation ist weiter auf hohem Niveau, die EZB versucht, mit einem ersten Zinsschritt entgegenzuwirken und dennoch bleibt vieles im Nebulösen. Lohnt sich der Einstieg in Aktien wieder? Liegt das Schlimmste bereits hinter uns? Bernhard Matthes ist ein ausgesprochen guter Kenner der Materie. Er leitet seit 2007 das Asset Management der Bank für Kirche und Caritas (BKC) in Paderborn. Die Chefredaktion sprach mit ihm über die Lage im Sommer 2022.

INTELLIGENT INVESTORS: Herr Matthes, im Juli hat die EZB erstmalig seit mehr als einer Dekade die Leitzinsen angehoben. Wie ordnen Sie diesen Beschluss ein? Wo stehen wir in der Eurozone?
Bernhard Matthes: Ob dieser Beschluss als großer Wurf oder sogar historisch angesehen werden kann, daran hege ich große Zweifel. Historisch betrachtet müssten die Zinsen bereits auf ganz anderem Niveau liegen: Als Anfang der 1980er Jahre zuletzt so hoher Inflationsdruck herrschte, lag der Leitzins der Bundesbank bei 7,5 %, nicht bei null. Der Rausch des billigen Geldes war fatal. In Kombination mit den zusätzlich aufgetretenen Krisenherden – Lieferengpässe, Energiekrise und bevorstehende Rezession – ist das Navigieren am Kapitalmarkt derzeit schwierig.

II: Überall ist zu lesen, dass nach Jahren des billigen Geldes der Zins wieder da ist. Übersehen wir hier etwas?
Matthes: Wir sehen zwar eine Zinswende, aber noch keine Normalität an den Märkten. Die Jahresteuerungsrate in der Eurozone lag zuletzt bei 8,6 %. Das bedeutet, die Verbraucherpreise sind weiter sehr hoch, negative Realzinsen bleiben uns erhalten und damit auch die für Anleger schädliche finanzielle Repression.

II: Sie erwähnten die Inflation. Lange Zeit schien sie kein Thema; im Zuge der Pandemie änderte sich das. Wie sehen Sie das?
Matthes: Ich sehe es anders. Ich bin der Meinung, dass die Inflation monetär bereits lange vor der Pandemie vorbereitet wurde, zum Beispiel als ‚Schatteninflation‘ in Form der Vermögenspreisinflation. Die expansive Geldpolitik schuf ein Überangebot an Geld und damit den Nährboden, auf dem schlussendlich die Inflation gedeihen konnte.

II: Wie stehen in diesem Umfeld die Chancen für Aktieninvestments, die in den vergangenen Jahren haussiert haben?
Matthes: Auf den ersten Blick mag es für einige so erscheinen, dass Aktien nach der Korrektur im 1. Halbjahr zwischenzeitlich günstig bzw. fair bewertet sind. Doch günstig bzw. billig vor welchem Entscheidungshintergrund? Der wirtschaftliche Ausblick ist eher düster und im Vergleich zur historischen Norm haben die Bewertungen bislang noch nicht auf ein faires Niveau korrigiert. Die Überwertung besteht speziell bei vielen US-Werten fort. Letztlich geht es um Qualität zu einem ansprechenden Preis. Die Analyse der fundamentalen Daten ist entscheidend, nicht die Diskussion über vermeintlich günstige Einstiegsmöglichkeiten. Übergelagert ist, dass auch für Aktien der Inflationsausblick zentral bleibt. Im Stagflationsumfeld gilt es, den Fokus auf die wenigen Geschäftsmodelle mit hoher Preissetzungsmacht zu legen.

II: Und wie lautet Ihr Ausblick für die Rentenmärkte, auch mit Blick auf die Laufzeiten der Anleihen?
Matthes: Renten haben im 1. Halbjahr Verluste von historischem Ausmaß erlitten. Die Renditen bewegen sich nun zwischen Rezessions- Chancen und weiter erhöhtem Inflationsdruck. Erweisen sich die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer aber als zu niedrig, könnten inflationsgeschützte Anleihen weiterhin ein Mittel der Wahl sein. In den vergangenen Monaten wurde auch viel über den guten Einstiegszeitpunkt für Hochzinsanleihen spekuliert. In einer Rezession sind High-Yield-Emittenten besonders von Ausweitungen der Risikoaufschläge betroffen. In diesem Segment dürften sich daher im Jahresverlauf noch bessere Einstiegsniveaus bieten als aktuell. Hinsichtlich der Laufzeiten bleibt festzuhalten, dass Papiere mit kurzen Laufzeiten höhere Erträge abwerfen als solche mit längeren Laufzeiten. Eine inverse Kurve gilt historisch als verlässliches Vorzeichen einer Rezession.

Weiter auf Seite 2

Pages: 12

SOCIAL MEDIA

RECHTLICHES

AGB
DATENSCHUTZ
IMPRESSUM
© wirkungswerk
ALLE RECHTE VORBEHALTEN

Anmeldung zum Newsletter