Wie gewonnen, so zerronnen

Viele Jahre kannte der deutsche Spezialfondsmarkt nur eine Perspektive: Wachstum! Die Mittelaufkommen sowie die Entwicklung des Marktvolumens waren ausgesprochen positiv. Auch Corona und andere Themen, die wirtschaftliche und ökonomische Unsicherheit verursachten, hatten keine belastende Wirkung auf das Spezialfondsgeschäft. Auch im laufenden Jahr sind Nettomittelaufkommen und Dotierung von frischer Liquidität ausgezeichnet. Allerdings ist seit Jahresbeginn ein Gespenst am Markt: der Zinsanstieg! Die signifikant gestiegenen Zinsen haben seit Jahresbeginn zu einem deutlichen Einbruch des Spezialfondsvolumens geführt. Grund dafür ist die reduzierte Bewertung der immer noch erheblichen Bondpositionen in Spezialfondsmandaten. Aber der Reihe nach.
10. Januar 2023
Foto: © Scheidle-Design – stock.adobe.com

Viele Jahre kannte der deutsche Spezialfondsmarkt nur eine Perspektive: Wachstum! Die Mittelaufkommen sowie die Entwicklung des Marktvolumens waren ausgesprochen positiv. Auch Corona und andere Themen, die wirtschaftliche und ökonomische Unsicherheit verursachten, hatten keine belastende Wirkung auf das Spezialfondsgeschäft. Auch im laufenden Jahr sind Nettomittelaufkommen und Dotierung von frischer Liquidität ausgezeichnet. Allerdings ist seit Jahresbeginn ein Gespenst am Markt: der Zinsanstieg! Die signifikant gestiegenen Zinsen haben seit Jahresbeginn zu einem deutlichen Einbruch des Spezialfondsvolumens geführt. Grund dafür ist die reduzierte Bewertung der immer noch erheblichen Bondpositionen in Spezialfondsmandaten. Aber der Reihe nach.

Insgesamt ist 2022 ein erfolgreiches Jahr für den deutschen Spezialfonds in Bezug auf Nettomittelaufkommen und Mittelzuflüsse von frischer Liquidität. Per Ende des 3. Quartals wur- den 61,1 Mrd. Euro netto eingesammelt, was knapp 1 Mrd. über dem Vergleichswert aus dem Jahr 2021 liegt, welches mit einem Nettomittelaufkommen auf Jahresebene von rund 117 Mrd. Euro sehr erfolgreich war. Das Nettomittelaufkommen des 4. Quartals ist erfahrungsgemäß mit Abstand am höchsten und pendelte in den letzten Jahren zwischen 40 und 50 Mrd. Euro. Unter der Annahme, dass dies auch im laufenden Jahr der Fall sein wird, prognostiziert unser Haus ein Nettomittelaufkommen für das Jahr 2022 von über 100 Mrd. Euro, aber unter dem Vorjahreswert. Unser Blick in die Glaskugel ergab 110 Mrd. Euro.

Bemerkenswert ist, dass die Zuflüsse an frischer Liquidität per Ende des 3. Quartals von 204 Mrd. Euro mit rund 32 Mrd. Euro über dem Vergleichswert von 2021 liegen. Es ist somit noch mehr Liquidität auf Seiten der institutionellen Investoren vorhanden als im Vorjahr, und die entsprechende Dynamik im Drehen von Spezialfondsanteilen ist im Jahresvergleich nochmals angestiegen.

Betrachten wir noch die Cashflows der beiden größten Investorengruppen Versicherungen und Altersvorsorgeeinrichtungen. Nach einem extrem schlechten Jahr 2021 werden Versicherungen im Nettoneugeschäft im laufenden Jahr deutlich besser abschneiden. Ihr Nettomittelaufkommen beträgt per Ende des 3. Quartals 17,6 Mrd. Euro und liegt rund 14,5 Mrd. Euro über dem mageren Vergleichswert aus 2021. Spitzenreiter beim Nettomittelaufkommen sind allerdings Altersvorsorgeeinrichtungen mit 19,4 Mrd. Euro per Ende September 2022, was allerdings 1 Mrd. Euro unter dem entsprechenden Wert des Vorjahres liegt. Die massiv vorhandene Liquidität wird beim Blick auf die Dotierung frischer Mittel im Sinne einer Bruttogröße deutlich. Versicherungen schossen per Ende September sage und schreibe 65 Mrd. Euro frisches Geld in ihre Spezialfonds und damit fast 23 Mrd. Euro mehr als zum Vergleichszeitpunkt des Vorjahres. Altersvorsorgeeinrichtungen kommen auf 53,8 Mrd. Euro frisches Geld, was einem Anstieg um rund 14 Mrd. Euro gegenüber dem Vorjahresstichtag Ende des 3. Quartals 2021 entspricht. Die Aktivität der beiden größten Investorensegmente im Spezialfondsgeschäft ausgedrückt in Anteilscheindynamik und Divergenz zwischen Dotierung von frischer Liquidität und verbleibenden Nettomittelaufkommen ist auf einem bemerkenswert hohen Niveau. Die entscheidende Frage dabei ist, ob beide Investorengruppen dabei die Risikoleiter hoch oder runter klettern.

