Unter MiFID II und ESG: Wie sieht das Aktienresearch der Zukunft aus?

Das Inkrafttreten von MiFID II hat vor rund drei Jahren die Karten im Research neu gemischt und dabei ziemlich durcheinandergewirbelt. Mit der zunehmenden Bedeutung von ESG-Kriterien kommen weitere Anforderungen an wertstiftende Analyse hinzu.
31. August 2021
Prof. Dr. Peter Schömig - Foto: © LeanVal Investments

Das Inkrafttreten von MiFID II hat vor rund drei Jahren die Karten im Research neu gemischt und dabei ziemlich durcheinandergewirbelt. Mit der zunehmenden Bedeutung von ESG-Kriterien kommen weitere Anforderungen an wertstiftende Analyse hinzu.

Für Nutzer auf der Buy-Side hat sich das Research-Angebot eingeschränkt. Die neue, digitale LeanVal-Plattform zur Anwendung individueller Fragestellungen auf qualitativ hochwertige Datensätze eines großen Anlage-Universum ermöglicht passgenaues Aktien-Screening.

Völlig unabhängig davon, nach welchen Methoden ein Investor sein Portfolio aufbaut, an gutem Research kommt in der Regel niemand vorbei. Es dient dazu, die Ausgangsideen und Absichten zu validieren und potenzielle Risiken zu bewerten. Obwohl die Gesetzgeber an dieser Tatsache gar nicht rütteln wollten, haben die bisherigen Vergütungsstrukturen der Research-Produkte dazu geführt, dass die Einführung von MiFID II das Angebot stark beeinflusste. Nachdem nun die erste Anlaufphase vorüber ist, lassen sich drei wesentliche Auswirkungen identifizieren:

  1. Mittlerweile ist die Abdeckung des Broker-Researchs vor allem auf große Titel beschränkt. Dadurch sind deutlich mehr kleinere Emittenten dazu übergegangen, Analyseberichte selbst in Auftrag zu geben und zu bezahlen. Galt es noch vor wenigen Jahren unter institutionellen Anlegern als verpönt, die eigenen Ideen auf das sogenannte „Bezahl-Research“ zu stützen, gilt dies heute aus diesem Grund als salonfähig. Was das Angebot von bezahltem Research jedoch recht unübersichtlich macht, ist der Einstieg großer, renommierter Broker-Häuser in dieses Geschäft – neben ihren herkömmlichen, durch die Buy-Side finanzierten Aktivitäten. Ohne einem dieser Anbieter etwas unterstellen zu wollen, ist doch festzuhalten, dass für den Empfänger des Angebots die Trennung der Analyse nach Bezahlform, der im Zweifel ein potenzieller Bias mitschwingt, schwer nachzuvollziehen ist. Wenn auch die Transparenz bei der Bezahlung von Analyseleistungen hergestellt wurde, so hat MiFID II zu Unklarheiten bei den Interessen geführt, die das aktuelle Research-Angebot steuern.
  2. Im Extremfall führen die neuen Bestimmungen dazu, dass Compliance bestimmt, welche Investment-Ideen verfolgt werden können, und zwar von beiden Seiten: Sowohl für die Buy-Side als auch für die Sell-Side werden die Möglichkeiten des Ideenaustausches gegebenenfalls von Vorgaben der Juristen eingeschränkt. Konnten sich früher Investoren auch abseits der eingetretenen Pfade frische Ideen von Analysten anhören, zu denen keine formale Beziehung bestand, so ist dieser Weg nun weitgehend versperrt. Damit entfällt der Zugang zu Research-Produkten, die gängige oder auch einmal andere Anlageobjekte unter neue Blickwinkel stellen. Zwar hat MiFID II für klare Strukturen bei den Verhältnissen zwischen Brokern und institutionellen Investoren gesorgt, dies aber auf Kosten der Flexibilität beim Zugang zum Anlageuniversum.
  3. Nachdem die Kostentransparenz ein Schwerpunkt der MiFID II-Regulierung war, muss sie konsequenterweise aus dem oben genannten Grunde, also der Einschränkung des Analyseangebots, die Digitalisierung nach sich ziehen. Allerdings greift die Idee zu kurz, dass sich viele einfache Handgriffe der relativ teuren Analysten automatisieren und somit Personalkosten einsparen lassen. Mit der automatisierten Einfügung von Daten in standardisierte Modelle allein ist es eben nicht getan. Diese relativ primitive Digitalisierungsvariante ignoriert den Mehrwert, den versierte Analysten mit ihrem Erfahrungsschatz in die Aufbereitung von Datenreihen einbringen. Wenn also MiFID II einer digitalen Disruption beim Research Vorschub leisten soll, so muss sich die Herangehensweise von dem Aspekt „Kosteneinsparungen“ lösen. Digitalisierung im eigentlichen Sinne geht weit darüber hinaus und wird auch weiterhin nicht ohne eingehenden menschlichen Sachverstand auskommen.

Grenzen und Möglichkeiten echter Digitalisierung

Konsequent durchdachtes digitales Research sammelt die Daten nach standardisierten Methoden und wertet sie aus. Wir bei LeanVal führen im letzten Schritt alle Daten in validierter Form auf unserer Plattform zusammen. Damit eröffnet sich unseren Kunden ein freies Spielfeld, auf dem sämtliche Informationen unter allen möglichen Aspekten gegeneinander laufen können. Somit können auch völlig neue Anlageideen ausprobiert und auf Herz und Nieren geprüft werden. Zusätzlich bieten wir die Möglichkeit ergänzender qualitativer Analyse – dort, wo inkonsistente oder zum Beispiel bilanzpolitisch adjustierte Datenreihen zu Fehlinterpretationen führen könnten.

