US-Unternehmen trotzen höheren Zinssätzen

21. Juni 2023
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Die Einschätzungen zum US-Markt gehen derzeit weit auseinander: Einige Marktteilnehmer erwarten eine Rezession mit fallenden Aktienkursen, andere rechnen mit sinkenden Zinsen und soliden Börsen. Was also gibt dem Global Equity Team von RBC BlueBay Anlass zu Optimismus in Bezug auf den Markt und die Unternehmen, in die es investiert?

Obwohl die letzten Quartale herausfordernd waren, scheinen sich die Aussichten unserer Ansicht nach zu verbessern, da die Zinsentwicklung wahrscheinlich ihren Höchststand erreicht hat und es Anzeichen für einen nachlassenden Inflationsdruck gibt. Die Inflationsrate in den USA ist im April erneut leicht gesunken und liegt nun bei 4,9 %. Dies dürfte jedoch den Druck auf die US-Währungshüter nicht verringern – die aktuellen Zahlen liegen noch deutlich über dem Zielwert von 2 %. Anfang Mai hob die US-Notenbank die Zinssätze wie erwartet um 25 Basispunkte auf eine Spanne von 5,0 bis 5,25 % – das höchste Niveau seit 16 Jahren. Sie wies darauf hin, dass die Banken die Kreditvergabe einschränken und dass sie den Umfang ihrer Bilanz reduzieren wird, so dass die monetären Bedingungen angespannt bleiben und sich wohl noch verschärfen werden. Die Reaktion des Marktes auf diese Nachricht war verhalten.

Gleichzeitig deutete die Fed eine Zinspause für den Sommer an, da sie neue Wirtschaftsdaten abwarten will. Dies ist jedoch nicht in Stein gemeißelt. John Williams, der einflussreiche Leiter des Federal Reserve District of New York, sagte es unverblümt: „Die Fed hat nicht gesagt, dass sie die Zinsen nicht mehr anheben wird.“ Tatsache ist, dass ein Anstieg der Zinssätze die Kreditvergabe verteuert. Das dämpft die Wirtschaftsleistung. Obwohl der Fed-Vorsitzende Jerome Powell eine Rezession für unwahrscheinlicher hält, zeigen die erhöhten Zinsen bereits Wirkung. Die Nachfrage nach Privat- und Unternehmenskrediten geht zurück.

Ein Wandel der Wettbewerbsdynamik
Die jüngsten Ereignisse im US-Bankensektor haben ebenfalls dazu beigetragen und führten zu einer veränderten Wettbewerbsdynamik in der Branche. Die Geschwindigkeit, mit der dies geschah, war ein Schock für die betroffenen Unternehmen, die Anleger und die Regulierungsbehörden gleichermaßen. Branchen verändern
sich natürlich, aber meist schrittweise. Derzeit erleben wir, wie sich die Branche in kleinere Regionalbanken und größere, systemrelevante Banken aufteilt. Zuvor hatten kleinere Banken einen Wettbewerbsvorteil, weil sie näher an ihren Kunden waren, einen besseren Kundenservice boten, relevantere Produkte und Services anboten und aufgrund ihrer Verankerung in der Gemeinde in der Lage waren, lokale Risiken besser einzuschätzen. Diese Vorteile sind nun jedoch einem Wettbewerbsnachteil gewichen. Für Einleger besteht nun ein wirtschaftlicher Anreiz, zu einem größeren Institut zu wechseln, das eine implizite Garantie hat und als „too big to fail“ gilt. Dies könnte zu einer Beeinträchtigung der Rentabilität kleinerer Regionalbanken führen und zwar aus zwei Gründen: Erstens werden diese Banken höhere Zinssätze anbieten müssen, um ihre Einlagen zu halten, was ihre Kosten erhöht und ihre Nettozinsmarge drückt. Zweitens wird die Regulierung wahrscheinlich schärfer werden, besonders im Hinblick auf die Verwaltung der Liquidität und die Kreditvergabestandards, und auch das ist wahrscheinlich mit Kosten verbunden. Dies könnte jedoch viel weitreichendere Folgen haben, da es das Risiko einer Kreditklemme in den USA erhöht, was die US-Wirtschaft insgesamt bremsen könnte. Ein starker Rückgang der Verfügbarkeit von Krediten treibt die Finanzierungskosten für Unternehmen und Haushalte in die Höhe und könnte so die Wirtschaft einbremsen.

Für langfristige Anleger, die nach Unternehmen mit einem starken Wettbewerbsvorteil suchen, die über solide Bilanzen und einen geringen Verschuldungsgrad verfügen, ist die neue Wettbewerbsdynamik in der Branche merkbar, und schließlich ist da noch die Frage der Schuldenobergrenze. Bis Redaktionsschluss haben sich Demokraten und Republikaner noch nicht auf eine Erhöhung verständigen können. Zwar wurde bislang in vergleichbaren Situationen immer eine Einigung erzielt. Das politische Ringen um eine Lösung könnte jedoch mit Schwankungen an den Aktienmärkten einhergehen.

