KPMG: Viele Banken haben bei der Integration von ESG-Risiken Nachholbedarf

Schöne Bescherung kurz vor Weihnachten 2023: Mehr als 20 Banken erhielten im November Post von der EZB. Die Zentralbank sieht bei den Instituten große Defizite in Sachen Nachhaltigkeit und mahnt die mangelhafte Integration von ESG‑Risikofaktoren an – etwa wegen der Auswirkungen von Extremwetterereignissen auf die Bilanz der Banken oder Kunden, die ihr Geschäftsmodell transformieren müssen, um ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren.
7. Dezember 2023
Foto: © putilov_denis - stock.adobe.com
Schöne Bescherung kurz vor Weihnachten 2023: Mehr als 20 Banken erhielten im November Post von der EZB. Die Zentralbank sieht bei den Instituten große Defizite in Sachen Nachhaltigkeit und mahnt die mangelhafte Integration von ESG‑Risikofaktoren an – etwa wegen der Auswirkungen von Extremwetterereignissen auf die Bilanz der Banken oder Kunden, die ihr Geschäftsmodell transformieren müssen, um ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren. 

Mit den EU‑Richtlinien Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) gelten ab 2024 bzw. 2025 auch neue Regeln für den Finanzsektor. Diese fordern von Banken nicht nur Rechenschaft über die Einhaltung der ESG – also Nachhaltigkeitsvorschriften für die Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Sie formulieren diese auch für die Kreditvergabe. Das sorgt für einheitliche Standards, ist aber gleichzeitig ein veritabler Risikofaktor: Bei Verstößen drohen gewaltige Imageschäden und sogar Strafzahlungen. Im konkreten Fall, in dem es um die Umsetzung der Anforderungen aus dem EZB-Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken geht, bringt die EZB gar periodische Bußgelder ins Spiel, die sich auf 10 Prozent des Jahresgewinns summieren können. Die aktuelle KPMG-Studie „ESG Risk Survey for Banks“ hat den Integrationsgrad von ESG‑Risikofaktoren bei Banken auf der ganzen Welt untersucht. Das Ergebnis: Es gibt noch viel zu tun. Der KPMG-Experte Markus Quick und die KPMG-Expertin Armina Schädle ordnen diese Situation in einem Marktkommentar ein.

Bei der Integration von ESG-Faktoren in ihre Risikomanagementstrategien sind viele Banken zwar auf dem richtigen Weg, haben aber noch einiges zu tun. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie „ESG Risk Survey for Banks“ (2023) von KPMG, für die mehr als 100 Banken in 20 Ländern befragt wurden. Keine Bank der Welt wird die Integration der ESG-Faktoren ins Risikomanagement vor Ende 2024 abgeschlossen haben – die meisten Institute visieren allerdings einen deutlich späteren Zeitpunkt an. Banken auf der ganzen Welt haben ihre Investitionen erhöht, um dem steigenden Druck auf das Thema Nachhaltigkeit bzw. Nachhaltigkeitsrisiken zu begegnen. Eine immer schärfer werdende Regulatorik, Personalmangel für spezifische Jobs oder eine fehlende Ausbildung im Thema und der Mangel an vollständigen, präzisen Daten sind dabei ihre größten Herausforderungen.

Europa: Vorreiter mit bösen Überraschungen
Die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Risikomanagement ist ein langer Weg – das haben die meisten Häuser erkannt. Die Mehrheit geht davon aus, die ESG-Risikofaktoren bis 2025 oder später vollständig in die wichtigsten Bereiche des Risikomanagements integriert zu haben. In Europa sind die Banken weiter: Die von der EZB beaufsichtigten Institute sind in der Regel ehrgeiziger als der globale Durchschnitt – auch weil sie stärker reguliert werden. Die meisten von ihnen wollen die vollständige Integration von ESG-Risikofaktoren insofern vor 2025 abschließen. Zudem haben etablierte Häuser in der Regel viel Erfahrung mit Gesetzesänderungen und neuen Standards. Deshalb fällt es ihnen zumeist leichter als anderen, für die Entwicklung der notwendigen Prozesse und Methoden die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen und zu priorisieren. Sie beteiligen sich aktiv am Dialog mit den jeweiligen Aufsichtsbehörden, um Unklarheiten bei neuen Anforderungen zu beseitigen. Auch flexible Prototypen sind ein wirkungsvolles Instrument: Sie können schrittweise an die Best Practices der Branche angepasst werden, etwa bei Klimarisiko-Stresstests.

