Zinsanstieg: Realer Wachstumseinbruch könnte bonitätsstarke Anleihen wieder attraktiv machen

Über die letzten Monate wurden Anleiherenditen durch die Inflationsdynamik und die damit erzwungenen Erwartungen an Zinsanstiege auf neue Mehrjahreshochs getrieben. Mit Blick auf die zweite Jahreshälfte dürften Sorgen rund um die Konjunktur, bedingt durch einen inflationsinduzierten Nachfrageeinbruch, vermehrt in den Fokus rücken. Für einige Anleihesegmente eröffnet dies möglicherweise attraktive Einstiegschancen.
14. Juni 2022
Marian Heller - Foto: © Bank für Kirche und Caritas

Über die letzten Monate wurden Anleiherenditen durch die Inflationsdynamik und die damit erzwungenen Erwartungen an Zinsanstiege auf neue Mehrjahreshochs getrieben. Mit Blick auf die zweite Jahreshälfte dürften Sorgen rund um die Konjunktur, bedingt durch einen inflationsinduzierten Nachfrageeinbruch, vermehrt in den Fokus rücken. Für einige Anleihesegmente eröffnet dies möglicherweise attraktive Einstiegschancen.

Warum fallen die Inflationserwartungen?

Aktuelle Inflationsdaten in der westlichen Welt eilen von Rekord zu Rekord. Die Produzentenpreise in der Eurozone stiegen in letzter Veröffentlichung um schwindelerregende 37,2% gegenüber dem Vorjahresmonat. Und dennoch sind die vom Markt gepreisten längerfristigen Inflationserwartungen zuletzt gefallen: Lagen die zehnjährigen deutschen Breakeven Raten Ende April noch bei rund 3,0%, notieren sie inzwischen bei unter 2,5%. Ein ähnlicher Trend ist auch in den US-Dollar Inflationserwartungen abzulesen.

Warum diese Diskrepanz? Ein Grund lässt sich in der Rohstoffentwicklung finden. So sind die als wichtiger Frühindikator geltenden Kupferpreise über die letzten drei Monate gemessen in US-Dollar um rund 7% gefallen, Aluminium um 24% und Nickel sogar um 43%. Selbst die Weizenpreise sind über den Zeitraum fast 4% günstiger geworden. Vor allem die Öl- und Gaspreise widersetzten sich hingegen bisher hartnäckig diesem Trend.

Konjunkturelle Schwäche befördert Disinflation

Ein weiterer Grund für den Rückgang dürfte in der Erwartung des Marktes liegen, dass der sich anbahnende konjunkturelle Abschwung einen Einbruch der Inflation zur Folge haben wird. Durch hohe Einkaufspreise und Lohndruck leiden die Margen der Unternehmen. Höhere Zinsen erschweren zudem die Refinanzierung. Konsumenten fahren ihren diskretionären Konsum zurück, da ein höherer Anteil ihres Budgets für essenzielle Dinge wie Lebensmittel, Wohnung und Energiekosten benötigt wird.

Um ihr noch verbliebenes Vertrauenskapital nicht vollständig zu verspielen und damit sich gegenseitig verstärkende, fatale Lohn-Preis Spiralen zu riskieren, müssen Zentralbanken jetzt Entschlossenheit signalisieren und Zinsen anheben. Von den Märkten werden dabei aktuell deutlich mehr Zinsschritte eingefordert als seitens der Zentralbanker kommuniziert. So preisen die Märkte aktuell bis Dezember 2022 für die EZB Einlagenfazilität eine Erhöhung um rund 1,6% und für den US- Leitzins um über 2,5% ein. Es steht also zu erwarten, dass Zentralbanken ihre liquiditätsstraffende Rhetorik noch eine Weile aufrechterhalten und damit die bereits sichtbare konjunkturelle Abkühlung weiter beschleunigen.

