Europäische Banken sind besser als ihr Ruf

Europäische Finanzinstitute wurden längere Zeit eher gemieden. Im Interview mit Christian Bettinger, Fondsmanager des Berenberg Credit Opportunities und Leiter Fixed Income Euro flexibel, erläutern wir die Vorteile eines Engagements in diesen Sektor.
1. Juli 2022
Christian Bettinger

II: Es gibt ja eine Vielzahl von verschiedenen Anleihearten. Was finden Sie besonders interessant?
Bettinger: Schon Senior Bankanleihen sind interessant, aber wir sehen Opportunitäten insbesondere im Nachrang-Bereich. CoCo-Anleihen (Pflichtwandelanleihen) europäischer Banken stellen aktuell eine attraktive Anlagemöglichkeit dar. Nahe am Eigenkapital werden diese mit einem fixen Kupon und unendlicher Laufzeit, dafür aber einem Rückkaufrecht seitens der Bank nach frühestens fünf Jahren, emittiert. Selbst wenn nachrangige CoCo-Anleihen dabei mehrheitlich ein Rating im High-Yield-Bereich tragen, zeichnen sich sämtliche europäische Großbanken durch solide Investmentgrade Ratings im Seniorbereich aus. Die Risikoaufschläge sind seit Jahresbeginn deutlich gestiegen und bewegen sich aktuell auf Niveaus nahe der Marktkorrektur im vierten Quartal 2018 oder dem Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020. Aus unserer Sicht stellen sie kurz- bis mittelfristig ein attraktives Einstiegsniveau dar, mit Renditen um 6,1 %. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass falls der Regulator eine Insolvenz für das Finanzinstitut feststellt, eine (Teil-)Abschreibung oder eine Wandlung in Aktien ansteht. Auch sind die Kuponzahlungen eher eine feste Absichtserklärung seitens des Emittenten, jedoch keine Verpflichtung zur Zahlung – auch wenn bislang die Banken immer gezahlt haben. Ein weiteres Risiko besteht, wenn der Emittent die Rückkaufoption nicht ausübt. Gründe hierfür könnten sein, dass der Regulator die Refinanzierung nicht genehmigt oder der Emittent die vorherrschenden Marktkonditionen als nicht attraktiv für eine Refinanzierung der Anleihe bewertet. Beides war in den vergangenen Jahren zwar eher die Ausnahme, kann im Einzelfall aber kurzfristig für deutliche Volatilität sorgen.

II: Sie erwähnten auch Legacy-Anleihen. Was hat es damit auf sich?
Bettinger: Dieses sind alte Nachrangtitel, die nach heutiger Regulierung die Anrechenbarkeit für das Eigenkapital per Ende 2021 verloren haben. Bereits vor Ablauf dieser Frist hatte der Regulator den betroffenen Banken empfohlen, diese zurückzukaufen oder die Vertragsbedingungen zu ändern. Vor diesem Hintergrund sind Legacy Strukturen interessant, da sie häufig deutlich unter Nominalwert handeln und somit nicht selten zweistellige Renditen bei einem Call oder Rückkauf versprechen. Daneben zeichnen sich Legacy-Strukturen als meist variabel-verzinsliche Wertpapiere durch geringere Zinsrisiken und ein niedriges Marktbeta aus und sind damit eine interessante Beimischung für Renten- und Multi-Asset-Portfolios. Dass diese Anlageklasse allerdings auch Risiken birgt, zeigte sich im ersten Quartal 2022. Zwei große Emittenten kündigten an, derzeit nicht zurückkaufen zu wollen und lösten so deutliche Kursverluste bei einigen Legacy-Strukturen aus. Es braucht womöglich Positivbeispiele, um das Vertrauen in diesem Anlagebereich wieder zu stärken. Allerdings winkt entgegen der Aussichten für andere Rentensegmente deutliches Kurspotenzial.

Foto: Christian Bettinger © Berenberg

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