Wir brauchen eine Wertgemeinschaft fürs Wohnen

In diesem Punkt sind sich alle einig: Wir benötigen dringend neuen Wohnraum. Doch trotzdem geht der Bau neuer Wohnungen nur stockend voran. Das liegt daran, dass die Immobilienbranche aktuell mehrere Herausforderungen gleichzeitig bewältigen muss.
30. August 2023
Jörg Kotzenbauer - Foto: © ZBI Zentral Boden Immobilien Gruppe

In diesem Punkt sind sich alle einig: Wir benötigen dringend neuen Wohnraum. Doch trotzdem geht der Bau neuer Wohnungen nur stockend voran. Das liegt daran, dass die Immobilienbranche aktuell mehrere Herausforderungen gleichzeitig bewältigen muss.

Das Thema ESG verändert die Baubranche — und zwar nachhaltig, im wörtlichen Sinne. Immer strengere Nachhaltigkeitsstandards sind beim Bau von Gebäuden zu beachten und bedeuten einen erheblichen Mehraufwand für die Investoren. Nicht nur beim Bau neuer Wohnungen müssen Nachhaltigkeitskriterien erfüllt werden, sondern auch der Bestand ist energetisch zu sanieren. Der Gesetzgeber arbeitet an neuen Gesetzen, die Maßnahmen vorgeben – wie im Falle des Heizungsgesetzes sind die Kosten, die sich daraus für die Baubranche ergeben, häufig über lange Zeit hinweg nur schwer abzuschätzen. Die Projektleiter wünschen sich mehr Planungssicherheit, was sich dadurch bemerkbar macht, dass Transaktionen abnehmen und immer mehr Baustellen stillstehen.

Das alles geschieht auch vor dem Hintergrund, dass wir uns in einer ohnehin herausfordernden politischen und wirtschaftlichen Phase befinden. Nach wie vor muss sich die Immobilienbranche mit den Auswirkungen auseinandersetzen, die die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg auf die Wirtschaft hatten und haben: Lieferketten wurden unterbrochen, es folgte eine Inflation – explodierende Energiepreise, steigende Baukosten und die erhöhten Zinsen haben die Investitionsbereitschaft verkleinert.

Herausforderungen: Wohnungen bauen und Bestand energetisch sanieren

Die Bundesregierung hat sich viel vorgenommen. Sie will 400 000 Wohnungen pro Jahr bauen, um dem Wohnraummangel entgegenzuwirken und gleichzeitig den Gebäudebestand bis zum Jahr 2045 nahezu klimaneutral machen. Um beide Ziele zu erreichen, ist eine ausgefeilte Strategie notwendig. Wenn es ums Energiesparen geht, richtet sich unser Blick nach wie vor noch zu stark auf den Neubau – betrachtet man den Energieverbrauch, so scheinen diese von vornherein energieeffizient geplanten Gebäude zunächst auch die ökologischere Variante zu sein. Dabei wird aber vernachlässigt, dass der Bau neuer Gebäude nur mit hohem Energie- und Ressourcenaufwand zu bewerkstelligen ist. Berücksichtigt man diesen Aspekt, so ist ein sanierter Altbau in der Gesamtbilanz häufig klimafreundlicher. Der Großteil des Wohngebäudebestands, in dem wir in Zukunft leben werden, steht heute schon und zwei Drittel davon stammt aus der Zeit vor der ersten Wärmeschutzverordnung von 1979. Diese Gebäude verfügen folglich über keine Ausstattung zur Verbesserung der Energieeffizienz. Die Bundesregierung hat mittlerweile erkannt, dass wir die Klimaziele nur erreichen können, wenn wir diese Wohngebäude energetisch aufrüsten, und arbeitet aus diesem Grund intensiv an Gesetzen für entsprechende Maßnahmen.

Eigentlich haben alle Akteure der Immobilienbranche gute Gründe, die Verpflichtung, ihre Gebäude energetisch zu sanieren, zunächst einmal positiv zu betrachten. Die meisten Akteure wollen die Umwelt schützen und Investoren können durch eine energetische Sanierung den Wert ihrer Immobilie steigern. Mieter, die in einer energieeffizienten Immobilie wohnen, sparen langfristig Energiekosten.

Doch natürlich gibt es auch einen Punkt, der für Unruhe sorgt: die Kosten. Wird eine Wohnung saniert, dann bedeutet das zunächst einmal Unannehmlichkeiten für die Menschen, die darin wohnen und gleichzeitig gibt die Modernisierungsumlage vor, dass ein Anteil der Kosten auf die Miete umgelegt werden kann. Selbst wenn klar ist, dass sie langfristig Energiekosten sparen, sorgt eine kurzfristig steigende Miete bei den meisten Betroffenen erstmal für Unmut. Mit diesem Unmut muss der Eigentümer oder die Eigentümerin leben – genauso wie mit der Tatsache, dass er oder sie einen Teil der Kosten selbst tragen muss.

Förderprogramme können dabei helfen, Gentrifizierungen zu vermeiden

Gravierend können die sozialen und ökonomischen Auswirkungen verpflichtender Sanierungsmaßnahmen bei Wohnungen aus den 1950er und 1960er Jahren sein, denn gerade diese Immobilien werden häufig sehr günstig vermietet, gleichzeitig sind die Kosten für energetische Sanierungen hier oft sehr hoch. Langfristig betrachtet bleibt den Eigentümern, auch angesichts der Energiekosten, keine Alternative, als zu sanieren – gleichzeitig dürfte es aber im Sinne der meisten Verwalter sein, ihre Mieterschaft zu halten. An dieser Stelle ist die Bundesregierung gefragt: eine gezielte und sozial faire Förderung der Sanierungsmaßnahmen kann eine Gentrifizierung verhindern.

Wir brauchen eine Wertgemeinschaft fürs Wohnen 

Der Schutz der Umwelt sollte von allen Akteuren der Immobilienwirtschaft prioritär behandelt werden. Uns bleibt keine Zeit, um darüber zu diskutieren, ob Sanierungsmaßnahmen notwendig sind oder nicht. Auf das Gebäudesegment entfallen etwa 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und um dies zu verändern, müssen wir zuerst den Bestand energetisch sanieren. Die entsprechenden Maßnahmen umzusetzen, wird nicht günstig – und alle Beteiligten sollten an einem Strang ziehen, um die Kosten zu stemmen. Wir benötigen eine neue Wertgemeinschaft, die sich bewusst mit dem Thema Wohnen auseinandersetzt und die Umgestaltung des Immobiliensektors vorantreibt und sich an den Zielen einer sozialen Marktwirtschaft orientiert – davon sind wir als ZBI-Gruppe überzeugt. Diese Wertgemeinschaft muss sich gleichzeitig darauf verlassen können, dass die Politik weiterhin an einem pragmatischen und praxisnahen Rahmenwerk arbeitet, das auch die sozioökonomischen Folgen berücksichtigt.

Gastautor: Jörg Kotzenbauer, CEO der ZBI Zentral Boden Immobilien Gruppe

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