Unterschätztes Risiko: Moderne Sklaverei im Portfolio

Corona, Inflation, Ukraine-Krieg. Die 2020er Jahre sind noch jung, aber bereits von mehreren Krisen geprägt, die Investoren schlaflose Nächte bereiten. Doch auch jenseits dieser viel diskutierten Themen verbergen sich Risiken für das Portfolio. Eine oft unterschätzte Problematik: Die moderne Sklaverei. Dieses soziale Übel ist noch immer derart verbreitet, dass Investoren unwissentlich damit in Berührung kommen und in ihren Portfolios unbeabsichtigt davon betroffen sein können. Um dieses Risiko zu erkennen und zu steuern, braucht es ein starkes Bewusstsein für die Problematik, einen fundierten Analyserahmen und einen konstruktiven Austausch mit potenziell betroffenen Unternehmen.
16. Mai 2023
Saskia Kort-Chick - Foto: © AllianceBernstein

Corona, Inflation, Ukraine-Krieg. Die 2020er Jahre sind noch jung, aber bereits von mehreren Krisen geprägt, die Investoren schlaflose Nächte bereiten. Doch auch jenseits dieser viel diskutierten Themen verbergen sich Risiken für das Portfolio. Eine oft unterschätzte Problematik: Die moderne Sklaverei. Dieses soziale Übel ist noch immer derart verbreitet, dass Investoren unwissentlich damit in Berührung kommen und in ihren Portfolios unbeabsichtigt davon betroffen sein können. Um dieses Risiko zu erkennen und zu steuern, braucht es ein starkes Bewusstsein für die Problematik, einen fundierten Analyserahmen und einen konstruktiven Austausch mit potenziell betroffenen Unternehmen.

Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation waren im Jahr 2022 weltweit knapp 50 Millionen Menschen von Sklaverei betroffen. Bis 2030 möchten die Vereinten Nationen die Sklaverei zwar endgültig abschaffen, doch in der Realität ist die Zahl der Opfer in den letzten Jahren sogar gewachsen. Gründe dafür sind vor allem die bereits erwähnten Krisen wie die Corona-Pandemie und Kriege, aber auch Umweltkatastrophen, die die Armut in einkommensschwächeren Ländern erhöht und Migrationsströme ausgelöst haben. Moderne Sklaverei kann dabei viele Formen annehmen, wie etwa Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft und Menschenhandel. Oft sind auch die Arbeitsbedingungen so katastrophal, dass eine menschenwürdige Arbeit nicht möglich ist.

Auch Unternehmen in Industrieländern sind betroffen

Vielen Unternehmen fällt es jedoch schwer, das Risiko der modernen Sklaverei in ihren Betrieben und entlang ihrer globalen Lieferketten zu bewerten. Während in vielen B2C-Branchen das Thema nicht zuletzt aufgrund der medialen Aufmerksamkeit schon länger eine Rolle spielt, stehen B2B-Branchen teils noch am Anfang. Hier ist zum Beispiel die Bergbaubranche stark betroffen, die vor allem in ärmeren Schwellenländern angesiedelt ist. Von den geschürften Metallen, Seltenen Erden und Mineralien hängen jedoch viele beliebte und vermeintlich „sichere“ Anlagesektoren ab, deren Akteure in Industrieländern beheimatet sind. Dazu gehören zum Beispiel der Technologie- und Automobilsektor, Erneuerbare Energien oder Luxuskonsumgüter. Das Investieren in Unternehmen aus Ländern mit hohen eigenen Menschenrechtsstandards schützt also nicht automatisch davor, mit moderner Sklaverei in Verbindung zu stehen.

