Nachhaltigkeit kann für manche Unternehmen zum Problem werden

2021 waren risikobehaftete Wertpapiere gefragt wie selten. Am 24. November schrieb die Bank of America, dass dieses Jahr so viel Kapital in internationale Aktienfonds geflossen ist wie in den letzten 19 Jahren zusammen, ein Drittel davon in Fonds mit einem ESG- oder Nachhaltigkeitssiegel. Bei Credits sei es ähnlich gewesen.
17. Januar 2022
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2021 waren risikobehaftete Wertpapiere gefragt wie selten. Am 24. November schrieb die Bank of America, dass dieses Jahr so viel Kapital in internationale Aktienfonds geflossen ist wie in den letzten 19 Jahren zusammen, ein Drittel davon in Fonds mit einem ESG- oder Nachhaltigkeitssiegel. Bei Credits sei es ähnlich gewesen.

Viele Investoren scheinen eine nachhaltige Unternehmensführung für die Win-win-Situation schlechthin zu halten. Wenn etwa die Mitarbeiter besser bezahlt würden, so das Argument, stiegen Umsatz und Produktivität, sodass letztlich die Kosten fielen. Und Emissionssenkungen wären nicht nur gut für das Klima, sondern auch für die Unternehmensgewinne. Bei Unternehmen, die schon jetzt nachhaltig wirtschaften oder sich auf Neues einstellen können, mag das stimmen. Für viele andere sind Veränderungen aber nicht ohne Risiko – und sie können teuer werden.

In den letzten Jahrzehnten haben viele mäßig wettbewerbsfähige Anbieter von Standardprodukten und Standarddienstleistungen ihre Gewinne vor allem zulasten von Umwelt, Zulieferern, Arbeitnehmern, Anleihegläubigern und anderen Stakeholdern gesteigert. Weil Nachhaltigkeit immer wichtiger wird, dürfte dies aber immer schwieriger werden, und vielleicht kehrt sich die Entwicklung sogar um. Gewinne und Gewinnmargen geraten dann unter Druck. Vermutlich ist kurzsichtigen Investoren oft gar nicht bewusst, dass viele Unternehmen dadurch ernste Probleme bekommen. Nachhaltigkeit gibt es nicht umsonst. Wir meinen, dass der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit für viele Firmen eine Herausforderung ist. Manche könnten daran scheitern.

Trendbeschleuniger

Corona hat viele Langfristtrends beschleunigt. Das gilt für die Digitalisierung ebenso wie für Cloud-Computing und Homeoffice. Zugleich gibt es noch mehr Einsamkeit und Vermögensungleichheit. Und Investoren legen immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit.

Immer mehr Unternehmen erkennen daher, dass sie nachhaltiger werden müssen. Abbildung 1 zeigt die Anzahl der Unternehmen weltweit, die in ihren Ergebnis-Telefonkonferenzen eines der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele erwähnt haben. Diese von der UN-Vollversammlung 2015 verabschiedeten Ziele sollen weltweit für mehr Lebensqualität sorgen. Die Unternehmen haben verstanden!

Abb.1: Immer mehr Unternehmen beziehen sich auf die UN-Nachhaltigkeitsziele

Quelle: Goldman Sachs, GS Sustain, „Investing in the Sustainable Development Goals“, Aktualisierung vom 5. Oktober 2021. Angaben für 2021 bis zum 5. Oktober. SDGs: Sustainable Development Goals.

Warum ist das wichtig?

Aus vielerlei Gründen ist ESG für die Zivilgesellschaft, Regierungen und bestimmte Interessengruppen gleichermaßen relevant. Am wichtigsten ist ESG aber für unsere langfristige Lebensqualität. Wenn Klimawandel oder Einkommensungleichheit aus dem Ruder laufen, kann das enorme soziale Folgen haben. Es überrascht nicht, dass immer mehr Investoren die Relevanz von ESG für die Unternehmensgewinne und den Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und finanziellem Erfolg erkennen. Immer häufiger werden die Begriffe „ESG“ und „Kosten“ in den Geschäftsberichten zusammen genannt.

Abbildung 2: Immer mehr Unternehmen erkennen den Zusammenhang zwischen ESG und Kosten

Quelle: Deutsche Bank, Stand 30. September 2021. Anmerkung: Nennung beider Begriffe in fünf aufeinanderfolgenden Wörtern.

Die Relevanz entscheidet

Nachhaltigkeit sorgt für neue Geschäftschancen, ist aber für manche Unternehmen auch ein Risiko. Deshalb entwickeln sich die Bewertungen so stark auseinander. Zurzeit wird die finanzielle Relevanz von ESG-Themen aber oft übersehen, obwohl sie natürlich Auswirkungen auf die Kurse hat. Der weltweite Arbeitskräftemangel scheint eine Folge der Pandemie und der Konjunkturprogramme zu sein.

Dennoch kann man ihn nicht losgelöst vom ESG-Trend betrachten. Noch vor wenigen Jahrzehnten stärkten Globalisierung und Automatisierung die Position der Unternehmen gegenüber ihren Mitarbeitern. Doch im letzten Konjunkturzyklus, als die Unternehmen mit Zinsen nahe null zu Neueinstellungen animiert werden sollten, entschieden sich die CFOs für Aktienrückk.ufe. Das führte zu einer Einkommensungleichheit, wie sie die meisten von uns noch nicht erlebt hatten. Die Investoren wurden reich, die Arbeitnehmer fielen zurück. Jetzt hat sich das geändert, und die Arbeitnehmer werden wieder selbstbewusster. Sie fordern höhere Löhne und bekommen sie auch – eigentlich keine Überraschung.

Die Förderer und Nutzer fossiler Brennstoffe haben es unterdessen nicht leicht. Im Ölsektor setzen viele auf die wachsende Mittelschicht in den Emerging Markets. Sie hoffen, dass dadurch die Nachfrage steigt und der Status quo noch einige Zeit erhalten bleibt. Aber zwei Drittel der Ölnachfrage entfallen auf Autos mit Verbrennungsmotoren, die wohl schon recht bald obsolet werden. Schwerfällige Organisationen, die sich nur langsam ändern, dürften dies kaum überstehen.

Wenn uns die letzten 100 Jahre eines gelehrt haben, dann dies: Technischer Fortschritt ist nicht gut für alteingesessene Unternehmen. Der Nachhaltigkeitstrend sorgt aber für enormen Wandel, ähnlich der industriellen Revolution oder dem Internet. Er wird Gesellschaft und Investmentwelt auf Jahrzehnte prägen. Aber Nachhaltigkeit gibt es nicht umsonst. Es wird Gewinner geben, aber auch große Verlierer. Zu allem Überfluss entsteht das neue Paradigma in einer Zeit, in der die Risikoprämien niedrig sind wie nie. Umso wichtiger ist eine verantwortungsvolle Kapitalanlage.

Autoren: Robert M. Wilson, Jr., Research Analyst & Robert M. Almeida, Jr., Portfolio Manager und Globaler Investment Stratege bei MFS Investment Management

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