ETFs ALS NACHHALTIGKEITSFEINDE?

Es gibt viel zu tun: Der Klimawandel wirkt sich negativ auf den Planeten aus. Auch soziale Aspekte müssen für viele Menschen deutlich besser werden. Außerdem muss die Governance vieler Unternehmen, Organisationen und Länder konsequenter werden. Und Geld regiert die Welt. Investoren sollten daher versuchen, die Environmental-, Social- und Governance-Aspekte (ESG) von Kapitalnachfragern zu beeinflussen.
20. Juni 2023
Foto: © Erich - stock.adobe.com

Es gibt viel zu tun: Der Klimawandel wirkt sich negativ auf den Planeten aus. Auch soziale Aspekte müssen für viele Menschen deutlich besser werden. Außerdem muss die Governance vieler Unternehmen, Organisationen und Länder konsequenter werden. Und Geld regiert die Welt. Investoren sollten daher versuchen, die Environmental‑, Social- und Governance-Aspekte (ESG) von Kapitalnachfragern zu beeinflussen.

Kapitalanleger sollten das auch in ihrem eigenen finanziellen Interesse tun. Investitionen in Unternehmen, Organisationen und Länder mit eher geringen ESG-Risiken sind sinnvoller als solchen mit hohen ESG-Risiken. Dies gilt insbesondere dann, wenn – bei Investitionen in schlechte ESG-Wertpapiere – das zusätzliche ESG-Risiko nicht angemessen kompensiert wird. Und dies scheint oft der Fall zu sein.

Vereinfacht zusammengefasst haben nachhaltigere Anlagen bisher ähnliche, wenn nicht sogar bessere Renditen erzielt als weniger nachhaltige Anlagen. Und ihre finanziellen Risiken waren eher geringer als höher. Es ist deshalb kein Wunder, dass nachhaltige Anlagen in vielen Teilen der Welt boomen. Das gilt besonders für angeblich nachhaltige Exchange Traded Funds (ETFs).

Probleme mit Nachhaltigkeitsdefinitionen
Leider gibt es keine allgemein anerkannte Definition von nachhaltigen Investitionen. Man kann aber grundsätzlich vier Ansätze unterscheiden: Ausschlüsse, ESG Ratingnutzung bzw. ESG-Integration, positive Auswahlkriterien wie die Ausrichtung an den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen sowie positive Einflussversuche mit Stimmrechtsausübungen und Engagement. Für nachhaltige ETFs werden überwiegend die ersten beiden Kriterien genutzt. Um Veränderungen zu erreichen, sind jedoch die letztgenannten Positivkriterien wichtiger.

Ausschlussprobleme
Brauchen wir die Kernenergie, weil sie klimafreundlich ist, oder sollten wir sie wegen der nuklearen Risiken aus Investitionsportfolios ausschließen? Sollten Waffenhersteller ausgeschlossen werden, oder brauchen wir Waffen zur Verteidigung? Sind gentechnisch veränderte Organismen grundsätzlich schlecht oder können sie dazu beitragen, den Hunger zu verringern? Sollten Tierversuche komplett verboten werden, oder sind sie wichtig für den medizinischen Fortschritt? Und ist es notwendig, fossile Brennstoffe auszuschließen, weil sie das Klima schädigen, oder sollte man investiert bleiben, weil man auf diese Rohstoffe nicht komplett verzichten kann? Die Antworten können sich stark unterscheiden.

Mit Standardprodukten wie ETFs werden manchmal einige, aber meist nicht alle dieser umstrittenen Investments ausgeschlossen. Luxusgüterhersteller, Hersteller von ungesunden Lebensmitteln etc. stehen auf keinen ETF-Ausschlusslisten. Außerdem schließen ETFs oft nicht 100 % der angeblich ausgeschlossenen Aktivitäten aus. Nachhaltig orientierte Anleger, die sich Listen von ETF-Bestandteilen ansehen, sind deshalb sehr oft enttäuscht über deren Inhalte.

ESG-Ratingprobleme
ESG-Datenanbieter erfassen oft über einhundert ESG-Kriterien pro Wertpapier. So ist es nicht verwunderlich, dass verschiedene Anbieter zu unterschiedlichen ESG-Ratings für ein und dasselbe Wertpapier kommen. Selbst Wertpapiere mit relativ guten ESG-Ratings können noch viele ESG-Mängel aufweisen, da schlechte Einzelbewertungen oft durch andere gute Bewertungen ausgeglichen werden können. Der Fall von Tesla ist bekannt, weil das Unternehmen aus einem Nachhaltigkeitsindex ausgeschlossen wurde, obwohl es in den meisten Umweltbewertungen gut abschnitt. Aber Tesla scheint bei sozialen und/oder Governance Bewertungen oft nicht gut abzuschneiden. Elon Musk, der CEO von Tesla, beschwerte sich auch darüber, dass ein Ölförderunternehmen im Nachhaltigkeitsindex verblieb. Viele Indizes wollen jedoch alle wichtigen Marktsegmente einbeziehen. Wenn das aggregierte ESG-Rating eines solchen traditionellen Energieunternehmens im Vergleich zu seinen Branchenkollegen relativ gut ist, kann es im (Best-in-Class-)Index bleiben. Die Verwendung separater Mindestanforderungen für E, S und G und die Anwendung eines Best-in-Universe-Rating-Ansatzes können dazu dienen, nachhaltigere Portfolios zu erstellen. Allerdings kenne ich keine ETFs, die einen solchen Ansatz verfolgen.

