Der Begriff „Wachstumschancengesetz“ ist in aller Munde, da der zugehörige Gesetzesentwurf eine sehr breite mediale Aufmerksamkeit erhielt – nun noch verstärkt durch das „60-Mrd.-Urteil“ des BVerfG. Wenn ein (Steuer-)Gesetzesentwurf nicht nur in der steuer(-recht-)lichen Community, sondern selbst „beim Bäcker um die Ecke“ diskutiert wird, dann zeigt sich auch die hohe Erwartungshaltung der Steuerpflichtigen.
Unterstrichen wird dies auch von der Langfassung des Gesetzestitels: „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness“. Der Gesetzgeber hat sich also mit einem sehr breit gefächerten Entwurf zum Ziel gesetzt, durch „zielgerichtete Maßnahmen“ die Wachstumschancen für unsere Wirtschaft zu erhöhen, Investitionen und Innovation in neue Technologien zu ermöglichen und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu stärken (unter Berücksichtigung der begrenzten Spielräume der öffentlichen Haushalte). Der Entwurf wird (weiterhin) intensiv diskutiert, wie sich aktuell auch an der umfangreichen Stellungnahme des Bundesrates, dem Streit im BT-Finanzausschuss über die öffentlichen Anhörungen und dem nun sehr wahrscheinlichen Einschalten des Vermittlungsausschusses zeigt. Es ist also noch vieles im Fluss – und damit veränderlich, bevor der Entwurf noch in diesem Jahr auch den Bundesrat passieren kann. „Kein Gesetz ohne mehr Bürokratie“: Auch dieses Mal lässt es sich der Gesetzgeber nicht nehmen, mit „zielgerichteten Maßnahmen“ auch einen Beitrag zur weiteren Belastung von Steuerpflichtigen zu leisten. Die Mitteilungspflicht zu innerstaatlichen Steuergestaltungen soll kommen. Während die Kosten der Verwaltung hierfür ab dem Jahr 2025 jährlich auf 2 bis 3 Mio. Euro geschätzt werden, wurden für die Wirtschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger keine Angaben gemacht; auch eine Schätzung erwarteter Mehreinnahmen unterblieb. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt.
Mitteilungspflicht auch für innerstaatliche Steuergestaltungen – was hat es damit auf sich?
Das Akronym „DAC 6“, das für die EU-Richtlinie RL (EU) 2018/822 v. 25.05.2018 zur Umsetzung von Regelungen zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen steht, erlangte ebenfalls große Bekanntheit. Bereits im zugehörigen Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums („BMF“, Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen) vom 30.01.2019 wurde eine Mitteilungspflicht auch für rein nationale Steuergestaltungen aufgebracht und am 13.12.2019 nochmals durch den Bundesrat adressiert. Eine Umsetzung unterblieb jedoch. So ist es wenig überraschend, dass nun mit dem Wachstumschancengesetz dieser Ball erneut aufgenommen wurde. Mit dem ausgelobten Ziel der Förderung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung enthalten die §§ 138l bis 138n AO‑E nunmehr eine Mitteilungspflicht über innerstaatliche Steuergestaltungen. Deren erstmaliger Anwendungszeitpunkt soll grundsätzlich durch das BMF bestimmt werden. Zwischen der hierfür gesetzlich geplanten Bekanntmachung des BMF und der erstmaligen Anwendung soll mindestens ein Jahr liegen, wobei (nach aktueller Planung) wohl spätestens für nach dem 31.12.2027 eintretende „maßgebende Ereignisse“ die dadurch ausgelöste Mitteilungspflicht greifen soll. Mit Blick auf die Kostenschätzung für die Verwaltung scheint deren Planung die regelmäßige Meldung wohl spätestens ab 2026 vorzusehen. Ein Vergleich der Normen zur Mitteilungspflicht grenzüberschreitender und nationaler Steuergestaltungen zeigt, dass die Regelungen sich – abgesehen vom grenzüberschreitenden Element – sehr ähneln. Dennoch gibt es auch Abweichungen, die es zu beachten gilt.
Kennzeichen einer grundsätzlich meldepflichtigen innerstaatlichen Steuergestaltung
Wesentlich ist unter anderem die abschließende Aufzählung von einzelnen Kennzeichen, die jeweils eine Mitteilungspflicht auslösen können:
- Zuordnung desselben steuererheblichen Sachverhalts zu mehreren Nutzern oder Steuerpflichtigen oder mehrfach zu einem Nutzer oder Steuerpflichtigen;
- Zweckgerichtete Erzeugung von steuerwirksamen Verlusten und ganz oder teilweise steuerfreien Einkünften durch aufeinander abgestimmte Rechtsgeschäfte (vgl. hierzu auch die Abwehrmaßnahmen der §§ 39 Abs. 3, 48 Abs. 4 InvStG hinsichtlich Verlusten aus Finanzderivaten);
- Vornahme unangemessener rechtlicher Schritte eines an der Gestaltung Beteiligten, um für sich oder einen Dritten einen steuerlichen Vorteil im Bereich des Steuerabzugs vom Kapitalertrag zu erzeugen;
- Vereinbarung einer vertraglichen Vertraulichkeitsklausel (u. a. gegenüber der Finanzverwaltung);
- Vereinbarung einer (steuer-)vorteilsbasierten Vergütung eines Intermediärs (z. B. Berater);
- Vorliegen einer standardisierten Dokumentation oder Struktur („Idee“) der Gestaltung, die für mehr als einen Nutzer verfügbar ist, ohne wesentliche individuelle Anpassungen;
- Vornahme unangemessener rechtlicher Schritte zum Verlusterwerb und dessen Nutzung;
- Umwandlung von steuerpflichtigen Einkünften in Vermögen, Schenkungen oder andere nicht oder niedriger besteuerte Einnahmen oder nicht steuerbare Einkünfte;
- Zirkuläre Vermögensverschiebung durch Einbeziehung zwischengeschalteter Unternehmen ohne primäre wirtschaftliche Funktion oder andere neutrale Transaktionen (z.B. Übertragung von Rechten oder Gütern).
