Europäische Banken sind besser als ihr Ruf

Europäische Finanzinstitute wurden längere Zeit eher gemieden. Im Interview mit Christian Bettinger, Fondsmanager des Berenberg Credit Opportunities und Leiter Fixed Income Euro flexibel, erläutern wir die Vorteile eines Engagements in diesen Sektor.
1. Juli 2022
Christian Bettinger

Europäische Finanzinstitute wurden längere Zeit eher gemieden. Im Interview mit Christian Bettinger, Fondsmanager des Berenberg Credit Opportunities und Leiter Fixed Income Euro flexibel, erläutern wir die Vorteile eines Engagements in diesen Sektor.

INTELLIGENT INVESTORS: Inflationsdruck, steigende Renditen, der Russland-Ukraine-Konflikt, gestörte Lieferketten – Investoren haben es derzeit nicht leicht. Da stellt sich die Frage, wo man denn etwa als Anleiheinvestor noch interessante Investments findet.
Christian Bettinger: Die Situation ist derzeit in der Tat nicht einfach, aber sie ist nicht unlösbar. Man muss aber sehr genau hinschauen. Eine gute Möglichkeit am Bondmarkt sind etwa die Anleihen der europäischen Finanzinstitute, speziell der Bereich Nachrang‑, Legacy- und CoCos, also Pflichtwandelanleihen. In Anbetracht der hohen Komplexität dieser Segmente empfiehlt sich aber eine Investition über ein breit diversifiziertes Fondsvehikel.

II: Europäische Banken hatten in Bezug auf Rendite und Sicherheit sowohl aktien- als auch anleihenseitig in den letzten Jahren ja nicht gerade den besten Ruf. Das ist Ihrer Meinung also nicht berechtigt?
Bettinger: Das ist es wirklich nicht mehr. Ein Blick in die Bilanzen zeigt, dass die europäischen Banken auf recht soliden Fundamenten stehen. Im Vergleich zur Vor-Lehman-Ära hat sich die durchschnittliche Eigenkapitalquote etwa durch Kapitalerhöhungen und Nachrangemissionen seit 2010 um mehr als sechs Prozentpunkte erhöht. Zeitgleich wurden die Problemkredite in den Büchern signifikant abgebaut. Während die hohe Inflation und Lieferengpässe für europäische Banken kein unmittelbares Problem darstellen, bieten höhere Zinsen und steilere Zinskurven zukünftig ein verbessertes Ertragspotenzial.

II: Aber vieles von dem, was Sie sagen, gilt auch für Industrieunternehmen. Warum mögen Sie trotzdem Banken so gern?
Bettinger: Neben der soliden Bilanzqualität der Banken, kürzerer Duration und besserer Kreditqualität sprechen auch technische Aspekte für ein Engagement in Bank- gegenüber Industrieanleihen. Über die letzten Jahre hat die EZB den Markt durch ihre kontinuierlichen Käufe von Unternehmensanleihen – und nicht Finanzanleihen – gestützt und dem Segment einen Großteil seiner historischen Volatilität genommen. Durch die Rückführung der Ankaufprogramme muss der Markt nun ein neues Gleichgewicht finden, die künstlich niedrig gehaltenen Risikoaufschläge dürften sich ausweiten. Zudem sprechen aufgestaute Investitionen und der grüne Wandel sowie steigende M&A‑Aktivitäten und Aktienrückkäufe für mehr Emissionsdruck bei Industrieunternehmen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Neuemissionsmärkte spätestens seit Ausbruch der Russland-Ukraine-Krise ausgetrocknet sind. Es wäre gut möglich, dass sich über die kommenden Wochen das aufgestaute Angebot wellenartig entlädt und im Sekundärmarkt für merkliche Spreadausweitungen sorgen könnte. Für Finanztitel hingegen sind die Netto-Neuemissionsziele deutlich gedämpfter.

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