Hohe Löhne, niedrige Arbeitslosigkeit
Bisher gibt es in den USA keine ausgeprägten rezessiven Tendenzen. Es ist immer noch reichlich Geld im Umlauf, der Immobilienmarkt hält weiter stand, der Konsum ist trotz steigender Zinsen robust und vor allem der Arbeitsmarkt hat sich kaum abgekühlt. Alles in allem bleiben die Gewinnmargen der Unternehmen im Durchschnitt hoch. Die Unternehmen locken weiter mit Lohnerhöhungen und beginnen angesichts der vielen offenen Stellen nur zögerlich mit dem Abbau von Arbeitsplätzen.

Das ist im Prinzip nichts Schlechtes: Der US-Autoteilehändler Auto-Zone zum Beispiel hat während der Corona-Krise trotz Lockdown keine Mitarbeiter entlassen. Kurzfristig war das schwierig. Weil Kosten anfielen, der Umsatz aber ausblieb, waren die Quartalszahlen schwach. Die Aktie wurde abgestraft. Längerfristig war die
Strategie jedoch erfolgreich. In den drei Jahren seit dem Frühjahr 2020 ist der Aktienkurs um über 140 % gestiegen (Stand: 18. Mai 2023). Andere Unternehmen dagegen haben zu schnell Personal abgebaut und suchen nun angesichts des angespannten Arbeitsmarktes händeringend nach Fachkräften.

Attraktives Aufwärtspotenzial
Wir bei RBC Bluebay AM sehen bei Aktien noch viel Aufwärtspotenzial. Anleger sollten stets zwei Aspekte berücksichtigen, wenn sie über den Wert von Aktien nachdenken: erstens, was sie bezahlen, und zweitens, was sie bekommen. Was sie zahlen, wird durch den Diskontsatz eines Unternehmens beeinflusst, der natürlich
mit steigenden Zinsen einhergeht. Was sie bekommen, hängt von den Gewinnen der einzelnen Unternehmen ab, und wie die großen Firmen die Chancen des Wandels nutzen – sie nutzen etwa ihre Preissetzungsmacht im Vergleich zu anderen Unternehmen, um ihre Margen zu verteidigen. Wir halten daher kontinuierlich Ausschau nach stabilen Unternehmen mit starker Kundenbindung und robusten Marken. Dies gilt insbesondere für die USA, wo es viele starke, globale Marken gibt wie PepsiCo, T‑Mobile US und Thermo Fisher. Solche Unternehmen werden in der Lage sein, ihr Potenzial zu nutzen, um ihre Preissetzungsmacht zu demonstrieren und ihre Margen zu verteidigen, während sie gleichzeitig die Umsätze steigern.

Wir konzentrieren uns auf nicht-bilanzierte Faktoren, die Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, etwa die Beziehungen zu ihren Kunden, Lieferanten und der Gemeinschaft oder die Fähigkeit, Talente anzuziehen und zu halten. Solche Faktoren sind nicht in den Jahresabschlüssen sichtbar, aber sie haben das Potenzial,
langfristig die Geschäftsergebnisse eines Unternehmens bestimmen. Fragt man Unternehmer oder Gründer, was ihr Unternehmen ausmacht, werden sie sicher nicht mit einer finanziellen Kennzahl antworten. Stattdessen nennen sie intangible Vermögensgegenstände wie die Mitarbeiter, die Innovationskraft, den besonderen Kundenservice oder ähnliches. Und diese „weichen“ Faktoren liefern handfeste Ergebnisse. So hat beispielsweise ein Portfolio von Unternehmen, die vom US-Wirtschaftsmagazin Forbes als beste Arbeitgeber ausgezeichnet wurden, den S&P 500 Index seit 1998 um mehr als 150 Prozentpunkte übertroffen.

Insgesamt sind wir der Meinung, dass sich der Markt zu sehr auf steigende Zinsen und den damit verbundenen Gegenwind konzentriert, und dies bietet Chancen für fundamentale Stockpicker wie uns. Kurz gesagt: Der Gegenwind kann sich in Rückenwind verwandeln.

Blick nach vorn
Wir stellen fest, dass die aktuellen Markterwartungen davon ausgehen, dass die US-Zinsen noch 2023 ihren Höhepunkt erreichen und dass sich die globale Makroökonomie allmählich der neuen Normalität nach COVID-19 anpasst. Diese Dynamik dürfte hilfreich sein, da sich die Aufmerksamkeit der Anleger wieder auf die Unternehmen richtet und die Wertschöpfung aus Eventualvermögen wieder erkannt wird. Wir sind überzeugt, diese Wertschöpfung ist latent in den Unternehmen vorhanden und kann nicht ewig verborgen bleiben. Dies bedeutet erhebliches Alpha-Potenzial und dass die derzeitige, kurzfristige Ausrichtung des Marktes nicht nachhaltig ist. Wir konzentrieren uns daher weiterhin darauf, ein hochwertiges Portfolio zusammenzustellen und dieses Alpha zu nutzen, sobald es sich abzeichnet.

Autor: Kilian Niemarkt
Client Portfolio Manager, Global Equity Team
RBC BlueBay Asset Management

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