Während Value Investing traditionell in etablierten Märkten populär ist, bieten auch die Emerging Markets lukrative Gelegenheiten für Investoren, die bereit sind, gewisse Unsicherheiten in Kauf zu nehmen. Schließlich können diese Märkte durch ihr schnelles wirtschaftliches Wachstum und strukturelle Veränderungen erhebliche Unterbewertungen aufweisen, die es zu nutzen gilt.
Schwellenländer gelten oft als Risikodestinationen für Anleger durch ihre oftmals unklaren Perspektiven und häufig auch politischen und regulatorischen Unsicherheiten. Und gerade substanzorientierte Investoren machen immer wieder einen Bogen um diese Regionen und verlassen sich lieber auf die gesättigten großen Industrienationen. Das kann aber ein Trugschluss sein, der Rendite und Portfoliodiversität kosten kann. Denn auch die Emerging Markets weisen viele Chance für Value Investing-Fans auf, die bereit sind, mögliche zusätzliche Volatilität und Unsicherheit in Kauf zu nehmen.
Emerging Markets erleben oft rasche wirtschaftliche Entwicklungen und signifikante strukturelle Veränderungen, die zu Unterbewertungen führen können. Ein Grund dafür ist die oft begrenzte Marktinformation und die unvollkommene Informationsverarbeitung durch die Marktteilnehmer. In etablierten Märkten sind Informationen in der Regel leicht zugänglich und schnell im Preis eingepreist. In Emerging Markets hingegen kann es länger dauern, bis alle verfügbaren Informationen korrekt reflektiert werden, was zu einer Unterbewertung von Aktien führt, die ihren inneren Wert noch nicht vollständig im Marktpreis widerspiegeln.
Volatilität kann viele Chancen bieten
Ein weiteres Element, das zu Unterbewertungen führt, ist die höhere Marktvolatilität, die durch politische Unsicherheiten, wirtschaftliche Instabilitäten oder Wechselkursschwankungen verursacht wird. Solche Volatilitäten können Investoren abschrecken, wodurch attraktive Titel oft übersehen oder aufgrund kurzfristiger Risiken falsch bewertet werden. In diesen Situationen bieten sich für geduldige Investoren, die langfristige Fundamentaldaten analysieren, Chancen, Aktien zu erwerben, die stark unter ihrem inneren Wert notieren. Warum? In Märkten, die häufig von kurzfristigen makroökonomischen Ereignissen und Stimmungsumschwüngen geprägt sind, können die Aktienkurse kurzfristig stark von ihren inneren Werten abweichen. Geduldige Investoren, die bereit sind, kurzfristige Turbulenzen zu ertragen, können von diesen Diskrepanzen profitieren. Dies setzt jedoch eine gründliche Risikobewertung und ein diszipliniertes Risikomanagement voraus.
Die Erkennung und Messung dieser Unterbewertungen erfordern einen umfassenden Ansatz. Klassische Bewertungskennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) und die Eigenkapitalrendite (ROE) sind nach wie vor von Bedeutung. Allerdings sollten diese Metriken im Kontext der spezifischen Marktbedingungen und der strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Länder interpretiert werden. Es ist wichtig, diese Kennzahlen in Relation zu historischen Werten und zu den Durchschnittswerten der Peergroup in ähnlichen Märkten zu betrachten.
Wissen über die Chancen und Risiken einer Region
Ein tiefgehendes Verständnis der makroökonomischen Faktoren, die das Wachstum und die Stabilität eines Landes beeinflussen, ist ebenfalls entscheidend. Dazu gehört die Analyse von Faktoren wie dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), der Inflation, der politischen Stabilität und den Reformprozessen, die langfristig das Wirtschaftswachstum fördern können. Unternehmen, die in diesen wachstumsstarken und reformorientierten Umgebungen tätig sind, haben oft ungenutztes Potenzial, das im aktuellen Marktpreis nicht vollständig eingepreist ist.
Der Zugang zu Wissen über die Chancen und Risiken einer Region und tiefgehende Due-Diligence-Prozesse spielen eine zentrale Rolle bei der Identifikation von unterbewerteten Titeln. Durch dieses professionelle Research entstehen tragfähige Einblicke in kulturelle, regulatorische und marktbezogene Nuancen, die für ausländische Investoren schwer zugänglich sind. Durch umfangreiche Unternehmensanalysen, Interviews mit dem Management und die Analyse von Branchenreports können Investoren ein besseres Verständnis für die tatsächlichen Geschäftsaussichten und Risiken gewinnen.
Diversifikation über verschiedene Sektoren und Regionen hinweg von zentraler Bedeutung
Das Risikomanagement beim Value Investing in den Emerging Markets erfordert ebenso eine multifaktorielle Herangehensweise. Neben der sorgfältigen Titelauswahl ist die Diversifikation über verschiedene Sektoren und Regionen hinweg von zentraler Bedeutung, um spezifische Risiken zu minimieren. Zudem sollten Investoren auf die Liquidität der Wertpapiere achten, da weniger liquide Märkte zu größeren Preisschwankungen und potenziellen Schwierigkeiten beim Ausstieg führen können. Die Absicherung gegen Währungsrisiken ist ebenfalls ein essenzieller Bestandteil, da Wechselkursvolatilität die Renditen stark beeinflussen kann.
Gerade risikoaverse Investoren sollten bei ihren Value-Emerging-Market-Aktivitäten auf etablierte Strategien setzen. Vor allem im Fondsbereich können sie auf das Wissen erfahrener Manager zugreifen und deren Marktkenntnisse nutzen. Das kann Fehlentscheidungen vermeiden. Ein wesentlicher Aspekt für institutionelle Investoren ist dabei die Integration einer Value-Strategie in das gesamte Portfolio unter Berücksichtigung des Rendite-Risiko-Profils. Dies erfordert eine klare Definition der Investmentziele und eine sorgfältige Abwägung zwischen den potenziellen hohen Renditen und den damit verbundenen Risiken. Durch die Kombination von Value-Titeln aus Emerging Markets mit anderen Anlageklassen und Regionen können institutionelle Investoren die Gesamtvolatilität des Portfolios reduzieren und gleichzeitig attraktive Renditechancen nutzen. Diese strategische Diversifikation wird durch regelmäßige Performance-Überprüfungen und Anpassungen an sich verändernde Marktbedingungen unterstützt.
Gastautor: Harald Sporleder, Chief Investment Officer der Value Investing-Boutique Lingohr Asset Management