Risiken analysieren und langfristig moderne Sklaverei bekämpfen

Um das Risiko von Menschenrechtsverletzungen im Portfolio zu erkennen und zu managen, ist es im ersten Schritt notwendig, einen fundierten Analyserahmen zu erarbeiten, der es Unternehmen ermöglicht, alle Unternehmen im Universum eines Portfolios auf Grundlage ihrer potenziellen Gefährdung zu analysieren. Der Mechanismus von AllianceBernstein (AB) zum Beispiel berücksichtigt dafür vier Hauptrisikofaktoren: gefährdete Bevölkerungsgruppen, risikoreiche Regionen, risikoreiche Produkte und Dienstleistungen sowie risikoreiche Geschäftsmodelle. Basierend auf interner Grundlagenforschung und Informationen von renommierten Drittanbietern wie etwa dem Global Slavery Index (GSI) werden die zu untersuchenden Unternehmen einer Matrix zugeordnet, die das Ausmaß der Gefährdung sowohl im Betrieb als auch in den Lieferketten aufzeigt. In diesem ersten Schritt wird nur die Gefährdung bewertet und noch nicht, wie gut oder schlecht ein Unternehmen das Risiko verwaltet. Abbildung 1 stellt zur Veranschaulichung dar, wie einzelne Branchen in der Matrix eingeordnet sind; in der Praxis werden jedoch einzelne Unternehmen eingezeichnet.

Abbildung 1: Bewertung verschiedener Branchen anhand ihres Risikos zur Verletzung von Menschenrechten

* Die Risiken in der Lieferkette können Kunden einbeziehen und sich auf Zulieferer der zweiten und sogar dritten Ebene erstrecken, bei denen das Verhalten des Unternehmens zu den Risiken der modernen Sklaverei beiträgt.
** Immobilienfonds.
Stand: 31. Dezember 2021 / Quelle: ACSI, Unternehmensbefragungen, Unternehmensberichte, Branchenresearch und AllianceBernstein (AB)

Direkter Kontakt mit den Unternehmen

Diese Einordnung ist allerdings nur der erste Schritt zur Bewertung des Risikos der modernen Sklaverei und muss um das Verständnis der Exponierung einzelner Unternehmen erweitert werden. Um die individuellen Risiken der modernen Sklaverei zu verstehen, braucht es gute Research-Fähigkeiten und eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Fundamentalanalysten und internen ESG-Experten sowie ein klares Gespür für bewährte Verfahren des Risikomanagements. Ebenfalls wichtig: Der direkte Kontakt mit Verantwortlichen des potenziell betroffenen Unternehmens, um für die Problematik zu sensibilisieren und Einblick in gängige Praktiken des Unternehmens zu erlangen. Dieser Schritt unterstützt Unternehmen auch dabei, die Risiken in den eigenen Prozessen zu erkennen und zu mindern und so moderne Sklaverei nachhaltig zu bekämpfen.

Eine positive Entwicklung: Immer mehr Unternehmen organisieren sich zudem branchenübergreifend. Supermarktketten in Europa und den USA haben sich beispielweise einer Initiative angeschlossen haben, um die Risiken für die Menschen in der Fischerei zu verringern. Auch Elektronik‑, Einzelhandels‑, Automobil- und Spielzeugunternehmen setzen sich über die gemeinnützige Responsible Business Alliance (RBA) für die Rechte von Arbeitnehmern in ihren globalen Lieferketten ein.

Die Vergegenwärtigung der Existenz moderner Sklaverei ist das vielleicht wichtigste Mittel, um diesen globalen Missstand zu bekämpfen. Denn sie finanziert sich vor allem durch den Geldfluss von Unternehmen und dadurch auch durch Investoren, welche sich des Problems oft nicht bewusst sind. Eine aktive Auseinandersetzung mit der Thematik hilft Investoren, das Risiko innerhalb des eigenen Portfolios zu minimieren und sorgt gleichzeitig dafür, dass Verletzungen von Menschenrechten gezielt bekämpft werden.

Autorin: Saskia Kort-Chick, Director of ESG Research and Engagement—Responsible Investing bei AllianceBernstein

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