Müssen sich Anleger 2022 Sorgen machen?

Inflation, Wachstum, Stagnation – Schlagworte wie diese verunsichern Anleger. Joe Little, Chief Global Strategist bei HSBC Asset Management, beobachtet eine zweigleisige Erholung der globalen Konjunktur und gibt Einblick in seine favorisierten Anlageklassen.
19. Januar 2022
Joe Little - Foto: © HSBC Asset Management

Inflation, Wachstum, Stagnation – Schlagworte wie diese verunsichern Anleger. Joe Little, Chief Global Strategist bei HSBC Asset Management, beobachtet eine zweigleisige Erholung der globalen Konjunktur und gibt Einblick in seine favorisierten Anlageklassen.

Aus Anlegersicht mag das neue Jahr mit einem Strauß Sorgen begonnen zu haben: Themen wie Wachstum und Stagflation, ein Wiederaufleben von Covid-19 durch neue Virusvarianten sowie Sorgen über verfrühte politische Anpassungen – Tapering im Westen, Normalisierung im Osten.

Dies hatte bereits zu beträchtlichen Korrekturen der Prognosen geführt. Beispielsweise für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA 2021 oder für China. Zudem ließen Lieferkettenengpässe beispielsweise die US-Inflation in 2021 auf 4,7 Prozent ansteigen.[1]

Nachzügler kamen aus Schwellenländern

Anlageklassen mit Schwellenländerbezug hatten es 2021 schwer: Zu den Nachzüglern der zweiten Jahreshälfte zählten Aktien aus Asien, Schwellenländeranleihen sowie zyklische Titel. Und im neuen Anlagejahr? Natürlich bleiben Wachstum und Inflation mögliche Sorgentreiber. Hinzu gesellen sich Covid-19 und Lieferkettenengpässe als Herausforderung. Unter dem Strich aber dürften all diese Faktoren den Aufschwung eher verzögern, als dass sie ihn zum Entgleisen bringen.

Was die Wachstumsaussichten jedoch wirklich verändern könnte sind die politischen Rahmenbedingungen. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der Politikwechsel und die Verlangsamung des Wachstums in Asien die echten Wachstumssorgen auf Anlagerseite ausgelöst haben, während die meisten Investoren noch einen politischen Fehler der US-Notenbank samt “Taper Tantrum” wie im Jahr 2013 befürchteten.

Chinas politischer Schwenk

Verschärfte Vorschriften für Kreditvergabe und Regulierung haben die Aussichten für die chinesische Wirtschaft eingetrübt. Die schwachen zyklischen Schlüsselindikatoren und Kreditereignisse scheinen einen politischen Schwenk zu erzwingen. Wir erwarten keine Kehrtwende hin zu einer breit angelegten Stimulierung, aber wir sehen bereits gezielte Unterstützung und eine aktive Politik wie beispielsweise die Senkung der Mindestreserveanforderungen.

Doch selbst wenn wir den Höhepunkt des Wachstums in diesem Zyklus bereits überschritten hätten – es ist wichtig, einen gewissen Blick nach vorn zu wahren.

Zweigleisige Erholung der Weltkonjunktur

Die Schuldenquoten entwickelter Volkswirtschaften werden vorerst hoch bleiben. Das deutet darauf hin, dass es keine wachstumsschädigende Strategie zur raschen Sanierung der öffentlichen Finanzen nach der Pandemie geben wird.

In den wichtigsten Volkswirtschaften dürfte das BIP im laufenden Jahr zwischen 4 und 5,5 Prozent liegen, wobei sich die USA und Europa am unteren Ende dieser Spanne und das Vereinigte Königreich sowie China am oberen Ende bewegen werden. Die Inflationsraten dürften zu 2 bis 3 Prozent zurückkehren. Die meisten Volkswirtschaften sind weit von einem Stagflationsszenario entfernt. Jenseits der großen Volkswirtschaften gibt es jedoch erhebliche Unterschiede: Viele Schwellenländer und Frontier-Märkte hinken hinterher — was darauf hindeutet, dass die globale Erholung zweigleisig verläuft.

Aktien weiter vor Anleihen

Das Verhältnis von Wachstum und Inflation dürfte in den nächsten 6 bis 12 Monaten günstig sein. Während sich die Arbeitsmärkte weiter verbessern, ziehen wir Aktien gegenüber Anleihen vor. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, denn die Aktienmärkte befinden sich in der Nähe von Allzeithochs. Entscheidend ist hier die anhaltend starke Gewinnentwicklung.

Unser Research deutet auf anhaltend niedrige Zinsen, eine negative Prämie bei globalen Anleihen, eine geringe Risikoprämie bei Krediten und eine neutrale Prämie bei globalen Aktien hin. Wir müssen also realistisch sein: Die Renditen von Investments der nächsten 24 Monate werden nicht mit denen der zurückliegenden 12 Monate übereinstimmen. Unter dem Strich halten wir es jedoch für schwierig, von einer Blasenbildung an den Börsen zu sprechen.

Und wie sieht es beim Risiko aus? Sollte das Wachstum zum Stillstand kommen, ist eine Rezession nur schwer vorstellbar. Die Renditekurven zeigen weiter nach oben, der Konjunkturzyklus befindet sich in einem relativ frühen Stadium und die politischen Entscheidungsträger haben Wendigkeit bewiesen. Allerdings könnten Wachstumsunsicherheiten das System auf einen W‑förmigen Erholungspfad zwingen.

Vorübergehender Inflationsdruck könnte sich als hartnäckig erweisen, wenn das Arbeitskräfteangebot nicht zurückkehrt, oder die Lieferkettenengpässe nicht behoben werden. Wir sind nicht so recht von diesem Szenario überzeugt, aber wir erkennen es als Risiko an. Mit Blick auf die Weltwirtschaft müssen Anleger in manchen Regionen wachsam bleiben. Das gilt beispielsweise für Brasilien, Russland und andere Schwellenländer.

Preisgünstige Inflationsabsicherung

Ein Szenario “starrer Preise” würde bedeuten, dass die Zentralbanken die Inflation falsch eingeschätzt hätten, was eine abruptere Straffung der Politik erfordern würde. Daher könnten Anleger als Ersatz für Anleihen preisgünstige Inflationsabsicherungen in Betracht ziehen. Bei Rohstoffen sind Kupfer oder Kohlenstoff interessant. Das Gleiche gilt für “reale Cashflow-Anlagen”, einschließlich defensiver Aktien mit den Kriterien ESG und Qualität, oder den Wechsel von globalen Kreditengagements hin zu Infrastrukturanleihen.

Wir gehen deshalb davon aus, dass es für Anleger in der anhaltenden Expansionsphase lohnender sein wird, Aktien gegenüber Anleihen vorzuziehen.

Die Makrotrends dürften auch die Entwicklungen an den Börsen beeinflussen und zyklischen Werten sowie Value-Titeln neue Gelegenheit geben, ihr Potenzial zu zeigen. Darüber hinaus halten wir die Aussichten bei Schwellenländeranleihen für interessant. Anleger sollten jedoch den US-Dollar im Blick halten und sich darüber im Klaren sein, dass der globale Aufschwung zunehmend zweigleisig verläuft. Für uns haben asiatische Anleihen bei risikoadjustierten Anlagen in diesem Bereich die Nase vorn.

[1] HSBC Asset Management, Januar 2022

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