Schwierige positive Auswahlkriterien
Bestehende ESG-Ratings zeigen in der Regel die relativen ESG-Risiken von Wertpapieren auf. Für anspruchsvolle nachhaltige Investoren ist es wichtiger, dass positive Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden. Häufig wird die Ausrichtung an den SDGs zur Auswahl von Anlagen herangezogen. Allerdings sind nur sehr wenige Anlagen gut auf die SDGs abgestimmt. Dazu zählen bestimmte Themen ETFs z. B. für Klima, Wasser etc. Für einige dieser ETFs werden zusätzlich aggregierte Best-in-Class ESG-Ratings genutzt. Big-Tech oder chinesische Unternehmen sind oft stark in diesen ETFs vertreten. Das gefällt vielen nachhaltig orientierten Anlegern nicht.

Grenzen von Voting, Engagement und Diversifikation
Da Investitionen in Bezug auf ESG-Kriterien oder SDG-Ausrichtung
nicht perfekt sind, versuchen manche Investoren, ihre Investitionen zu verbessern. ETFs haben oft hohe Anlagevolumina oder gehören zu großen Geldanlageanbietern. Manche dieser Anbieter nutzen ihre Anteile durchaus, um Verbesserungen bei den Unternehmen zu erreichen. Trotz ihrer Größe können sie dabei aber nur relativ wenige Unternehmen der den ETFs zugrundeliegenden Indizes und nur bei einer beschränkten Zahl von Themen beeinflussen. Außerdem dauert es oft sehr lange, bis Veränderungen erreicht werden, insbesondere wenn die Services oder Produktangebote modifiziert werden sollen.

Die hohe Diversifikation, die oft als wichtiger ETF-Vorteil genannt wird, steht einer hohen Nachhaltigkeit diametral entgegen. Wenn man ein Portfolio mit den nachhaltigsten Wertpapieren startet, reduziert jedes weitere Wertpapier die durchschnittliche Nachhaltigkeit des Portfolios. Aus Performancegründen sind konzentrierte Portfolios oft sogar attraktiv. Und der Grenznutzen weiterer Diversifikation für Rendite oder Risiko ist meistens sehr gering.

Nachhaltigkeitsabfragen, FinTechs und ESG Indexing
Wenn Anleger heute bei den neuen erforderlichen Nachhaltigkeitsabfragen gemäß MiFID II konsequent nachhaltig antworten, finden man meist keine geeigneten ETFs oder andere passende Standardprodukte für sie. Deshalb bieten viele Geldanlageanbieter lieber nicht-nachhaltige Produkte an. Für individuelle Anforderungen maßgeschneiderte Portfolios werden von Finanzdienstleistern meist gar nicht oder nur ab sehr hohen Anlagebeträgen angeboten. Dabei ermöglicht moderne Finanztechnologie (FinTech) schon heute einfache Nachhaltigkeitsindividualisierungen. BlackRock, J.P. Morgan, Morgan Stanley, Goldman Sachs, Vanguard, Morningstar, Franklin Templeton und Charles Schwab haben in den letzten Monaten FinTechs mit sogenannten direkten Indexierungsservices (Direct Indexing) gekauft. Diese werden bisher fast nur in den USA und hauptsächlich zur Erstellung steuerlich optimierter Portfolios genutzt. Grundsätzlich können aber auch deutsche Anleger mit Hilfe solcher FinTechs mit einem transparenten regelbasierten (Index-)Anlageuniversum starten und es individuell, schnell und kostengünstig an ihre Nachhaltigkeitsbedürfnisse anpassen. Manche ETF-Experten sehen in Direct Indexing deshalb den größten Konkurrenten für ETFs.

Zusammenfassung: ETFs sind nicht ideal
Es gibt zwar schon mehr als fünfzigtausend nachhaltige Investmentindizes, aber nur wenige sehr streng nachhaltige ETFs. Das
ist kein Zufall. Hohe Diversifikation aber auch Standardisierung
sind mit besonders nachhaltigen Portfolios kaum vereinbar. ETFs
sind zwar nicht grundsätzlich Nachhaltigkeitsfeinde, aber für viele
nachhaltig ausgerichtete Anleger nicht ideal. Aber Portfolios aus
besonders nachhaltigen ETFs sind sicher nachhaltiger als traditionelle (ETF-)Portfolios. Finanztechnologie, speziell Direct ESG Indexing, kann interessante ETF-Alternativen ermöglichen.

Autor: Prof. Dr. Dirk Söhnholz
Geschäftsführer
Soehnholz ESG GmbH

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