Wohnimmobilienmarkt Polen: Knappheit bietet Investoren viele Chancen

5. April 2024

Polen hat in den vergangenen drei Dekaden – ähnlich wie Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg – eine Art Wirtschaftswunder erlebt. Das reale Bruttoinlandsprodukt hat sich mehr als verdreifacht. Die Transformation von einer Planwirtschaft hin zu einer vollständigen Marktwirtschaft ist beeindruckend. Kennzeichnend für die polnische Wirtschaft sind im Besonderen die hohen BIP-Wachstumsraten der letzten Jahre (z. B. 5,1 % im Jahr 2022) und die vergleichsweise niedrige Verschuldung (2022 49 % des Bruttoinlandprodukts.)

Mittlerweile ist Polen die sechstgrößte Volkswirtschaft der EU ein bedeutsamer Handelspartner und ein wettbewerbsfähiger Industriestandort geworden. Mit großem Abstand nimmt Deutschland für Polen die wichtigste Rolle sowohl auf der Einfuhr- als auch auf der Ausfuhrseite ein. Polen ist der fünftgrößte Handelspartner Deutschlands noch vor Industrienationen wie Italien oder Großbritannien. Einzig der für Investoren relevante Mietwohnungsmarkt hielt mit dem rasanten Tempo der Entwicklung nicht Schritt. Dazu später mehr.

Polen hat sowohl die wirtschaftliche Liberalisierung in stabile demokratische Institutionen eingebettet als auch die Infrastruktur und das Bildungssystem seit Jahren ausgebaut. Die geringen Arbeitskosten und die liberale Arbeitsmarktpolitik haben in der Vergangenheit ausländische Industrieunternehmen angelockt, die arbeitsintensive Fertigungsschritte nach Polen ausgelagert haben. Die wachsende Zahl qualifizierter Menschen und die vergleichsweise junge polnische Bevölkerung ziehen zahlreiche Firmen aus dem Technologiesektor in das Land.

Um das Wirtschaftswachstum auch künftig auf einem hohen Niveau aufrechtzuerhalten, muss Polen seine Innovationskraft ausbauen und die grüne Transformation meistern. Dafür braucht es Stabilität, Verlässlichkeit und Transparenz, etwa beim Investitionsschutz und der Rechtssicherheit. Die Elektromobilität stellt künftig einen zentralen Baustein im polnischen Wirtschaftsmodell dar. In Breslau steht Europas größte Fabrik für Lithium-Ionen-Akkus. Auch mehr und mehr Zulieferbetriebe siedeln sich an und erweiterten ihre Geschäftsaktivitäten in diesem Segment.

Vor dem Hintergrund der Debatte um den künftigen EU-Kurs als Kernthema schnitt die Bürgerkoalition unter Donald Tusk bei der jüngsten Parlamentswahl stärker als erwartet ab und hat mittlerweile die Regierungsgeschäfte übernommen. Polen wird davon profitieren, dass sich die Konflikte mit der EU über Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und Gewaltenteilung deutlich entspannen werden. Es wird erwartet, dass die neue Tusk-Regierung – wie bereits in der Vergangenheit – einen gewissen Pragmatismus im Umgang mit Reformen an den Tag legt, so dass Polen als Investitionsstandort weiter an Attraktivität gewinnt. Das Land könnte seine komparativen Kostenvorteile innerhalb der europäischen Wertschöpfungsketten weiterhin nutzen und durch die Öffnung zur Welt die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte fortsetzen.

Die Abwägung zwischen Inflationsbekämpfung und Wirtschaftswachstum stellt die polnische Zentralbank vor Herausforderungen, da die Inflation über dem angestrebten 3 %-Ziel liegt. 2023 hat sich die Inflation in Polen im Vergleich zum Vorjahr jedoch halbiert. Eine zusätzliche Belastung der Konjunktur durch ein höheres Zinsniveau ist nicht zu erwarten. Der Euro-Zloty-Kurs hat nach dem Schock, den der Angriff Russlands auf die Ukraine ausgelöst hat, zu einer recht stetigen Seitwärtsentwicklung gefunden. Die europaorientierte Politik der Regierung Tusk wird den Wechselkurs festigen und die Volatilität verringern.

Wohnungsmärkte in Polen und Deutschland im Vergleich

Im internationalen Vergleich ist der polnische Wohnimmobilienmarkt durch seine Stabilität gekennzeichnet. Bei Betrachtung des Zeitraums 2010 bis Ende 2023 notierte das nominale Marktwachstum mit insgesamt knapp 64 % zwar hinter dem Nachbarland Deutschland (ca. 84 %). Allerdings verzeichnete der polnische Markt in den vergangenen Monaten anders als Deutschland, Spanien, die Niederlande und die USA eben keinen Rückgang der Preise. Die Stabilität des polnischen Wohnimmobilienmarktes findet im Besonderen ihren Ausdruck in einer geringen Marktvolatilität. Bei Betrachtung des Zeitraums von Anfang der 2000er-Jahre bis heute weist Polen im Vergleich zu den vier ausgewählten Ländern (siehe Grafik) den geringsten Wert für die Volatilität (Standardabweichung) auf. Ein Treiber der nationalen Gesamtentwicklung sind die Metropole Warschau und die größten regionalen Städte (zum Beispiel Lodz, Krakau oder Breslau). Im europäischen Metropolenvergleich wurde im Jahr 2022 das höchste nominale Mietpreiswachstum in Warschau erzielt.

