Globales Wachstum: Schuldenabbau ist der wahre Übeltäter

Die Angst vor einer so genannten säkularen Stagnation erscheint überzogen. Die Wachstumsschwäche ist vielmehr den verbreiteten Anstrengungen geschuldet, die Bilanzen zu bereinigen
9. April 2020
New York City Skyline bei Sonnenuntergang

Die Angst vor einer so genannten säkularen Stagnation erscheint überzogen. Die Wachstumsschwäche ist vielmehr den verbreiteten Anstrengungen geschuldet, die Bilanzen zu bereinigen

Anhaltend niedrige und vielfach negative Zinsen schüren zunehmend Ängste, die Weltwirtschaft könnte in einen Zustand dauerhaft niedriger Nachfrage eingetreten sein – ein Phänomen, für das der ehemalige US-Finanzminister und Harvard-Ökonom Larry Summers den Begriff „säkulare Stagnation“ neu belebt hat. Diese Verunsicherung ist leicht nachzuvollziehen: Seit der globalen Finanzkrise wurde die Geldpolitik kontinuierlich gelockert, um das Wachstum zu fördern – doch die Ergebnisse haben enttäuscht. Nun bietet das aktuelle Niveau der Leitzinsen nur sehr wenig Spielraum, um auf einen möglichen negativen Nachfrage-Schock zu reagieren, was den Zentralbanken große Kopfschmerzen bereitet.

Der Hauptgrund für das schleppende Wachstum der vergangenen Dekade ist aber nicht in einer säkularen Stagnation zu sehen. Vielmehr sind die beispiellos niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre das Ergebnis eines langwierigen Entschuldungsprozesses, der sich früher oder später umkehren wird. Die Weltwirtschaft ist daher vermutlich in einem besseren Zustand, als die Anhänger der These von einer säkularen Stagnation uns glauben machen wollen.

Die vier Entschuldungs-Phasen nach der Krise

Der Schuldenabbau in Folge der globalen Finanzkrise hat sich in vier Phasen vollzogen: der akuten Phase der Finanzkrise, die den Beginn der Bereinigung der US-Bilanzen markierte; der Euro-Krise, die den Entschuldungsprozess in Europa in Gang brachte; dem „taper tantrum“, also der Reduzierung der Anleihekäufe durch die US-Notenbank, die vor allem die Schwellenländer mit Ausnahme Chinas traf; und schließlich dem Schuldenabbau in der chinesischen Wirtschaft. Diese Phasen haben, eine nach der anderen, in den vergangenen elf Jahren eine erhebliche Bremswirkung auf die Weltwirtschaft ausgeübt. Üblicherweise dauern derartige Post-Krisen-Perioden einige Jahre. Die lange Dauer und weite Verbreitung der aktuellen Bereinigung zeigen indessen das Ausmaß der makroökonomischen Ungleichgewichte, die vor und während der Finanzkrise aufgebaut wurden.

Dabei geht es im Wesentlichen um drei Faktoren. Erstens führten in den Jahren vor der Finanzkrise lockere Finanzierungsbedingungen zu einem enormen Bauboom, insbesondere in den USA und den von Schwierigkeiten geplagten Volkswirtschaften Südeuropas. Seither haben wir kontinuierlich damit zu tun, den resultierenden Bestandsüberhang abzubauen. Zweitens führten die Schocks an den Häusermärkten im Zuge der Finanzkrise zu deutlich größeren Belastungen für Privathaushalte als diejenigen auf den Finanzmärkten. Schließlich ist Immobilieneigentum für viele Haushalte die wichtigste Vermögensanlage. Wertverluste haben ihnen den Zugang zu ohnehin restriktiver vergebenen Krediten versperrt. Drittens sind die staatlichen Haushaltsdefizite in Folge der Finanzkrise stark gestiegen. In den Schwellenländern, deren Unternehmen vor der Krise vielfach makellose Bilanzen aufwiesen, hat das eine rapide Ausweitung der Kreditvergabe an den Privatsektor zur Folge gehabt.

Der Schuldenabbau zeigt sich in verschiedenen Regionen in unterschiedlicher Form. In den USA etwa steht einer aggressiven Verringerung der Schuldenlast der Privathaushalte eine wachsende Kreditaufnahme von Unternehmen außerhalb des Finanzsektors gegenüber. Diese wurde allerdings in erster Linie für Maßnahmen des financial engineering, also für Aktienrückkäufe, Dividendenzahlungen und Übernahmen genutzt. Anders als eine Kapitalbildung in Form von Investitionen in Ausrüstungsgüter ist das kein Wachstumstreiber.

In Japan und Europa hatte der Entschuldungsprozess viele Facetten. Insbesondere ging es aber darum, die überbordenden Haushaltsdefizite in den Griff zu bekommen, die aus Finanz- und Eurokrise resultiert haben. In China schließlich bestimmt die Verschiebung politischer Prioritäten vom Wachstum zu Finanzstabilität den Prozess, der der dort wiederum vorwiegend abseits des Privathaushaltssektors stattfindet.

Was aber passiert, wenn alle gleichzeitig ihre Schulden abbauen und also sparen wollen? Eine unzureichende Konsumnachfrage drückt das Wachstum, und ein Überschuss an verfügbaren Kreditmitteln treibt die Zinssätze nach unten.

Geringere Schulden, mildere Rezession

Eine Konsequenz der bisherigen Anstrengungen ist, dass die Weltwirtschaft nur noch sehr wenige makroökonomische Ungleichgewichte aufweist: In Volkswirtschaften, die Schulden abbauen, gibt es keine Investitions- oder Konsumbooms. Die meisten Rezessionen entstehen als Reaktion auf Exzesse. Daher befindet sich die Weltwirtschaft aus einem Makro-Blickwinkel trotz der bereits langlebigen Expansion in einem ungewöhnlich widerstandsfähigen Zustand. Während es zwar zwangsläufig irgendwann zu einer Korrektur kommen wird, sollte diese doch angesichts nur geringer Ungleichgewichte vergleichsweise mild ausfallen.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird in der nächsten Rezession die steigende Verschuldung des US-Unternehmenssektors außerhalb der Finanzbranche ein bestimmender Faktor. Da diese Schulden jedoch nicht über einen Investitionsboom in der Realwirtschaft gelandet sind, dürften sie keine großen makroökonomischen Verzerrungen verursacht haben.

Die schwierigere Frage ist, was Verbraucher und Unternehmen veranlassen könnte, sich wieder mehr Kapital zu leihen und damit das Wachstum zu befördern. Die Aufnahme von Schulden erfordert in erster Linie ein gewisses Maß an Vertrauen in die Zukunft, wobei eine stabile Politik eine Schlüsselkomponente darstellt. Die vergangenen Jahre haben uns jedoch den Handelsstreit zwischen den USA und China, die anhaltende Saga des Brexit und den Aufstieg populistischer Parteien in vielen Ländern beschert. Bevor Haushalte und Unternehmen wieder mehr Geld ausgeben, muss daher möglicherweise zunächst ein gewisses Maß an politischer Stabilität einkehren.

Autor: Nikolaj Schmidt, Chief International Economist von T. Rowe Price

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