Seit 1. Juli 2020 müssen bestimmte grenzüberschreitende Gestaltungen innerhalb von 30 Tagen bei den Behörden gemeldet werden. Im Kern soll hierdurch die Transparenz erhöht werden, um potenziell (aggressive) Steuergestaltungen aufzudecken. Das besagt die neue Richtlinie DAC 6 (Directive on Administrative Cooperation – EU-Amtshilferichtlinie).
Das neue Bürokratiemonster hat einen langen Namen: Die Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen vom 25. Mai 2018 (ABl. L 139/1 vom 5. Juni 2018) verpflichtet die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Regelungen zu schaffen, nach denen bestimmte grenzüberschreitende Steuergestaltungen den Finanzbehörden der Mitgliedstaaten mitzuteilen und dann zwischen den Mitgliedstaaten automatisch auszutauschen sind. Abgekürzt wird die neue Richtlinie mit DAC 6 (Directive on Administrative Cooperation – EU-Amtshilferichtlinie). Die EU-Richtlinie wurde entsprechend umgesetzt. Die deutsche Gesetzesregelung ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Seit 1. Juli 2020 müssen bestimmte grenzüberschreitende Gestaltungen grundsätzlich innerhalb von 30 Tagen bei den Behörden gemeldet werden. Im Kern soll hierdurch die Transparenz erhöht werden, um potenziell (aggressive) Steuergestaltungen aufzudecken.
Der im Juli 2020 vorgelegte zweite Entwurf eines Schreibens des Bundesministeriums für Finanzen definiert den Begriff der Steuergestaltung übrigens folgendermaßen: Diese ist ein bewusster, das (reale und/oder rechtliche) Geschehen mit steuerlicher Bedeutung verändernder „Schaffensprozess durch Transaktionen, Regelungen, Handlungen, Vorgänge, Vereinbarungen, Zusagen, Verpflichtungen oder ähnliche Ereignisse. Durch den Nutzer oder für den Nutzer wird dabei eine bestimmte Struktur, ein bestimmter Prozess oder eine bestimmte Situation bewusst und aktiv herbeigeführt oder verändert. Diese Struktur, der Prozess oder die Situation bekommt dadurch eine steuerrechtliche Bedeutung, die ansonsten nicht eintreten würde.”
Zahlreiche Gestaltungen sind meldepflichtig
Die Kernfrage lautet natürlich, wann eine grenzüberschreitende Gestaltung meldepflichtig ist. Sie muss eine Steuer betreffen, auf die das Gesetz Anwendung findet, und mindestens eines der offiziellen Kennzeichen erfüllen (nach DAC 6 englisch „hallmarks” genannt). Mit ihnen steht und fällt die Meldepflicht. Meldepflichtig sind Gestaltungen, bei denen der Empfänger grenzüberschreitender Zahlungen, die zwischen zwei oder mehr verbundenen Unternehmen erfolgen und beim Zahlenden als Betriebsausgaben abzugsfähig sind, entweder in keinem Steuerhoheitsgebiet steuerlich ansässig ist oder in einem Steuerhoheitsgebiet ansässig ist, das von der EU oder der OECD als nicht-kooperierende Jurisdiktion eingestuft wird. Damit sollen die Gestaltungen erfasst werden, bei denen Gewinne durch Zahlungen an verbundene Unternehmen dorthin verschoben werden, wo sie regelmäßig keiner oder nur einer sehr geringen Besteuerung unterliegen (Kennzeichen: Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Zahlungen).
Ebenso ist es mitteilungspflichtig, wenn durch eine Gestaltung in mehr als einem Steuergebiet für denselben Vermögenswert Absetzungen für Abnutzungen in Anspruch genommen werden oder eine Befreiung von der Doppelbesteuerung in mehr als einem Steuerhoheitsgebiet für dieselben Einkünfte oder dasselbe Vermögen vorgenommen wird und so die Einkünfte oder das Vermögen ganz oder teilweise unversteuert bleiben. Das Kennzeichen in Zusammenhang mit Finanzkonten erfasst die Gestaltungen, die eine unzureichende Umsetzung des gemeinsamen Meldestandards der OECD hinsichtlich von Finanzkonten aufweisen. Der „Common Reporting Standard“ (CRS) ist ein Verfahren zum internationalen Austausch von Informationen und soll im Außensteuerrecht die effektive grenzüberschreitende Besteuerung von Zinseinkünften sicherstellen.
Main-Benefit-Test überprüft Bedeutung der Steuervorteile
Auch die Zwischenschaltung rechtlicher Eigentümer oder wirtschaftlich Berechtigter unter Einbeziehung verschiedener Personen, Rechtsvereinbarungen oder Strukturen, um die Identität wirtschaftlich Berechtigter zu verschleiern, löst eine Meldepflicht aus (Kennzeichen: Zusammenhang mit intransparenten Ketten). Zuletzt existiert das Kennzeichen in Zusammenhang mit bestimmten Verrechnungspreisgestaltungen. Dabei sind mehrere Verrechnungspreisthemen grundsätzlich zu melden, und die Verpflichtung zur Verrechnungspreisdokumentation besteht ebenfalls weiter.
Wer jetzt aber meint, damit sei es getan, hat sich getäuscht. Denn es existieren weitere Kennzeichen, nach denen eine meldepflichtige grenzüberschreitende Steuergestaltung vorliegen kann, sofern zusätzlich dazu der sogenannte Main-Benefit-Test ergibt, dass der Steuerpflichtige die Gestaltung zur Erzielung eines Steuervorteils als „einer der wesentlichen Vorteile“ der Gestaltung einsetzt. Dieser Hauptvorteilstest ist ein objektiver Test, der die Abwägung der Steuervorteile mit denen der anderen finanziellen und nicht-finanziellen Vorteile voraussetzt. Der Steuervorteil kann aus der Vermeidung/Verminderung der Besteuerung, einem Steuerfreibetrag oder der Erhöhung der Steuerverluste bestehen. Zu den Kennzeichen gehören die Vertraulichkeitsklausel, das Erfolgshonorar, die Standardisierung, die Verlustnutzung, zirkuläre Vermögensverschiebungen und Steuerbegünstigung bei abzugsfähigen Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen.
Einbindung in ein übergeordnetes Tax Compliance Management System
Nach dem Gesetz ist grundsätzlich der Intermediär meldepflichtig. Intermediär ist jede Person, die eine grenzüberschreitende Steuergestaltung vermarktet, für Dritte konzipiert, organisiert oder zur Nutzung bereitstellt oder ihre Umsetzung verwaltet (zum Beispiel Steuerberater oder Rechtsanwälte). Wichtig erscheint dennoch, dass Unternehmen einen umfassenden und individuellen Ansatz für meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen nach DAC 6 entwickeln. Besondere Wirksamkeit erfährt diese Systematik, wenn sie in ein übergeordnetes Tax Compliance Management System eingebunden wird, in dessen Rahmen eine generelle Dokumentation der Sachverhalte, eine Dokumentation der Entscheidungsfindung, ob der Sachverhalt eine meldepflichtige Gestaltung ist, und die technische Umsetzung der Meldung durchgeführt wird.
Gastbeitrag von Alexander Thees ist Steuerberater, ö.b.u.v. Sachverständiger für Unternehmensbewertung und Partner bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt.
Alexander Thees — Foto: © Beiten Burkhardt