EZB im Autopilot-Modus

Die EZB könnte die Zinsen weiter anheben. Wir sind aber der Ansicht, dass der Ausverkauf europäische Anleihen zunehmend attraktiv macht.
2. November 2023
Konstantin Veit - Foto: Copyright PIMCO

Die EZB könnte die Zinsen weiter anheben. Wir sind aber der Ansicht, dass der Ausverkauf europäische Anleihen zunehmend attraktiv macht.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen im Oktober wie erwartet unverändert bei vier Prozent belassen. Damit beendete sie die Serie von zehn Leitzins-Erhöhungen innerhalb der letzten 14 Monate auf 450 Basispunkte. Auch wenn die letzte Anhebung noch aussteht, hat sich der Fokus darauf verlagert, wann die EZB mit Zinssenkungen beginnen könnte. Wir sind nach wie vor skeptisch, dass die EZB die Zinssätze so früh senken wird, wie es der Markt erwartet.

Obwohl die wirtschaftliche Dynamik im Euroraum schwach ist, befinden sich die Arbeitsmärkte nach wie vor in guter Verfassung. Auch die zugrunde liegende Inflation scheint stabil zu sein. Dementsprechend zeigen die jüngsten vierteljährlichen Projektionen der EZB ein deutlich schwächeres kurzfristiges Wachstum als zu Jahresbeginn erwartet worden ist. Doch liegt die prognostizierte Inflation im Jahr 2025 mit 2,1 Prozent immer noch über dem Zielwert. Die mittelfristige Inflationsentwicklung ist nach wie vor mit großer Unsicherheit behaftet.

Die Gesamtinflation in der Eurozone lag laut Eurostat im September bei 4,3 Prozent. Damit hat sie sich seit ihrem zweistelligen Höchststand im Oktober 2022 mehr als halbiert. Der zugrundeliegende Preisdruck ist jedoch nach wie vor hoch, wofür in erster Linie inländische Faktoren verantwortlich sind. Während sich die Inflation insgesamt abschwächt, könnte eine weitere Abkühlung des Arbeitsmarktes und der Gesamtwirtschaft erforderlich sein, um das Zwei-Prozent-Ziel der EZB vollständig zu erreichen.

Die EZB beendete im Juli die Reinvestitionen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP). Zum Pandemie-Notkaufprogramms (PEPP) wurde auf der Oktobersitzung wurde zwar kein Beschluss gefasst, doch wird die EZB wahrscheinlich eine frühere Reduzierung der Reinvestitionen anstreben, als es die derzeitigen Leitlinien nahelegen. In Anbetracht des erhöhten Emissionsbedarfs schwächt dies das relative technische Bild für Staatsanleihen und spricht für einen Wiederanstieg der Laufzeitprämien im weiteren Verlauf.

Die EZB wird die Zinsen nur langsam senken und die Kombination aus straffer Geldpolitik und der Erwartung eines steigenden Angebots im Zuge des Bilanzabbaus der Zentralbanken hat die Renditen im Vergleich zu historischen Niveaus und anderen Anlageklassen in die Höhe getrieben. Für Investoren könnte sich durch dieses Renditepolster die Gelegenheit bieten, relativ widerstandsfähige Portfolios aufzubauen, ohne ein großes Risiko einzugehen. Wir sind der Ansicht, dass die europäische Duration zunehmend attraktiv ist, dass europäische Zinsswaps weiterhin besser abschneiden dürften als Kern-Staatsanleihen und dass das hintere Ende der Zinskurven schwächer performen wird.

Zinssätze: Inflation trotz schwacher Konjunktur über dem Zielwert 

Die EZB ist der Ansicht, dass ein Zinssatz für die Einlagefazilität zwischen etwa 3,75 und vier Prozent mit einer Rückkehr der Inflation zum Zielwert innerhalb des mittelfristigen Zeithorizonts vereinbar sein sollte. Vorausgesetzt, er wird lange genug beibehalten. Nichtsdestotrotz betonten die Entscheidungsträger ihren Ansatz, die Inflationsaussichten regelmäßig zu bewerten und die Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission im Auge zu behalten – also datenabhängig und von Sitzung zu Sitzung zu entscheiden.