Die Tatsache, dass sich derzeit mehr als 20 Banken von der EZB mit Strafzahlungen konfrontiert sehen, überrascht allerdings. Das zeigt klar, dass die Branche auch in Europa noch nicht so weit ist, wie viele Experten (und die Institute selbst) annehmen. Gerade Transparenz bzgl. der ESG-Risikofaktoren ist hier fundamental wichtig, da sich alle anderen Aktivitäten zur Verbesserung der Risikomanagementverfahren für die verschiedenen Risikoarten daraus ableiten. Jenseits der Regulatorik muss es daher das Eigeninteresse der Banken sein, entsprechende „Wirkungskanäle“ zu verstehen und diese neben der qualitativen Bewertung verstärkt auch zu quantifizieren.

Mit den Budgets steigen die Erwartungen
Zwar ist die EU im Bereich ESG-Risiken Vorreiter, doch scheinen Banken auf der ganzen Welt fest entschlossen, ESG-Risikomanagement als Langzeitprojekt anzugehen und umzusetzen. Die Tatsache, dass die Investitionsbudgets weltweit steigen, ist ein Indiz dafür. Allerdings ist die Notwendigkeit von Budgeterhöhungen auch auf den oftmals noch nicht ausreichenden Reifegrad der Banken zurückzuführen: Manche Häuser müssen nachbessern, weil Behörden unzufrieden sind oder sich herausstellt, dass zuvor implementierte schlanke Lösungen nicht ausreichend waren.

Besonders die großen Banken sind sich allerdings einig, dass Investitionen ins ESG-Risikomanagement das Gebot der Stunde sind. Darin spiegelt sich einerseits das zunehmend bessere Verständnis für die Bedeutung von Nachhaltigkeit auf dem Finanzsektor und für die Notwendigkeit der entsprechenden Umsetzung wider. Andererseits ist dieser Trend analog zur EU auch ein Resultat des weltweit zunehmenden regulatorischen Drucks. Denn auch in Ländern und Regionen, in denen bisher weniger strenge Standards galten, werden die Vorschriften strenger. Daher rechnen immer mehr Finanzinstitute mit steigenden Ausgaben für ESG-Daten, ‑Methoden und ‑Prozesse. Mittels dieser Investitionen erhoffen sie sich zudem Wettbewerbsvorteile. Zwar kann die Implementierung neuer Standards und Risikomanagementmethoden in diesem Kontext kein Nachteil sein – ob und wann die Methoden integrativer Bestandteil der Risikosteuerung werden, bleibt aber abzuwarten. Die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels auf der ganzen Welt zeigen allerdings unter anderem deutlich, wie wichtig das Management der damit verbundenen physischen Risiken wie Extremwetterereignisse ist.