Bonitätsstarke Anleihen profitieren von realem Wachstumseinbruch

Während das kurze Ende der Zinskurven von Leitzinserwartungen getrieben wird, handelt das lange Ende primär auf Basis von Wachstums- und Inflationserwartungen. Kurzlaufende Anleihen werden so lange unter Druck bleiben, wie die vom Markt bereits eingepreisten Zinserhöhungsschritte weiter nach oben korrigiert werden müssen. Je mehr Schritte aber erfolgen, desto stärker werden die realen Wachstumserwartungen zurückkommen.

In Erwartung dieser fallenden realen Wachstumsperspektiven lohnt es aus unserer Sicht durchaus, selektiv das gestiegene Renditeniveau in guten Bonitäten gestaffelt einzuloggen. Inzwischen lassen sich in mittleren Laufzeiten positive Realzinsen vereinnahmen, ohne dass hierfür große Kompromisse seitens der Bilanzqualität gemacht werden müssen. So bieten Unternehmensanleihen im oberen Bereich der Investment Grade Qualität auf Indexebene aktuell Prämien von rund 150 Basispunkten gegenüber deutschen Staatsanleihen Noch zu Jahresanfang lag die Differenz bei lediglich 90 Basispunkten. Durch gute Selektion lassen sich die Prämien auf Einzeltitelebene noch einmal steigern.

Was sind die Risiken?

Für längere Nominalanleihen bleibt das Hauptrisiko ein erneuter Anstieg der längerfristigen Inflationserwartungen. Zunehmender Regulierungsdruck, fiskalische Überstimulierungen, Angebotsverknappung bei konventionellen Energieträgern sowie eine beschleunigte Rückabwicklung der Globalisierung zählen zu Aspekten, die mittelfristig inflationär wirken.

Dem gegenüber stehen eine Reihe strukturell mächtiger deflationärer Treiber, so z.B. die Automatisierung und der demographische Wandel. Das Risiko steigender Inflationserwartungen lässt sich im Anleihekontext via inflationsgeschützter Anleihen adressieren. Aufgrund der derzeit hohen Unsicherheiten mit Blick auf die korrekte Bewertung der längerfristigen Inflationsprämie bevorzugen wir in nominalen Anleihen mittlere Laufzeiten gegenüber längeren Laufzeiten.

Noch zu früh für Anleihen mit offensiven Bonitätsprofilen

Die Risikoaufschläge bemessen die Ausfallrisiken von Anleihen und sind ähnlich wie Aktien abhängig von der fundamentalen wirtschaftlichen Situation sowie der Risikobereitschaft der Anleger. Zwar sind die Aufschläge inzwischen über ihren langfristigen Durchschnittswerten. Allerdings dürfte der Druck anhalten, solange den Märkten durch Zinsanhebungen Liquidität entzogen wird und sich gleichzeitig die Konjunkturrisiken erhöhen. Unternehmensanleihen mit starken Bilanzen und Preissetzungsmacht bieten aus unserer Sicht hier einen guten Kompromiss gegenüber vielen Staatsanleihen. Zwar können auch hier die Risikoaufschläge weiter anziehen, der erhöhte Carry kompensiert jedoch für dieses Risiko. Gleichzeitig bietet die Präferenz für Bilanzqualität Spielraum, Kreditrisiken sukzessive auszuweiten, sollten die Prämien für niedrigere Bonitäten aufgrund anhaltender Risikoaversion über ihre fundamental gerechtfertigten Niveaus anziehen.

Weiterhin strikt vermeiden wir italienische Staatsanleihen. Hier sind die Risiken asymmetrisch zulasten Italiens gesetzt: Die Tatsache, dass der italienische Risikoaufschlag gerade an dem Tag besonders stark anzog, an dem Christine Lagarde ein mögliches, nicht konkret definiertes Notfallkonstrukt für italienische Anleihen in Aussicht stellte, zeigt: Der Markt hat erhebliche Zweifel, dass angesichts des Inflationsdrucks zeitnah eine glaubhafte Lösung präsentiert werden kann. Solange diese nicht in Sicht ist, dürften diese Anleihen weiter unter Druck stehen.

Marktkommentar von Marian Heller, CFA, Senior Portfoliomanager, BKC Asset Management

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