“Deutschland ist sicher krank, aber heilbar, wenn der Hebel entschlossen umgelegt wird”

Europa und im Besonderen die deutsche Volkswirtschaft sind immer einen Blick wert. Insbesondere vor dem Hintergrund der eher unterdurchschnittlichen Performance in den vergangenen Jahren. Wie ist es demnach um den Kontinent und unser Land bestellt? Gerrit Heinz, Leiter Portfoliomanagement von Bellevue Asset Management, stellte sich den Fragen im Interview.
29. Januar 2024
Gerit Heinz - Foto: © Bellevue Asset Management

Europa und im Besonderen die deutsche Volkswirtschaft sind immer einen Blick wert. Insbesondere vor dem Hintergrund der eher unterdurchschnittlichen Performance in den vergangenen Jahren. Wie ist es demnach um den Kontinent und unser Land bestellt? Gerit Heinz, Leiter Portfoliomanagement von Bellevue Asset Management, stellte sich den Fragen im Interview.

INTELLIGENT INVESTORS: Herr Heinz, wie blickt die internationale Wirtschaft auf Europa und speziell Deutschland?

Gerit Heinz: Europa wird als alternder Kontinent mit alternden Industrien wahrgenommen und daher auch  zunehmend weniger als Investitions- denn als Absatzmarkt. Bei den großen Neuerungen und Innovationen wie künstlicher Intelligenz ist Europa nicht vorne mit dabei. Bislang führende Technologien aus Europa und speziell Deutschland wie beispielsweise die Automobilindustrie laufen Gefahr im Zuge der Umstellung auf Elektromobilität von Wettbewerbern aus China überholt zu werden, die zunehmend in die internationalen Märkte drängen. Zwischen den USA und China droht Europa ins Hintertreffen zu geraten, wenn es nicht einiger, weniger bürokratisch und insgesamt wirtschaftsfreundlicher agiert.

II: Mit Blick auf Deutschland – ist es „richtig“, vom kranken Mann Europas zu sprechen?

Heinz: Zu Beginn der 2000er Jahre war Deutschland bereits einmal der kranke Mann Europas. Die Strukturreformen von Gerhard Schröder verbunden mit der Verlängerung der deutschen Produktionsketten in die osteuropäischen Nachbarländer haben zusammen mit günstiger Energie zu einem wirtschaftlichen Aufschwung geführt. Unter der folgenden Regierung wurden allerdings einige Reformen wieder zurückgedreht und der Fokus mehr auf konsumtive als auf investive Ausgaben verlagert. Strukturreformen fanden praktisch nicht statt. Die Energiekosten sind nach dem Ende der billigen Energie aus Russland und auch aufgrund des deutschen Sonderwegs auf die Atomkraft zu verzichten im internationalen Vergleich zu hoch für ein Land mit energieintensiven Industrien. Deutschland hat ein schwaches Wachstum und die Industrieproduktion ist niedriger als vor COVID-19. Insofern ist Deutschland sicher krank, aber heilbar, wenn der Hebel entschlossen umgelegt wird. Dazu müsste allerdings Einigkeit in der Politik herrschen, wonach es momentan nicht aussieht. Der Fokus liegt zwar immer auf Deutschland als größter Volkswirtschaft Europas. Die anderen europäischen Länder stehen aber teilweise vor ähnlichen Herausforderungen und können nicht unisono als kerngesund bezeichnet werden.

II: Wie stehen die europäischen Hidden Champions im internationalen Vergleich dar? 

Heinz: In Europa gibt es eine Menge Hidden Champions und diese können auch im internationalen Wettbewerb bestehen. Häufig sind das kleine und mittelgroße Unternehmen. Small und Mid Caps, insbesondere in Europa, sind nach wie vor günstig bewertet und ein freundlicheres Zinsumfeld sollte ihnen zugutekommen. Unternehmen, welche von einem Unternehmer oder einer Unternehmerfamilie maßgeblich beeinflusst werden, sind aus unserer Sicht besonders attraktiv. Eigenschaften wie kurze Entscheidungswege, nachhaltige Geschäftspolitik und starke Unternehmerkultur führen zu Innovationseffizienz, hoher Produktqualität sowie starker Kundenbindung und wirken sich nachweislich positiv auf den Aktienkurs aus.

II: Abschließend – was erwarten Sie auf der Zinsseite 2024?

Heinz: Der Höhepunkt der Inflationsraten liegt hinter uns, aber die Inflation ist noch nicht besiegt. Zweitrundeneffekte in den Lohnrunden könnten zu einem erneuten Auflodern führen. Strukturelle Faktoren wie die Demographie oder auch weniger Globalisierung wirken langfristig auf die Inflation. Die Notenbanken dürften zwar die Zinsen im Jahresverlauf senken, aber das momentan am Markt erwartete Ausmaß der Zinssenkungen erscheint übertrieben.

SOCIAL MEDIA

RECHTLICHES

AGB
DATENSCHUTZ
IMPRESSUM
© wirkungswerk
ALLE RECHTE VORBEHALTEN

Anmeldung zum Newsletter