Diversität braucht Mut: Vermögensverwalter sollten traditionelle Einstellungspraktiken in Frage stellen

Zu lange schon hält die Vermögensverwaltungsbranche an verkrusteten Anwerbeverfahren fest. Für mehr Diversität und Zukunftsfähigkeit brauche es einen anderen Ansatz, so Apiramy Jeyarajah bei Aviva Investors.
13. Mai 2021
Apiramy Jeyarajah - Foto: © Aviva Investors

Zu lange schon hält die Vermögensverwaltungsbranche an verkrusteten Anwerbeverfahren fest. Für mehr Diversität und Zukunftsfähigkeit brauche es einen anderen Ansatz, so Apiramy Jeyarajah bei Aviva Investors.

Die Vermögensverwaltungsbranche hat ein Diversitätsproblem. Wenngleich das Thema glücklicherweise immer mehr Beachtung findet, sind Frauen, ethnische Minderheiten und andere gesellschaftliche Gruppen mit weiteren unter den Begriff Diversität fallenden Merkmalen in der Branche – insbesondere in leitenden Positionen – leider nach wie vor kaum vertreten.

Die Finanzbranche ist dabei keineswegs ein Sonderfall, sondern vielmehr Spiegelbild einer Gesellschaft, in der Ungleichheit tief verwurzelt ist. Im vergangenen Jahr war die Wahrscheinlichkeit, entlassen oder zwangsbeurlaubt zu werden, für Frauen – insbesondere Women of Color – höher als für Männer.[i] Zwei von fünf Müttern zogen einen Rückschritt in ihrer Karriere in Betracht – angesichts der Schwierigkeit während der Pandemie, Kinderbetreuung und Homeoffice-Arbeit unter einen Hut zu bringen.[ii]

Trotz lobenswerter Ankündigungen in den Führungsebenen machen wir hinsichtlich Diversität am Arbeitsplatz in vielerlei Hinsicht eher Rückschritte. Laut einer Studie von McKinsey legten 27 Prozent der Unternehmen ihre Projekte für Diversität und Inklusion (D&I) 2020 vollständig oder größtenteils auf Eis, da die Coronakrise andere Prioritäten in den Vordergrund rücken ließ.[iii]

Dies ist kurzsichtig, und zwar sowohl moralisch als auch wirtschaftlich. Diese Unternehmen berauben sich selbst frischer Ideen und Perspektiven, die ihnen erfolgreich aus der Krise helfen könnten. So ergab jüngst eine Studie der Boston Consulting Group, dass Unternehmen mit divers aufgestellter Führungsriege besser in der Lage sind, neue Ideen gewinnbringend zu vermarkten.[iv] Die Studie zeigte, dass sich die positiven Effekte addieren, d. h. je mehr Dimensionen von Diversität – Rasse, Geschlecht, soziale Klasse, sexuelle Orientierung, Neurodiversität – vertreten sind, desto größer der positive Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Mit anderen Worten: Je diverser desto besser.

Unbequeme Fragen

Beim Thema Diversität hinterherhinkende Unternehmen werden es schwer haben, talentierte Mitarbeiter und neue Kunden zu gewinnen – das gilt auch für die Vermögensverwaltungsbranche. Vermögensverwalter müssen sicherstellen, dass ihre Teams über die Fähigkeiten und Perspektiven verfügen, die Unternehmen nachhaltig und widerstandsfähig machen und langfristigen Erfolg versprechen. Ohne Diversität ist dies nicht möglich. Es obliegt den Führungsriegen, hier die Initiative zu ergreifen, aber auch jeder Einzelne in der Branche kann durch Hinterfragung veralteter Praktiken und persönlichen Einsatz einen Beitrag zu einer stärker von Inklusion getragenen Unternehmenskultur leisten.

Da es die Aufgabe von Vermögensverwaltern ist, von Portfoliounternehmen einen verantwortungsvollen Umgang mit Themen wie Diversität einzufordern, müssen wir mit gutem Beispiel in eigener Sache vorangehen, sonst könnte man uns Doppelmoral vorwerfen. Institutionelle Anleger und Berater stellen neuerdings unbequeme Fragen bezüglich Diversität an Vermögensverwalter, die schließlich unter anderem die Aufgabe haben, den Anforderungen einer zunehmend diversen Kundenbasis gerecht zu werden.

Zudem könnten sie mit regulatorischen Vorgaben in Konflikt geraten.[v] In einer im März 2021 gehaltenen Rede sagte der Chief Executive der britischen Finanzaufsichtsbehörde Financial Conduct Authority, Nikhil Rathi, dass Unternehmen, die nicht die Gesellschaft widerspiegeln, Gefahr liefen, vielfältigen Gemeinschaften nur schlecht zu dienen. In dem Moment würden Diversität und Inklusion zu Regulierungsthemen.[vi]

Abkehr von der bisherigen Einstellungspraxis

Wie also kann die Investmentbranche die Vielfalt unter ihren Mitarbeitern steigern? Es wird lange dauern, die für die Ungleichheit ursächlichen strukturellen Probleme zu beheben. Viele der laufenden D&I‑Projekte in der Branche sind richtigerweise darauf ausgerichtet, den Einstieg auf unterster Ebene, etwa über Praktika und Early Career-Programme, zu erleichtern. Das sind wichtige Initiativen, dank derer auch Menschen erreicht werden können, die zuvor den Eindruck vermittelt bekamen, eine Laufbahn im Finanzbereich komme für sie nicht in Frage.[vii]

Es gibt jedoch bereits jetzt eine Fülle von potenziell talentierten Mitarbeitern am Markt, die lediglich übersehen werden. Vermögensverwalter sollten nicht davor zurückscheuen, ihre traditionellen Rekrutierungsmethoden zu ändern, wenn sie diese Kandidaten ausfindig machen und an sich binden wollen.

