Die Entdeckung der Langfristigkeit

Das Ende des breiten Immobilienbooms lenkt den Blick zurück auf die Rolle der Anlageklasse bei der Lösung langfristiger Herausforderungen. Den Investoren, die sich von der kurzfristigen Perspektive der vergangenen Jahre lösen, bieten sich gerade jetzt große Chancen.
14. Juli 2023
Thomas Kotyrba - Foto: ©BNP Paribas Real Estate Investment Management / Kurt Krieger

Das Ende des breiten Immobilienbooms lenkt den Blick zurück auf die Rolle der Anlageklasse bei der Lösung langfristiger Herausforderungen. Den Investoren, die sich von der kurzfristigen Perspektive der vergangenen Jahre lösen, bieten sich gerade jetzt große Chancen.

Ein mehr als zehn Jahre währender, breit angelegter Boom der Immobilienmärkte ist abrupt zu Ende gegangen. Die positive Marktdynamik ist zum Erliegen gekommen, mit teils deutlichen Korrekturen bei den Bewertungen und Angebotspreisen. Nachdem die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Immobilienmärkte zunächst überschaubar blieben, haben der Angriff Russlands auf die Ukraine, der rapide Anstieg der Inflation, das Anziehen der Fremdkapitalkosten und die trüben Konjunkturaussichten viele Investoren in Schockstarre versetzt. Jahrelang hatten sie sich an fast ausschließlich steigende Bewertungen gewöhnt – und nun wird deutlich, dass unerwartete Ereignisse das Bild völlig verändern können.

Solche externen Schocks mit heftigen ökonomischen Auswirkungen kamen schon in der Vergangenheit mehrfach vor, und es besteht kein Anlass zu der Annahme, dass sie in Zukunft seltener auftreten werden. Zur Verunsicherung trägt bei, dass Prognosen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung weiterhin mit großen Unsicherheiten behaftet sind.

Damit ist auch ungewiss, wann die Preisanpassungen an den Immobilienmärkten beendet sein werden. Zurzeit sind sie noch im Gange, und häufig liegen die Vorstellungen von Verkäufern und Käufern teils weit auseinander.

Der Immobilienmarkt profitiert von säkularen Trends

Überreaktion und Zurückhaltung bei vielen Marktteilnehmern bieten mutigeren Investoren Chancen. Denn Immobilien sind häufig resilienter gegenüber widrigen Entwicklungen des ökonomischen Umfelds als andere Anlageklassen. Bestimmte Immobilienarten bleiben auch in Rezessionsszenarien gefragt, und steigende Zinsen sowie Baukosteninflation sorgen dafür, dass sich die Angebotslücke eher vergrößert.

Wenn sich der Fokus vom kurzfristigen Wachstumsmomentum nun auf langfristige Wertentwicklung verlagert, passt das viel besser zur langlebigen, illiquiden Anlageklasse Immobilien. Für viele Investoren, die Immobilienanlagen erst vor wenigen Jahren entdeckt haben, macht das ein Umdenken erforderlich. Kurzfristige Investitionsstrategien, deren Erfolg in hohem Maße von niedrigen Fremdkapitalkosten und einem florierenden Investmentmarkt abhängig sind, sind momentan nicht umsetzbar und werden auch zukünftig einen schwereren Stand haben. Investoren müssen sich nun noch stärker als bislang von Fundamentaldaten und grundsätzlichen Trends leiten lassen.

Dabei treten langfristige Trends immer stärker in den Vordergrund, die bereits seit einiger Zeit wirken, aber bislang in den Anlagestrategien eine untergeordnete Rolle spielten – entweder, weil kurzfristige Marktchancen im Vordergrund standen oder weil es an entsprechenden Produkten fehlte.

Viele Bereiche des Immobilienmarkts profitieren von säkularen Entwicklungen, die Gesellschaft und Wirtschaft dauerhaft verändern und das Leben der Menschen über die kommenden Dekaden spürbar beeinflussen werden. Dazu zählen unter anderem der Klimawandel, der demografische Wandel, die Digitalisierung oder auch der Wertewandel. Diese Entwicklungen werden auf absehbare Zeit weiter an Bedeutung gewinnen. Im Immobilienbereich verändern sie die Präferenzen der Nutzer nachhaltig und verschaffen bestimmten Immobilienarten einen starken Bedeutungszuwachs.

Wachsendes Produktangebot

Zwar sind diese Trends bereits seit Längerem bekannt, jedoch waren die Möglichkeiten, in sie zu investieren, stark eingeschränkt. In den vergangenen Jahren hat sich das geändert. Gerade im Immobilienbereich haben Entwickler zahlreiche Produkte auf den Markt gebracht, die explizit darauf abzielen, von Langfristtrends zu profitieren, und die auf die Bedürfnisse institutioneller Investoren zugeschnitten sind. Der schon lange hohe Nachfrageüberhang nach passenden Anlageprodukten trifft damit auf ein wachsendes Produktangebot.