Unmittelbar nach der jüngsten EZB-Sitzung rechneten die Märkte mit nur etwa zwei Basispunkten für Zinserhöhungen im Dezember und mit Zinssenkungen ab der ersten Hälfte des nächsten Jahres. Auch wenn wir den an den Finanzmärkten eingepreisten Leitzins für angemessen halten, bleiben wir skeptisch, dass die EZB angesichts der anhaltenden Inflationsdynamik so früh Zinssenkungen vornehmen wird. Unser Basisszenario beinhaltet zwei Zinssenkungen in der zweiten Hälfte des Jahres 2024.

 

Die Veröffentlichung der Verbraucherpreisinflation im Euroraum für September hatten einige gute Nachrichten parat. Zwar liegt die Inflation weiterhin über dem Zielwert, doch bewegen sich die Kernpreise in die richtige Richtung. Die Gesamtinflation fiel auf 4,3 Prozent im Jahresvergleich, während sie im August noch bei 5,2 Prozent lag. Die Kerninflation sank auf 4,5 Prozent im Jahresvergleich gegenüber 5,3 Prozent im August. Beide Werte lagen unter dem Konsens. In den vergangenen drei Monaten lag die durchschnittliche Kerninflation im Monatsvergleich bei 0,26 Prozent, was auf das Jahr hochgerechnet rund drei Prozent entspricht.

Hinzu kommt, dass der Arbeitsmarkt zwar nach wie vor angespannt ist, aber allmählich Anzeichen einer Abkühlung sichtbar werden. Das Beschäftigungswachstum hat sich verlangsamt und die Zukunftsindikatoren deuten auf eine weitere Abschwächung hin. Darüber lassen einige Lohnindikatoren vermuten, dass der Lohndruck mit dem Rückgang der Gesamtinflation nachzulassen beginnt. Eine Verlangsamung des Lohnwachstums ist nach wie vor wichtig, um eine dauerhafte Rückkehr der Inflation auf zwei Prozent zu ermöglichen. Daher werden Informationen über die Lohnabschlüsse für 2024 von entscheidender Bedeutung sein, auch wenn viele Länder diese Informationen erst im nächsten Frühjahr veröffentlichen werden.

Der kombinierte Einkaufsmanagerindex der Eurozone stieg im September leicht auf 47,2, bleibt aber schwach und steht im Einklang mit einem leicht negativen Wachstum von etwa minus ein Prozent auf Jahresbasis. Insgesamt zeichnet sich ein Bild eines stagnierenden Wachstums und einer schwächer werdenden, aber immer noch über dem Ziel liegenden Inflation.

EZB-Bilanz: Keine Änderungen im Oktober, aber Vorsicht ist angesagt

Die EZB hielt auf der Oktobersitzung an ihrer Bilanzprognose fest. Sie beabsichtigt weiterhin, PEPP-Fälligkeiten bis mindestens Ende 2024 zu reinvestieren. Flexible PEPP-Reinvestitionen bleiben die erste Verteidigungslinie gegen das Fragmentierungsrisiko, also die Möglichkeit, dass sich die Renditen verschiedener Staatsanleihen des Eurogebiets verschieben oder unterschiedlich auf die EZB-Politik reagieren und die Märkte destabilisieren könnte.

Die Unsicherheit im Zusammenhang mit der Reform der fiskalischen Regeln des Euroraums, der jüngste Renditeverfall im langfristigen Bereich und die Ausweitung der Spreads der Staatsanleihen des Euroraums haben die Chancen für eine vorzeitige Entscheidung auf der Oktober-Sitzung verringert. Wir glauben jedoch, dass die EZB eine frühere Kürzung der PEPP-Reinvestitionen anstrebt, als es die aktuellen Leitlinien vermuten lassen. Ausschlaggebend dürften die weiter über dem Zielwert liegende Inflation sein und die Tatsache, dass pandemiebedingte Überlegungen weniger im Vordergrund stehen.

Wir gehen nicht davon aus, dass die EZB den Verkauf von Anleihebeständen kategorisch ausschließt. Wir erwarten, dass sich die EZB weiterhin auf eine allmähliche und geordnete passive Reduzierung der Reinvestitionen konzentrieren wird. Die Reinvestitionspolitik wird auch von der Ausgestaltung eines neuen operativen Rahmens für die Steuerung der kurzfristigen Zinssätze, einschließlich des Umfangs eines strukturellen Anleiheportfolios, beeinflusst werden. Die EZB strebt derzeit an, diese Überprüfung bis zum Frühjahr 2024 abzuschließen.

Einschätzung von Konstantin Veit, Portfolio-Manager und Leiter der European Rates- und Short-Term Desks, PIMCO

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