Nicht „passende“, sondern „bereichernde“ Kandidaten einstellen

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Partner, den Vermögensverwalter für das Einstellungsverfahren auswählen. Besonders wenn Führungspositionen besetzt werden sollen, kann eine Zusammenarbeit mit externen Rekrutierungsagenturen und Headhuntern erforderlich sein. Sie sollten dazu angehalten werden, bei der Zusammenstellung der Longlist nicht nur die üblichen Kandidaten, sondern auch den Diversitätsaspekt zu berücksichtigen.

Anschließend kann es für die zuständigen Manager nützlich sein, Kontakt mit den Kandidaten aufzunehmen und mit ihnen die zu besetzende Funktion zu erörtern, bevor mit den eigentlichen Bewerbungsgesprächen begonnen wird. In der förmlichen Phase der Bewerbungsgespräche sollte das für die Rekrutierung verantwortliche Gremium so vielfältig wie möglich besetzt sein. Solche Gremien halten – bewusst oder unbewusst – oft nach Kandidaten Ausschau, die „zur Unternehmenskultur passen“, d. h. Übereinstimmung wird Verschiedenheit vorgezogen. Ein divers ausgerichtetes Gremium trägt dazu bei, diese Tendenz zu mindern. Statt nach „passend“ sollte vielmehr nach „kulturell bereichernd“ Ausschau gehalten werden – nach einer Fähigkeit, Eigenschaft oder Perspektive, die dem Team momentan fehlt.

Wir alle müssen zu einer Änderung der bisherigen Praxis beitragen

Zwei weitere Punkte sollten noch angesprochen werden: Erstens geht es bei der Änderung der Einstellungspraxis nicht um Quoten (wenngleich diese manchmal notwendig sind), sondern um die Einführung von Prozessen, die grundsätzlich zu einer größeren Vielfalt unter den Kandidaten führen sollten. Die Beweggründe von Minderheitsgruppen können unterschiedlich sein und ein Zögern bei der Bewerbung auf eine Stelle bedeutet nicht unbedingt, dass kein Interesse besteht. In Bezug auf den Rekrutierungsprozess sind von unserer Seite größere Anstrengungen, die Entwicklung eines besseren Verständnisses, Anpassungen und eine individuelle Ausrichtung auf jeden Bewerber nötig.

Zweitens müssen wir einfach akzeptieren, dass entsprechend maßgeschneiderte Einstellungsverfahren mit höheren Anforderungen an die Personalmanager einhergehen. Wenn Vermögensverwalter wirklich die geeignetste Person für eine Stelle finden möchten, was wiederum der Diversität in ihren Teams zugutekommt, sollten sie bereit sein, sich entsprechend intensiv mit dem Thema zu befassen.

Damit jeder sein Potenzial wirklich ausschöpfen kann, brauchen wir eine Unternehmenskultur, die der Verschiedenheit der Menschen mit Wertschätzung begegnet. Für diesen Veränderungsprozess wird Einfühlungsvermögen und Neugier seitens der Führungskräfte eine wichtige Rolle spielen: Vorgesetzte sollten sich von pauschalen Herangehensweisen verabschieden und sich stattdessen fragen, wie jeder einzelne Mitarbeiter am besten gefördert werden kann. Aber auch jeder Einzelne von uns muss dazu beitragen, dass bei Neueinstellungen künftig mehr Wert auf „bereichernd“ statt auf „passend“ gelegt wird. Wir alle können ein offenes Ohr haben und uns mehr bemühen, voneinander zu lernen.

Zum Glück setzt sich heute immer mehr die Erkenntnis durch, dass ein kultureller Wandel in der Vermögensverwaltungsbranche vonnöten ist, um jedem das Gefühl zu vermitteln, einen Beitrag leisten und sein Potenzial voll ausschöpfen zu können. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, bis die Branche die ganze Vielfalt der Gesellschaft widerspiegelt – auf die Schnelle lässt sich dies nicht erreichen. Ein Umdenken bei der Einstellungspraxis ist ein guter Anfang.

[i] „Women in the workplace“, McKinsey & Co, 30. September 2020. https://www.mckinsey.com/featured-insights/diversity-and-inclusion/women-in-the-workplace

[ii] Valentina Romei, „,I am close to quitting my career‘: Mothers step back at work to cope with pandemic parenting“, Financial Times, 7. März 2021. https://www.ft.com/content/d5d01f06-9f7c-4cdc-9fee-225e15b5750b

[iii] Maxine Kelly, „Will workplace diversity initiatives survive in a post-Covid era?“, Financial Times, 26. August 2020. https://www.ft.com/content/49bf68bc-a785-4b59-8149–292de991a396

[iv] Rocio Lorenzo, Martin Reeves, „How and were diversity drives business performance“, Harvard Business Review, 30. Januar 2018. https://hbr.org/2018/01/how-and-where-diversity-drives-financial-performance

[v] Apiramy Jeyarajah, „The investment industry should get ready for the rise of the millennials“, Aviva Investors. 18. Februar 2021 https://www.avivainvestors.com/en-gb/views/aiq-investment-thinking/2021/02/investment-industry-millennials/

[vi] Nikhil Rathi, „Why diversity and inclusion are regulatory issues“, Financial Conduct Authority, 17. März 2021.  https://www.fca.org.uk/news/speeches/why-diversity-and-inclusion-are-regulatory-issues

[vii] AIQ Editorial Team, „A time for action: Race, ethnicity and investing“, Aviva Investors, 28. Januar 2021. https://www.avivainvestors.com/en-gb/views/aiq-investment-thinking/2021/01/racial-inequality-investing/

Apiramy Jeyarajah — Foto: © Aviva Investors

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