Der Teufel steckt im Detail

Es sind drei Buchstaben, die die Finanzindustrie zunehmend revolutionieren. ESG. ESG-konforme-Produkte sind gefragter denn je zuvor und ein größeres Angebot trifft auf eine steigende Nachfrage. Doch die Vielfalt an nicht-finanziellen Daten, die zu den traditionellen Kennzahlen hinzutreten, kann die letztliche Entscheidung für oder wider ein Produkt auch erschweren.
18. Juni 2021

Es sind drei Buchstaben, die die Finanzindustrie zunehmend revolutionieren. ESG. ESG-konforme-Produkte sind gefragter denn je zuvor und ein größeres Angebot trifft auf eine steigende Nachfrage. Doch die Vielfalt an nicht-finanziellen Daten, die zu den traditionellen Kennzahlen hinzutreten, kann die letztliche Entscheidung für oder wider ein Produkt auch erschweren.

Es ist mehr als chic geworden, sich „grün“ zu geben. Heute an zukünftige Generationen zu denken, schonend mit den knappen Ressourcen umzugehen und eine Symbiose von Rendite und nachhaltigem Anlegen. Landauf und landab nehmen Konzerne wahr, dass sich in der Wahrnehmung vieler Bürger etwas geändert hat. Sie möchten mit gutem Gewissen möglichst ertragreich anlegen. Und die Unternehmen ihrerseits erkennen die weiteren Chancen, die ESG-konformes Handeln mit sich bringt und implementieren das Thema tief in ihren Geschäftsmodellen. Dabei dreht sich nicht alles um das „E“ im Dreiklang; nein, auch die soziale und unternehmenspolitische Verantwortung sind letztlich relevanter denn je. Diejenigen, die beispielsweise durch eine mangelhafte Unternehmensführung auffallen, werden medial abgestraft. Corporate Governance: Der vor beinahe 20 Jahren eingeführte Corporate-Governance-Kodex für Familienunternehmen ist jetzt nach 2010 und 2015 bereits zum dritten Mal überarbeitet worden. Zwar waren vor 17 Jahren nicht alle Familienunternehmer begeistert. Doch jetzt sind sich alle einig, dass es ein gutes Unterfangen war, das stetig auf den aktuellsten Stand gebracht werden sollte. Einigen börsennotierten Unternehmen wird immer wieder vorgeworfen, sich nur unzureichend an die Regeln zu halten. Das betrifft auch das Vorstands-Aufsichtsrat-Modell.

Und auch wenn die soziale Komponente vielleicht schwerer zu fassen/messen ist, so ist sie doch durchaus bedeutsam. Denn nur wer den Dreiklang aus Ökonomie und Ökologie kombiniert mit gesellschaftspolitischer Verantwortung richtig beherrscht, ist im 21. Jahrhundert richtig aufgestellt. Für viele Investoren stellt sich nun die Frage, wo exakt die Trennlinie zwischen nachgewiesenem, nachhaltigem Investieren und bloßer Augenwischerei verläuft. Greenwashing ist mitunter verbreiterter als viele denken. Greenwashing ist eigentlich, so muss man es festhalten, Betrug am Verbraucher respektive Investoren: Denn man kauft ein Produkt in dem Glauben, nachhaltig zu handeln, wird aber mit falschen Versprechen getäuscht. Ist hier ein Siegel das einzig geltende Mittel der Wahl? Eine Orientierung, aber keine Garantie. Denn der Fonds ist womöglich als ökologisch zertifiziert, aber es ist ein „Best-in-Class-Ansatz“ oder aber die Lieferketten fallen nicht darunter. Und auch nicht jede ESG-Maßnahme scheint das zu bewirken, was viele sich davon erhoffen.

Rasanter Anstieg

Eine aktuelle Studie der Fondsgesellschaft Franklin Templeton geht den verschiedenen ESG-Einflussfaktoren und deren jeweiligen Auswirkungen auf den Grund. Zur besseren Einordnung: Rund 30 Bio. US-Dollar an verwalteten Vermögenswerten berücksichtigen heute irgendeine Form von ESG-Faktoren. Im Vergleich zu 2016 ist das ein Anstieg von mehr als 30 %. Es bleibt jedoch die Frage, ob nachhaltiges Investieren nur einen gefühlten Wert liefert oder tatsächlich das Gesamtrisiko/Rendite-Verhältnis verbessern kann. Die bis dato unzureichende Standardisierung in Bezug auf die Definition von ESG und den Ansatz zu deren Messung ist wohl die größte Herausforderung, damit sich dieses Thema auch langfristig als ein Megatrend erweisen kann.