Treiber und Besonderheiten für den Wohnimmobilienmarkt

Die dynamische wirtschaftliche Entwicklung des Landes wird seit Jahren nicht von einer dringend benötigten Verbesserung des Angebots an Wohnungen begleitet. Die vor dem zweiten Weltkrieg gebauten Gebäude und die Plattenbauten der Nachkriegszeit machen ca. 80 % des gesamten Bestandes in den Großstädten aus. Der geschätzte Bedarf an neuen Wohnungen wurde vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine auf ca. 1,5 Mio. geschätzt. Mehrere Millionen schutzsuchende Ukrainer hat Polen aufgenommen und zu großen Teilen in den Arbeitsmarkt integriert. Es wird erwartet, dass ein großer Teil der Flüchtlinge dauerhaft den Lebensmittelpunkt in Polen haben wird. Die Metropolregion Warschau hat vor allem wegen der vielen Flüchtlinge ca. 200.000 neue Einwohner hinzugewonnen (+10 %). Die rasch gestiegene Inflation (11,4 % im Jahr 2023) in Kombination mit einem hohen Zinsniveau für Hypothekenfinanzierungen (Einstände in Höhe von ca. 6 %) setzen den polnischen Mietwohnungsmarkt umso mehr unter Druck.

Neben dem aktuell schwierigen Marktumfeld verändern sich die Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten der jüngeren Generation. Allein die Altersgruppe der 22- bis 40-Jährigen stellt in Polen ca. 35 % der Gesamtbevölkerung. Der Wunsch nach Flexibilität vieler Menschen lenkt den Fokus auf den Mietsektor. Der institutionalisierte und professionell verwaltete Mietwohnungsmarkt (PRS; Private Rented Sector) befindet sich mit lediglich ca. 15.000 Wohneinheiten in einem noch sehr frühen Entwicklungsstadium. Marktprognosen legen nahe, dass Bauaktivitäten das Segment bis auf ca. 40.000 Wohneinheiten wachsen lassen werden. Diese Entwicklung wird allerdings nicht reichen, dem enormen Wohnungsmangel spürbar entgegenzuwirken.

Das private Wohnungseigentum war historisch betrachtet in Polen relativ erschwinglich. Dies hatte zur Folge, dass sich ca. 90 % des Wohnimmobilienbestands im Privateigentum befinden und der institutionelle Mietwohnungssektor quasi nicht existent ist. In Deutschland liegt die Wohneigentumsquote hingegen bei unter 50 %. Die gestiegenen Baukosten und das begrenzte Wohnungsangebot haben dazu geführt, dass sich die Wohnungspreise in den polnischen Großstädten in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt haben (Bestand: 4.000 Euro/m²; Neubau: 5.000 bis 7.000 Euro/m²). Dieses Preisniveau ist vergleichbar mit der deutschen Hauptstadt Berlin.

Auf dem Mietmarkt bestehen allerdings zwischen den Ländern gravierende Unterschiede. In Deutschland sind die Mietverhältnisse sehr stark reguliert und die Mieten regional beschränkt (Stichworte: ortsübliche Vergleichsmiete, Mietspiegel und Kappungsgrenze). Demgegenüber wird das Mietniveau in Polen vonseiten der staatlichen Instanzen nicht reguliert. Mittlerweile haben sich allerdings auf dem polnischen Wohnungsmarkt gewisse Mietvertragsstandards etabliert, die sowohl den Eigentümer der Immobilie als auch den Mieter schützen. Mietverträge werden oft befristet abgeschlossen, so dass erst nach Vertragsende die Miete erhöht oder der Vertrag gekündigt werden kann.

Zusammenfassung

Steigende Preise, die veränderte Einstellung der jungen Bevölkerung und der Zuzug von Schutzsuchenden verändern die Struktur des polnischen Wohnimmobilienmarkts gravierend. Viele Merkmale unterstreichen bereits jetzt eine Ähnlichkeit zur Institutionalisierung des deutschen Mietmarkts. Wertstabile Investments mit geringen Leerständen und Upside-Potenzialen aufgrund steigender Mieten bieten aktuell ein attraktives Umfeld für einen Markteinstieg internationaler Investoren. Erste Investoren sind bereits Vorreiter und profitieren von der Entwicklung von Mietwohnungsportfolios in den Großstädten bei – aufgrund der geringen Volatilität – planbaren Exits. Wegen der eklatanten Knappheit ist das Risiko für Investoren zugleich begrenzt.

Autor: Maximilian Radert, Head of Research and Product Development
KINGSTONE Real Estate

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