Vom Rohstofflieferanten zum Verbraucher – Sektorenumverteilung in den Schwellenländern

Bisher gibt es keinen Konsens darüber, was die „Schwellenländer" als Anlageklasse wirklich ausmacht. Indexanbieter wie MSCI enthalten ein Sammelsurium von Ländern, die oft nur wenig gemeinsam haben. Rob Brewis, Portfoliomanager bei Aubrey Capital Management, definiert in seinem Gastbeitrag die wesentlichen Faktoren von Schwellenländern – und räumt dabei einige Vorurteile aus.
22. Juni 2023
Rob Brewis, Portfoliomanager bei Aubrey Capital Management

Bisher gibt es keinen Konsens darüber, was die „Schwellenländer” als Anlageklasse wirklich ausmacht. Indexanbieter wie MSCI enthalten ein Sammelsurium von Ländern, die oft nur wenig gemeinsam haben. Rob Brewis, Portfoliomanager bei Aubrey Capital Management, definiert in seinem Gastbeitrag die wesentlichen Faktoren von Schwellenländern – und räumt dabei einige Vorurteile aus.

Wir haben uns entschlossen, einen genaueren Blick auf die Investmentregion der Schwellenländer zu werfen, insbesondere auf die Veränderungen in den letzten zehn Jahren – dem Zeitraum seit der globalen Finanzkrise, in der die Schwellenländer zumindest in Bezug auf die Indizes eine enttäuschende Zeit hatten. Wir sind zwar keine Indexbeobachter, aber ein Blick auf die Zusammensetzung der größten Indizies ist der beste Weg, um zu sehen, in was die meisten Anleger in dieser Anlageklasse engagiert sind.

Welche Rolle spielen Rohstoffe?
Ende 2009 machten Energie und Rohstoffe 30 Prozent des MSCI Emerging Markets Index aus, konsumorientierte Sektoren nur 21 Prozent und Finanzwerte, von denen einige verbrauchernah sind, weitere 23 Prozent. Bis 2023 sank der Anteil der Energie- und Rohstoffsektoren auf 15 Prozent, während der Anteil der Verbrauchersektoren drastisch auf 34 Prozent und der Finanzsektor stabil bei 22 Prozent. Auf Länderebene machten die rohstoffproduzierenden Länder 40 Prozent aus auf die rohstoffproduzierenden Länder, heute sind es 22 Prozent, einschließlich 7 Prozent in den verschiedenen Golfmärkten, die 2009 noch nicht dabei waren. Daraus lässt sich mit Sicherheit schließen, dass die Schwellenländer nicht mehr auf Rohstoffe setzen.

Dem steht eindeutig entgegen, dass die überwiegende Mehrheit der Schwellenländer-Aktien jetzt Rohstoffverbraucher und ‑importeure sind. Außerdem ist die Gewichtung der Verbraucher viel höher, und die meisten von ihnen werden Käufer von Rohstoffen sein. All dies sind gute Nachrichten in dieser zunehmend deflationären Welt, zumindest was die Rohstoffpreise betrifft.

Die Aufsteiger: China und Indien
Die andere auffällige Veränderung seit 2009 ist der Anstieg der beiden Giganten China und Indien, zumindest was den Index betrifft. China stieg von 17 Prozent auf 29 Prozent, Indien von 6 Prozent auf 14 Prozent. Die größten Verlierer waren Brasilien (von 16% auf 5%), Südafrika (von acht Prozent auf drei Prozent) und natürlich Russland (von 6 Prozent auf null). Korea und Taiwan, die wir als entwickelte Märkte betrachten würden, haben sich in ihrer Gewichtung kaum verändert, obwohl sich dahinter eine zunehmende Dominanz der Halbleiterwerte verbirgt.

Der Rückblick zeigt auch, dass es wichtig ist, sich an Länder zu halten, die gut regiert werden, und solche zu meiden, die es nicht sind. Diejenigen, die Inflation, ausufernde Korruption oder beides — nicht in den Griff bekommen, werden den Aufstieg nicht schaffen, auch wenn ihre Bevölkerung und Demografie etwas anderes vermuten lassen.

