Wer wirklich nachhaltig bauen will, muss nutzungsneutral bauen

Uns allen ist bewusst, dass in den kommenden Jahren Schritt für Schritt der CO2-Fußabdruck von Gewerbebauten auf Herz und Nieren geprüft werden wird. Nach den privaten Pionieren der letzten zehn Jahre wird zunächst die öffentliche Hand die Ansprüche bei der Wahl von Büros immer weiter nach oben schrauben. Folgen werden börsennotierte Unternehmen, Großkanzleien und Wirtschaftsprüfergesellschaften, die sich die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards auf die Fahne schreiben wollen – und müssen. Letztlich werden immer mehr Unternehmen und auch kleinere und mittlere, inhabergeführte Firmen darauf achten, dass die Immobilien, die sie anmieten, möglichst nachhaltig sind.
7. Januar 2022

Nutzungsneutralität als Nachhaltigkeitsfaktor erkennen

Für mich steht fest, dass ein gangbarer Weg dabei die Nutzungsneutralität ist. Darunter versteht man, dass Gebäude so errichtet werden, dass sie über mehrere Vermietungszeiträume und auch über die ursprünglich angedachte Nutzungsphase innerhalb des Lebenszyklus der Immobilie umgenutzt werden können. Ein Bürogebäude kann auch zu einem Wohngebäude oder einem Hotel werden – und umgekehrt. Das gilt entsprechend auch innerhalb ein und derselben Assetklasse, so dass große zusammenhängende Flächen ohne weiteres aufgeteilt werden können.

Dabei muss man auch berücksichtigen, dass Nutzungsneutralität bei der Planung und Herstellung von Gebäuden ansetzt. Bereits im frühen Stadium muss gewährleistet werden, dass die einzelnen Komponenten und Ausstattungsmerkmale des Projekts effizient gehalten werden, was insbesondere die technische Ausstattung betrifft. Je mehr Sensoren, Hochtechnologie und Kabel in einem Gebäude verbaut sind, desto spezifischer ist meist die Nutzung der Flächen. Das kann unter Umständen die Umnutzung der Flächen erschweren, verschiebt aber in jedem Fall den Break-Even-Point der CO2-Neutralität der Immobilie weiter in die Zukunft.

Die Fixierung auf eine Nutzungsart sollten wir in Zukunft auf jeden Fall in Frage stellen, da dadurch die avisierte Nachhaltigkeit im Gebäudesektor nicht über die erste Nutzungsphase hinaus realisiert werden kann und somit auf den langfristigen Investor zurückfällt. Dabei müssen sich Investoren vor allem klar darüber sein, dass sie mit ihren Produkten nicht nur ihren Mietern ermöglichen sollten, möglichst nachhaltig zu wirtschaften, sondern sich auch selbst als nachhaltiges Unternehmen positionieren.

Nutzungsneutralität verlängert den Lebenszyklus von Gebäuden

Vor diesem Hintergrund der komplexen und lebenszyklusübergreifenden Nachhaltigkeit im Gebäudesektors ist es unabdingbar, mehr bauliche Effizienzen einzukalkulieren, um Vorteile für weitere Nutzungen und damit Nutzungsneutralität zu schaffen. Häufig lassen sich diese Effizienzen dadurch erzielen, dass man die Gebäude mit einer schlankeren technischen Ausstattung ausrüstet. Wie bei anderen digital gesteuerten Geräten ist die Digitalisierung kein Garant dafür, dass weniger Energie verbraucht wird, wenn man sich alle Phasen anschaut. Gewiss ist die Nutzungsphase nach Erreichung des energetischen Break-Even-Points dadurch energieeffizienter – aber was ist mit der Herstellung? Der Vergleich zu modernen E‑Automobilien liegt hier auf der Hand. Während der tatsächlichen Nutzung sind die lokalen Emissionen eines Elektroautos geringer aus als bei einem konventionellen Verbrennungsmotor. Die Herstellung der Batterien ebenso wie die Zurverfügungstellung der zu nutzenden elektrischen Energie ist aber mindestens genauso energieintensiv wie bei herkömmlichen Autos. Wir haben es also mit einer Verlagerung der Energieemissionen zu tun. Das mag in manchen Fällen – wie bei der Automobilität – durchaus sinnvoll sein, ob das aber für ganze Gebäude ebenso gilt, die dann zu komplett emissionsüberwachten Großrechnern mit bewusst kurzer Lebensdauer mutieren, wage ich zu bezweifeln.

Diese Kritik an einer digitalen Überlastung von Bürogebäuden heißt freilich nicht, dass eine komplette Abkehr von intelligenten Technologien angebracht wäre. Vielmehr gilt es, genau zu prüfen, welche Maßnahmen tatsächlich zielführend sind und welche nur in der Theorie zu mehr Klimaschutz beitragen können. Der Blick auf nutzungsneutrale Gebäudeeigenschaften steckt vor diesem Hintergrund derzeit noch eindeutig in den Kinderschuhen, wird aber in den kommenden Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen. Denn es liegt im Interesse aller Beteiligten, dass mehr Gebäude errichtet werden, die mit weniger Primärenergieaufwand hergestellt, betrieben und umgenutzt werden. Nur so wird es der Immobiliensektor schaffen, langfristig und mieterunabhängig zum Klimaschutz beizutragen. Die Bedürfnisse der Menschen wandeln sich ohnehin seit einigen Jahren wieder hin zu einer engeren Verschränkung von Leben und Arbeiten, so wie es Anfang des vorherigen Jahrhunderts gängig war.

Autor: Patrick Herzog
Vorstand DKW
Deutsche KapitalWert AG

Foto: © DaiPhoto — stock.adobe.com

Pages: 12

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