Nicht nur beim aktuellen Trend zu Themenfonds können wir somit aktive Portfoliomanager dabei unterstützen, ihre Ideen herauszuarbeiten und umzusetzen. Umgekehrt spiegelt der Trend zu ETFs die mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit wider, Daten intelligent zu nutzen. Gerade durch den massiv gestiegenen Marktanteil der ETFs, die passiv alle Aktien in einem Index kaufen, entstehen jedoch Marktineffizienzen. Kluge, fundamentale Analysen dienen dazu, diese aufzuspüren. Auf diese Weise trägt ein zeitgemäßes Research dazu bei, dass aktiv verwaltete Portfolios ihr Know-how mit einer überdurchschnittlichen Entwicklung im Sinne der „Outperformance“ unter Beweis stellen können. Wobei sie auch die Risiko-Abwägung ihrer Kunden in allen ihren Aktivitäten berücksichtigen – womit sie sich ebenso von ETFs unterscheiden.

Was aber bedeutet in diesem Zusammenhang zeitgemäßes Research? Wie funktioniert die digitale Datenerfassung und die darauf aufbauende Analyse angesichts der heterogenen Formate, in denen sich Informationen zu Emittenten finden lassen? Zumeist befinden sich wichtige Datenpunkte in Geschäftsberichten in pdf-Format, Pressemitteilungen in Word, Präsentationen, gesprochenen Analysten-Calls usw. Zum Teil sind die wesentlichen Informationen in Form von Tabellen und Kennzahlen vorhanden, zum Teil kommt es aber auch auf die Informationen zwischen den Zeilen an, die im Begleittext verpackt werden oder sich in der Tonalität während der Telefonkonferenz ausdrücken. Die neue EU-Anforderung an alle Unternehmen, ihre Berichterstattung zukünftig im „European Single Electronic Format“ (ESEF) einzureichen, kann eine Erleichterung darstellen. Nicht zu vergessen sei aber, dass eine Standardisierung von Daten auch zu Informationsverlusten führen kann. Außerdem läuft dieser Vereinheitlichung entgegen, dass zunehmend ESG-Kennzahlen ihren Einzug in die Berichterstattung halten. Was bisher als ESG-Research mit spezialisierten Analysten ein Nischendasein fristete, wird zukünftig deutlich in den Fokus gerückt.

Mehrwert durch menschliches Know-how

Bei LeanVal sind wir der Meinung, dass es bei weitem nicht ausreicht, Daten zu sammeln, einzugruppieren und zugänglich zu machen. Sie müssen auch nutzbar für den Portfolio Manager sein und dafür eine zuverlässig hohe Qualität aufweisen. Dazu hat sich in unseren Augen eine Kombination aus künstlicher und menschlicher Intelligenz als vorteilhaft erwiesen: Die „rohen“ Geschäftszahlen unterlaufen der Evaluierung durch Algorithmen, woraufhin ein erfahrener Analyst die Jahresabschlüsse auf Plausibilität überprüft und „absegnet“. Echten Mehrwert liefert eine digitalisierte Datenbasis vor allem dann, wenn sie durch ein außerordentliches menschliches Know-how in Rechnungslegung, Analyse und Bewertung ergänzt wird. Dabei ist es unumgänglich, das Analyseverfahren an die unterschiedlichen Branchen anzupassen. Bei Banken oder Versicherungen gibt es beispielsweise regulatorische Vorgaben an die Rechnungslegung, die sich infolgedessen von der Bilanz eines Industrieunternehmens komplett unterscheidet. Die Tatsache, dass die Kennzahlen von Banken, Versicherungen und Corporates nicht direkt vergleichbar sind, muss bei der Analyse, Darstellung und Bewertung berücksichtig werden.

Das Rundumpaket der Risikominimierung

Maximalen Nutzen stiftet zeitgemäßes Research unseres Erachtens nicht, wenn es sich als reines Datenangebot definiert. Es muss mit einem nachvollziehbaren Bewertungsmodell verknüpft sein. Zusätzlich muss es Investoren auch die Möglichkeit bieten, die Datengrundlage mit ihren eigenen Prognosen oder Szenarien zu modifizieren. Die Erstellung von vordefinierten oder individuellen Long- und Short-Strategien muss möglich sein, und ebenso, dass diese Strategien getestet werden können. Im Ergebnis bekommt der Investor sofort ein Gefühl dafür, wie erfolgreich sich seine Aktienstrategie in unterschiedlichen Börsenphasen verhält.

MiFID II hat für eine Disruption des Research-Angebots gesorgt. ESG-Kriterien heben die Komplexität weiter an. Wir bieten Portfolio Managern die Möglichkeit, sich bei der Auswahl der Research-Produkte rein am Nutzwert für ihre Kunden zu orientieren. Je umfangreicher sich das Rundumpaket eines Analysehauses auf die individuellen Anlagestrategien anpassen lässt, umso mehr kann sich der Portfolio Manager auf seine eigentliche Aufgabe konzentrieren: auf das jeweils ausgewiesene Risikoprofil genügend Outperformance zu erzielen.

Gastbeitrag von Prof. Dr. Peter Schömig

Prof. Dr. Peter Schömig — Foto: © LeanVal Investments

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