Ein Beispiel dafür sind sogenannte Gesundheitsimmobilien, wozu unter anderem Kliniken, Rehazentren und insbesondere Pflegeheime zählen. Es ist offensichtlich, dass solche Einrichtungen vor dem Hintergrund der alternden Bevölkerung in den vielen Volkswirtschaften eine immer wichtigere Rolle spielen werden und enorme Investitionen erfordern. Allerdings gab es bis vor einigen Jahren nur sehr begrenzte Möglichkeiten für Investoren, sich an den entsprechenden Immobilienangeboten zu beteiligen. Insbesondere in Deutschland, wo Gesundheit und Pflege stärker als in den meisten anderen Ländern von staatlichen Trägern dominiert werden, war das Segment Healthcare daher bis vor Kurzem keine institutionalisierte Assetklasse. In den zurückliegenden Jahren haben Entwickler jedoch das Potenzial vermehrt erkannt und Objekte auf den Markt gebracht, die den Bedürfnissen institutioneller Investoren Rechnung tragen. Mit zunehmender Professionalisierung dürfte der Markt für Gesundheitsimmobilien-Investments in Deutschland und Europa daher deutlich wachsen. Das sollte insbesondere vor dem Hintergrund eines wachsenden Individualismus-Bedürfnisses der Menschen passieren, welches ausdifferenziertere Immobilienangebote als in der Vergangenheit erfordert.

Professionalisierung und Ausdifferenzierung des Markts

Im Bereich Nachhaltigkeit sorgen Regulierung und Anlegerpräferenzen für eine zunehmende Nachfrage nach Investmentprodukten, der jedoch in den vergangenen Jahren ein unzureichendes Angebot gegenüberstand. In jüngster Zeit nimmt auch dort die Entwicklung von Produkten, die in die Portfolios institutioneller Investoren passen, deutlich Fahrt auf. Dafür sorgen auch technologische Entwicklungen. Die Digitalisierung und die zunehmende Verbreitung von Sensoren in Gebäuden machen ökologische Effekte baulicher Maßnahmen oftmals überhaupt erst messbar und quantifizierbar. Die Einbindung von PropTechs und deren Plattformen setzt dann auch bei der Optimierung der reinen Verbrauchsdaten an. Jene Objekte und jene Asset Manager mit entsprechenden Kenntnissen werden damit für dediziert nachhaltige Portfolios attraktiver.

Mit der Fortentwicklung der EU-Taxonomie werden unserer Auffassung nach in den kommenden Jahren neben dem Thema Klimaschutz auch Fragen der sozialen Nachhaltigkeit immer mehr in den Vordergrund rücken. Ein gesellschaftlich besonders dringliches Thema ist das Angebot an bezahlbarem Wohnraum. Da die Realeinkommen aktuell sinken, die Baukosten steigen und die Bautätigkeit lahmt, wird die Angebotslücke bei kostengünstigen Wohnungen in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Der Einsatz neuer Methoden des seriellen und modularen Bauens kann den Markt entspannen und dürfte daher zu einem immer wichtigeren Investmentthema werden.

Im Austausch zwischen Immobilienentwicklern und Investoren entstehen zurzeit zunehmend Projekte, die auf kreative Weise auf mehrere Langfristtrends zugleich einzahlen. Ein interessantes Beispiel dafür ist der sogenannte Mehrgenerationen-Campus, der Altenpflege, Kinderbetreuung, „normales“ Wohnen, Gesundheitsinfrastruktur und Einzelhandel miteinander kombiniert. Konzepte wie dieses tragen dem demografischen Wandel Rechnung und bedienen zugleich vielfältige Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit. Außerdem ermöglichen sie erhebliche Kostensynergien möglich.

Die Orientierung an langfristigen Trends führt auch zu einem Aufbrechen traditioneller Investmentsegmente. So hat sich mit der Digitalisierung des Einzelhandels die Logistikimmobilie als attraktives eigenständiges Segment etabliert. Derzeit noch unterversorgt ist der Markt für sogenannte Last-Mile-Logistikimmobilien. Diese unterscheiden sich in Bezug auf bauliche Anforderungen, Standort und Risikoprofil grundlegend von herkömmlichen Logistikzentren.

Das Ende des aktuellen Immobilienzyklus lenkt den Blick institutioneller Investoren wieder stärker auf die langfristigen Treiber des Markts. Im Dialog mit Entwicklern entstehen neue Produkte, Segmente und Subsegmente, die säkulare Herausforderungen in Angriff nehmen.

Produkte, die langfristigen Trends folgen und damit diese gesellschaftlichen Herausforderungen adressieren, rücken für Investoren stärker in den Fokus. Die Orientierung an Langfristtrends wird bei vielen Investoren den kurzfristigen Wachstumsfokus der vergangenen Jahre ablösen.

Gastbeitrag von Thomas Kotyrba, Leiter Research & Strategy, BNP Paribas Real Estate Investment Management Germany

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