Nun zum eingangs schon erwähnten unangenehmen Thema. Ende Januar 2022 betrug das Spezialfondsvolumen in Deutschland insgesamt 2.117 Mrd. Euro. Die Rendite der jeweils jüngsten Bundesanleihe mit einer vereinbarten Laufzeit von zehn Jahren soll hier als indikatives Proxy dienen. Sie lag gemäß Angaben der Deutschen Bundesbank am 31.01.2022 bei ‑0,02 %. Seit Ende Januar ist das Spezialfondsvolumen um unfassbare 239 Mrd. Euro auf 1.878 Mrd. Euro geschrumpft und das trotz der skizzierten nicht unerheblichen Nettomittelaufkommen. Die Rendite des oben genannten Proxy ist im gleichen Zeitraum um 210 Basispunkte auf 2,12 % per Ende September angestiegen. Auch wenn es sehr vereinfacht geschildert ist, da es eine Viel- zahl von Bondindices und Benchmarks gibt: Der Zinsanstieg um 210 Basispunkte hat aufgrund der Bewertungseffekte der Bondbestände in Spezialfonds 239 Mrd. Euro verbrannt. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Diese marktbedingte Vernichtung der Ertragsgrundlage in Höhe von 239 Mrd. Euro wird in der Anbieterlandschaft des Spezialfondsgeschäfts für hängende Mundwinkel sorgen.

Zur Einordnung: ein Basispunkt von 239 Mrd. Euro sind knapp 24 Mio. Euro und somit kann man nach individueller Margeneinschätzung den Ertragsverlust für die deutsche Asset-Management-Branche errechnen. Das muss erstmal durch andere Asset-Klassen oder Provisionen aufgefangen werden. Und das alles in nur neun Monaten!

Die Analyse der Entwicklung der Spezialfondsvolumina auf Ebene der Investorengruppen veranschaulicht sehr eindrücklich, dass Spezialfonds von Versicherungen mit Abstand am heftigsten vom Rückgang der Volumina betroffen sind. Das Spezialfondsvolumen von Versicherungen hat in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres um 117 Mrd. Euro auf 529 Mrd. Euro abgenommen. Kein Wunder bei den teilweise sehr langen Durationen der Bondbestände von Versicherungen.

Das Spezialfondsvolumen von Altersvorsorgeeinrichtungen blutete in Höhe von 57 Mrd. in den ersten drei Quartalen von 2022 aus und beträgt per Ende September 521 Mrd. Euro. Da wirken die Rückgänge der Spezialfondsvolumina von Sozialversicherungen & öffentlichen/kirchlichen Zusatzversorgungseinrichtungen in Höhe von 16 Mrd. Euro auf ein Volumen von 138 Mrd. Euro, Corporates (14 Mrd. Euro auf 183 Mrd. Euro Volumen), Kreditinstituten (9 Mrd. Euro auf 206 Mrd. Euro Volumen) und sonstigen Investoren (6 Mrd. Euro auf 64 Mrd. Euro Volumen) noch vergleichbar harmlos.

Der Effekt dieser massiven zinsbedingten Bewertungsabschläge findet sich am deutlichsten bei gemischten Wertpapierspezialfonds wieder. Ihr Volumen reduzierte sich von Ende Januar bis Ende September um 128 Mrd. Euro. Ein Indiz für eine klare Bondlastigkeit von gemischten (Master)-Spezialfondsmandaten. Das Volumen von Rentenspezialfonds reduzierte sich im gleichen Zeitraum konsequenterweise um 89 Mrd. Euro. Aktienspezialfonds verloren immerhin noch 22 Mrd. Euro, gefolgt von Dachspezialfonds mit einem Voluminarückgang in Höhe von 7 Mrd. Euro und sonstigen Spezialfonds mit 6 Mrd. Euro. In diesem Sinne zinsinsensitiv stellen sich Immobilienspezialfonds dar. Ihr Volumen stieg in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 um 15 Mrd. Euro an.

Quelle Deutsche Bundesbank / Darstellung Kommalpha AG

Fazit

Der Zinsanstieg kam nicht wirklich überraschend über Nacht. Der Einbruch des Volumens im Spezialfondsmarkt erscheint dramatisch. Fraglich ist, warum keine oder zu wenige zinsbezogene Risikomanagement- oder Hedging-Aktivitäten ergriffen wurden, um dies abzufedern. Aber klar: regulatorische Anforderungen sowie vertragliche Bedingungen stellen für Bondmanager häufig ein sehr enges Korsett dar, welches kaum Luft zum Atmen bietet. Und sind die Risikobudgets erstmal weg, geht es richtig abwärts. Außerdem ist es tatsächlich schwierig und bedingt praktikabel, Bondportfolios mit extrem hohen Durationen mittels Zinsderivaten zu steuern. Ein Plädoyer für größtmögliche Diversifizierung über alle möglichen Asset-Klassen, Regionen, Spezialitäten, Gattungen etc. sparen wir uns an dieser Stelle. Theoretisch ist das alles klar, aber bei der Umsetzung in der Praxis hapert es.

 

Autor: Clemens Schuerhoff
Vorstand
Kommalpha AG

SOCIAL MEDIA

RECHTLICHES

AGB
DATENSCHUTZ
IMPRESSUM
© wirkungswerk
ALLE RECHTE VORBEHALTEN

Anmeldung zum Newsletter