Fehlende Informationen könnenzu gegenteiligen Effekten führen

Laut Franklin Templeton ist beispielsweise das Fehlen von validen Daten eine Hürde bei der Messung. Spezialisierte Rating-Agenturen gehen oftmals davon aus, dass das Fehlen öffentlicher Informationen beinhaltet, dass das Unternehmen etwas zu verschleiern hat und bestraft folglich Unternehmen, die nicht über ausreichende Informationen verfügen. Andere Rating-Spezialisten gehen mitunter davon aus, dass Unternehmen bei fehlenden Informationen der allgemeinen Praxis in ihrer Branche folgen und verwenden den Branchendurchschnitt als Richtwert. Transparenz wird belohnt. Doch bedeutet das konsequenterweise im Umkehrschluss, dass ein Fehlen an validen Daten ein schlechtes/negatives Rating nach sich ziehen muss?

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ESG-Indikatoren stark branchenabhängig

Die Studie der Experten von Franklin Templeton sehen es des Weiteren als erwiesen an, dass nicht alle ESG-Themenaspekte gleich bedeutsam sind. Beispielsweise sind Unternehmen, denen das gesundheitliche Wohl ihrer Mitarbeiter wichtig ist, im Allgemeinen einem geringeren Risiko von Rechtsstreitigkeiten und Arbeitsniederlegungen ausgesetzt. Die Studienautoren bestimmten die Wesentlichkeit der wichtigsten ESG-Indikatoren auf Branchenbasis, da Unternehmen innerhalb einer Branche bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich ähnliche Geschäftsmodelle haben. So ist zum Beispiel die Entwicklung des Humankapitals für Finanzinstitute von entscheidender Bedeutung. Die Untersuchungen zeigten, dass Finanzgesellschaften, die die Entwicklung des Humankapitals fördern, im Durchschnitt eine um 4,2 % niedrigere Volatilität aufwiesen, während Industrieunternehmen mit einer starken Humankapitalentwicklung im Durchschnitt praktisch keine Verringerung der Volatilität verzeichneten. Nicht der einzige Befund. Industrieunternehmen auf der anderen Seite, die sich auf die Reduzierung von Schadstoffemissionen konzentrierten, sind im Durchschnitt 5,4 % weniger volatil, während Finanzunternehmen mit ähnlichen Maßnahmen nur etwa 1,2 % weniger volatil sind. Die Experten der US-Fondsgesellschaft folgern, dass ein genereller Ansatz für nachhaltiges Investieren bei der Beurteilung daher wahrscheinlich zu kurz greift.

ESG: Risikoreduzierung ja, Überrendite nein

Die Studienergebnisse geben in Bezug auf die Renditen keinen klaren Trend vor. Vielmehr zeigten sie einen kleinen, jedoch statistisch nicht signifikanten Anstieg der erwarteten Renditen für Unternehmen, die bei den ESG-Ratings in den Schwellenländern besser abschnitten, aber leicht negative Renditen in allen anderen Universen. Ferner heißt es: „Wir beobachteten jedoch, dass diese höher bewerteten ESG-Unternehmen eine erhebliche und statistisch signifikante Risikoreduzierung (Volatilität) vor und nach der Berücksichtigung gemeinsamer Factor-Exposures lieferten.

„Unsere aktuelle Forschung kommt zu dem Schluss, dass es noch nicht genügend Beweise gibt, um ESG eindeutig als einen fundamentalen Faktor zu definieren, der auf der Erwartung einer Überrendite basiert; allerdings weist ESG positive Risikoeigenschaften und niedrige Korrelationen zu traditionellen, fundamentalen Faktoren auf“, so die Autoren aus dem Hause Franklin Templeton.

Eine Studie der Fondsgesellschaft Invesco basierend auf der Einschätzung von institutionellen Investoren kommt zum Ergebnis, dass mehr als zwei Drittel von ihnen davon überzeugt sind, dass die Pandemie die Entwicklung und Verbreitung von ESG-Anlagen in den nächsten zwei Jahren nochmals beschleunigen wird. 60 % der institutionellen Investoren sind sogar der Meinung, dass passive Indexprodukte (ETFs) mit ESG-Fokus selbst in einem normalen Marktumfeld Potenzial für eine bessere Performance im Vergleich zu anderen ETFs ohne ESG-Schwerpunkt bieten. Nur 4 % rechnen nicht mit einer Überrendite von ESG-ETFs. An diesem Punkt könnten die subjektive Wahrnehmung und die faktenbasierte Datenlage nicht deckungsgleich sein.

Fakt ist, dass künftig die Integration von ESG-Überlegungen neben der althergebrachten Finanzanalyse an Relevanz zunehmen wird. „Daher ist es für Investoren, die an nachhaltigen Daten interessiert sind, von entscheidender Bedeutung, sich über die riesige Menge an verfügbaren Informationen, die unterschiedlichen Methoden und nuancierten Prozesse der Rating-Agenturen sowie über die beste Art und Weise der Einbettung dieser Überlegungen in den Anlageprozess zu informieren“, resümiert Chandra Seethamraju, Co-Head of Systematic Strategies Portfolio Management Franklin Templeton Investment Solutions. (ah)

Foto: © Julien — stock.adobe.com

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