Chinas Aktienmarkt verändert sich
Unabhängig von den aktuellen Schwierigkeiten in China war die Wirtschaft des Landes in den letzten Jahren stabil und wuchs stetig, aber die Zusammensetzung des Aktienmarktes hat sich verändert. Vor zehn Jahren entfielen 39 Prozent des China-Index auf Finanz- und Immobilienwerte und 21 Prozent auf Energie- und Rohstoffwerte, doch diese Zahlen sind seitdem auf 20 Prozent bzw. sechs Prozent gesunken. Die Kehrseite der Medaille ist, dass die verbraucherorientierten Sektoren jetzt mit 59 Prozent dominieren, gegenüber 28 Prozent im Jahr 2009, und dies schließt alle Finanzwerte aus, die eine Verbraucherausrichtung haben könnten. Dies ist zum Teil auf völlig neue Sektoren zurückzuführen, die durch Alibaba, Tencent und ähnliche Unternehmen repräsentiert werden, zum Teil aber auch auf die schwache Performance eines Großteils der staatlichen Unternehmen, die diese rückläufigen, zyklischen Sektoren dominieren.

Wachstum in Indien
Das Wachstum in Indien war wesentlich gleichmäßiger, aber auch vielfältiger. Der Finanzsektor bleibt mit 27 Prozent der größte Sektor, gefolgt von IT (in diesem Fall Software) und Energie. Der einzige Sektor, der in den letzten zehn Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat, ist der zyklische Konsum (hauptsächlich Autos), der von sechs Prozent auf 11 Prozent gestiegen ist. Dies überrascht uns nicht, da sich das indische Pro-Kopf-Einkommen noch in einem so frühen Stadium befindet, aber wir haben keinen Zweifel daran, dass sich die Situation in einem Jahrzehnt anders darstellen wird, wenn wir diese Dinge erneut betrachten.

Nettoverschuldung bleibt im Rahmen
In Anbetracht der gesunden Bilanzen in unserem Portfolio und der Tatsache, dass das Kreditwachstum in den meisten Schwellenländern in den letzten Jahren sehr gedämpft war, ist es überraschend, dass die durchschnittliche Nettoverschuldung im Verhältnis zum Eigenkapital im Berichtszeitraum relativ stabil war und sich in einer Spanne zwischen 20 Prozent und 30 Prozent bewegte. Auch die Eigenkapitalrendite bewegte sich zwischen 15 und 20 % und liegt derzeit im mittleren Bereich. Eine Kennzahl, die sich deutlich verbessert hat, ist die freie Cashflow-Rendite, die von drei Prozent auf heute über sechs Prozent gestiegen ist. Dies ist etwas, das wir jeden Tag beobachten können, insbesondere in China, wo immer mehr Rückkäufe angekündigt werden.

Fazit
Aus diesen Daten lassen sich einige klare Lehren ziehen. Erstens: Bei Schwellenländer-ETFs besteht die Gefahr, dass sie immer noch Länder, Sektoren und Aktien beinhalten, die auf dem absteigenden Ast sind. Zweitens werden die Schwellenländer nicht mehr von Rohstoffen angetrieben, sondern sind jetzt wohl umgekehrt zu ihnen korreliert. Das sind gute Nachrichten, denn Rohstoffe und Inflation gehen zurück. Drittens sind die großen Schwellenländermärkte heute dank eines besseren Branchenmixes wesentlich widerstandsfähiger: Sie sind stärker von inländischen Verbrauchern und weniger von Rohstoffen und Exporten abhängig. Viertens: Während die Bilanzen und Renditen stabil sind, scheint der Cashflow viel stärker als in der Vergangenheit zu sein, was bedeutet, dass die nächste Wachstumsphase in den meisten Märkten leichter finanziert werden kann.

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