Wir brauchen Daten, Daten, Daten
Auch bei den Herausforderungen dieses Implementierungsprozesses ist die Mehrheit der Banken sich einig – unabhängig von Größe, Geschäftsmodell oder Rechtsordnung. Die Verfügbarkeit und Qualität von Daten (z. B. Energieausweise für Immobilienfinanzierungen), die sich permanent ändernde Regulatorik und der Mangel an ausreichend qualifiziertem Personal sind für die Mehrheit der Institute die höchste Hürde. Die Lösung des Datenproblems ist für Banken in diesem Kontext der vielleicht wichtigste Faktor: Etablierte Banken haben flexible Zielbetriebsmodelle (TOMs) für ESG-Daten eingeführt, um der Komplexität dieser Aufgabe gerecht zu werden. Dazu gehört zunächst die Definition von Datenquellen (z. B. externe Anbieter vs. Kundenschnittstelle), dann Datenqualitätshierarchien für Schlüsselbereiche wie Treibhausgasemissionen und physische Klimarisiken. Dies erfordert einerseits die enge Zusammenarbeit mit externen Datenanbietern, etwa Spezialanbietern für physische Risiken. Andererseits verlangt es den Aufbau interner Kapazitäten für Datenanalyse und ‑aufbereitung. Banken, die sich Klimaallianzen wie der Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP FI) angeschlossen haben, sind bei diesem Prozess in der Regel am weitesten. Sie stufen ihre Herausforderungen in der Datenbeschaffung meist als weniger dringlich ein. Sowohl die regulatorischen als auch die datenbezogenen Herausforderungen werden derzeit durch neue Standards für die Offenlegung von ESG-Risiken verschärft. Dazu gehören die Interpretation der Säule III der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und die bevorstehenden Anforderungen von CSRD und CSDDD. Ein proaktiver Dialog mit Behörden und Kontrollorganen und flexible technische Lösungen haben sich bei führenden Banken in der jüngeren Vergangenheit als Erfolgsfaktoren erwiesen.

Die große Unbekannte: Greenwashing
Angesichts der großen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der spektakulären Negativbeispiele ist ein Umstand besonders überraschend: Der Umgang mit Greenwashing-Risiken scheint für viele Banken immer noch keine Priorität zu haben. Nur 40 Prozent der Finanzinstitute weltweit verfügen über Verfahren zur Identifizierung, Verhinderung und Handhabung von Greenwashing-Risiken. 80 Prozent aller Banken haben noch keine klare Definition von Greenwashing auf der Grundlage konkreter Fälle oder Schwellenwerte.
Allerdings haben viele Banken zumindest ihren Handlungsbedarf erkannt und sind dabei, klare Definitionen und quantitative Messgrößen für das Management dieser Risiken zu definieren. Die weltweit führenden Häuser und solche Banken, die sich Programmen wie UNEP FI angeschlossen haben, gehören auch hier zu den Vorreitern bei Anti-Greenwashing-Standards. Diese etablierten Banken entwickeln eigene Greenwashing-Frameworks, indem sie bestehende Rahmenwerke, etwa für Reputationsrisiken, erweitern und ESG-Faktoren darin integrieren.

Die Sensibilität für ESG-Risikofaktoren hat bei Banken auf der ganzen Welt deutlich zugenommen. Sowohl hinsichtlich ihrer Geschäftsmodelle und Risikoprofile als auch ihres Investitionsaufwands. Gleichzeitig erwartet die Branche jedoch, dass sowohl der gesetzliche als auch der öffentliche Nachhaltigkeitsdruck zunimmt. In Staaten mit aufkommender Regulierung wie den USA, Kanada und der Schweiz hat die Reise der Banken Richtung ESG-Risikofaktoren-Implementierung erst begonnen. In Regionen mit ausgeprägter Regulatorik wie der EU beurteilt die EZB heute, fast drei Jahre nach ihren ersten Vorgaben für das Risikomanagement, erstmals detailliert etablierte Prozesse wie Kreditvergabe, Überwachung und ICAAP nach ESG-Kriterien. Will die Branche in Sachen Nachhaltigkeitsregulatorik aber in ruhiges Fahrwasser, muss sie mittelfristig vom Change‑ in den Run-the-Bank-Modus wechseln und Risikomanagement dauerhaft verorten – aufbau- und ablauforganisatorisch sowie unternehmensphilosophisch und kulturell.

SOCIAL MEDIA

RECHTLICHES

AGB
DATENSCHUTZ
IMPRESSUM
© wirkungswerk
ALLE RECHTE VORBEHALTEN

Anmeldung zum Newsletter