Nutzer einer Steuergestaltung?
Ein Nutzer kann eine bestimmte natürliche und juristische Person, Personengesellschaft, Gemeinschaft und Vermögensmasse, d.h. auch Investment- bzw. Spezialinvestmentfonds sein, wenn
- diesem die innerstaatliche Steuergestaltung zur Umsetzung bereitgestellt wird,
- dieser bereit ist, die innerstaatliche Steuergestaltung umzusetzen oder
- dieser den ersten Schritt zur Umsetzung der innerstaatlichen Steuergestaltung gemacht hat.
Für den Nutzer einer innerstaatlichen Steuergestaltung sollen nach dem Stand der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 15.11.2023 bestimmte Schwellen gelten, ab denen eine Verpflichtung zur Mitteilung entsteht. So müsse der Nutzer innerhalb von mindestens zwei der drei Kalender- oder Wirtschaftsjahren, die dem Eintritt eines „maßgebenden Ereignisses“ vorausgegangen sind, umsatzsteuerbare Umsätze (d. h. inklusive umsatzsteuerbefreiter Umsätze!) in Höhe von mehr als 50 Mio. Euro je Wirtschafts- bzw. Kalenderjahr erzielt haben (sog. Umsatzschwelle) und nach der sog. Einkünfteschwelle
- positive Einkünfte (d. h. ohne negative Einkünfte einzelner Einkunftsarten und inklusive der Einkünfte aus Kapitalvermögen, die der „Abgeltungsteuer“ unterworfen werden) von mehr als 2 Mio. Euro je Kalenderjahr erzielt haben; bei Zusammenveranlagung wird jeder Ehegatte / Lebenspartner separat betrachtet; oder
- ein Einkommen nach dem Körperschaftsteuergesetz (jedoch vor Steuerfreistellung bestimmter Dividenden und Veräußerungsgewinne!) von mehr als 2 Mio. Euro je Wirtschaftsjahr erzielt haben.
Die Mitteilungspflicht könne in bestimmten Fällen auch bereits dann entstehen, wenn die Schwellen nur in einem Wirtschafts- oder Kalenderjahr (voraussichtlich) überschritten werden. Zudem seien relevante Rumpfwirtschaftsjahre von Gesellschaften auf volle Jahre hochzurechnen. Im Fall von Konzerngesellschaften nach § 18 AktG sollen diese hinsichtlich der Erfüllung der Schwellenwerte (mit deren jeweiligen positiven Einkünften) zusammen betrachtet werden.
Besonderheiten beim Erbschaft- und Schenkungsteuer- sowie Grunderwerbsteuergesetz
Bei erbschaft- und schenkungsteuerlichen Steuergestaltungen soll die Übertragung eines Vermögens durch einen Erblasser oder Schenker dann mitteilungspflichtig sein, wenn der erbschaft- bzw. schenkungsteuerliche Wert des Vermögens (nach Nachlassverbindlichkeiten bzw. in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Schulden und Lasten) voraussichtlich mind. 4 Mio. Euro betragen wird.
Für grunderwerbsteuerliche Zwecke soll die Mitteilungspflicht gelten, wenn unmittelbar oder mittelbar Anteile an einer Gesellschaft erworben werden oder übergehen, bei denen der durch die Anteile vermittelte Grundbesitzwert nach dem Grunderwerbsteuergesetz mindestens 5 Mio. Euro beträgt.
Wer muss mitteilen?
Grundsätzlich ist der sog. Intermediär zur Mitteilung verpflichtet, d. h. derjenige, der eine grenzüberschreitende Steuergestaltung vermarktet, sie für Dritte konzipiert, organisiert oder zur Nutzung bereitstellt oder ihre Umsetzung durch Dritte verwaltet. Dies können natürliche oder juristische Personen, (partiell) rechtsfähige Personenvereinigungen oder auch Vermögensmassen sein. Oftmals handelt es sich dabei um Angehörige der steuerberatenden Berufe, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Finanzdienstleister oder andere Berater. Die Pflicht der Mitteilung kann aber auch Nutzer treffen, wenn z. B. kein Intermediär vorliegt oder dieser nicht mitteilungspflichtig ist. Dies gilt u. a. auch, wenn der Nutzer selbst die Gestaltung entworfen hat.
(Zwischen-)Fazit
Der aktuelle Stand des Wachstumschancengesetz bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück. Zwar gibt es durchaus einiges Positives zu berichten (z. B. Investitionsprämien, verbesserter Verlustabzug, Änderungen bei den Regelungen zu Abschreibungen usw.), wobei dies durch die nun angespannte Haushaltslage konterkariert wird. Neben der bereits dargestellten (unnötigen) Bürokratieverschärfung durch immer weitere Mitteilungspflichten dürfte insbesondere die Verschärfung der Zinsabzugsbeschränkungen nicht nur für Immobilienunternehmer und Projektentwickler bedrohlich sein.
Autor: Dr. Marco Ottenwälder, Counsel, Steuerberater, P+P Pöllath + Partners Rechtsanwälte und Steuerberater mdB