Die meisten Projektentwickler im Bürobereich konzentrieren sich momentan neben dem erwartungsvollen Blick auf die Zentralbank vor allem auf zwei Zielgruppen: die Investoren und die Finanzierer. Angesichts der vielseitigen Herausforderungen in der Immobilienbranche ist das auch nachvollziehbar. Wem es in dem aktuellen Marktumfeld gelingt, das Eigen- und Fremdkapital für die erfolgreiche Durchführung von Projektentwicklungen zu sichern, der wird voraussichtlich in zwei oder drei Jahren eine hervorragende Wettbewerbsposition mit seinen Immobilien haben.
So gut wie alle Marktteilnehmer schauen auf die Transaktionszahlen und das Repricing, um im Anschluss zu diskutieren, wann sich die Märkte endlich wieder öffnen. Doch die eigentliche Daseinsberechtigung von Projektentwicklern, aber auch von ihren Finanzierern, schafft nur der Mieter der neu entstehenden Flächen; allein von ihm wird letzten Endes die gesamte Branche bezahlt.
Für mein Empfinden steht der Mieter im Moment noch zu sehr im Hintergrund der Debatte. Wenn er doch einmal zum Thema wird, dann meist aus purer Eigentümersicht: Es geht darum, wie der Mieter „gemanagt“ werden kann. Wie bekommen wir eine Mietvertragsverlängerung? Wo müssen wir besonders incentivieren?
Dabei muss uns als Branche viel mehr beschäftigen: Welche Flächen wollen und brauchen Mieter, um erfolgreich zu sein; heute, morgen und – mit Blick auf die langen Lebenszyklen der Immobilien – in einigen Jahren?
Bei der Antwort auf diese Frage fallen immer wieder die zentralen Schlagworte New Work, offene Kommunikationskonzepte, flexible Flächen. Auch der „Flight to Quality“ wird gern zitiert. Und das sicherlich zu Recht: Die Spitzenmieten steigen trotz schwächelnder Wirtschaft in allen deutschen Top-Städten oder bleiben zumindest konstant. In Berlin zum Beispiel sind sie von 2015 bis heute von 25 auf 45 Euro je Quadratmeter gestiegen.
Die Schwäche dieser eher kurzfristigen Betrachtung ist, dass die Immobilienbranche und oft auch die Mieter selbst versuchen, das Büro in seinem bestehenden Rahmen evolutionär weiterzudenken. Vielleicht reicht aber dieser Ansatz nicht, getreu dem (angeblichen) Zitat Henry Fords: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.“ Wahrscheinlich hätten wir heute dann Sättel mit integrierter Heizung und Navigationssystem.
Oder auf das „Produkt Immobilie“ bezogen: Hätten die Menschen im 19. Jahrhundert schon das Internet, Smartphones und Notebooks gekannt, hätten sie niemals das Büro erfunden, wie wir es heute kennen. Gern wird von Bürobefürwortern entgegnet, dass der Mensch ein soziales Wesen sei und die Gemeinschaft mit anderen Menschen einfach brauche, um produktiv erfolgreich zu sein. Meines Erachtens spiegelt die Begründung nur unsere heutige Sozialisierung wieder, die stark von unseren jetzigen technologischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten bestimmt wird. Hätte man einen Steinzeitmenschen gefragt, ob er lieber allein mit der engsten Familie oder doch lieber in der großen Höhle mit allen Stammesmitgliedern wohnen wolle, wäre die Wahl wahrscheinlich auf die Höhle gefallen. Genauso möchten viele Zeitgenossen nicht, dass sich räumliche Gemeinschaft und produktives Arbeiten entkoppeln. Wahrscheinlich wird irgendwann jedoch genau das der Fall sein.
Die Frage ist allerdings, wann uns diese Änderung in Fleisch und Blut übergehen wird. Ich bin der Meinung, dass es hierfür noch einige Jahrzehnte dauert – und bis dahin brauchen wir auf jeden Fall das Büro, was Büroentwicklern auch in den nächsten Jahren eine Daseinsberechtigung und damit eine gute Geschäftsgrundlage liefert. Denn geschäftlicher Erfolg wird nach meiner Erfahrung in den meisten Fällen auf der Grundlage eines kurz- bis mittelfristigen Planungshorizonts und nicht mit dem Blick auf die voraussichtliche Entwicklung in Jahrzehnten erzielt.
Auch wenn man die Zeitfrage ohne den Blick in die Glaskugel nicht beantworten kann, eines hat die COVID-19-Pandemie deutlich gezeigt: Die Werkzeuge, die man benötigt, um daten- und informationsverarbeitende Arbeit, die in der Regel der Inhalt fast aller Bürotätigkeiten ist (in Abgrenzung zu materialverarbeitenden Industrien), von einem gemeinsamen zentralen Standort unabhängig zu machen, existieren bereits. Und je besser diese Werkzeuge werden, umso leichter passt sich auch unsere Sozialisierung an – die mit Pandemiebeginn definitiv noch nicht reif für weitestgehend mobiles Arbeiten war und auch immer noch nicht ist.
Projektentwickler können für die Zukunftsfähigkeit ihrer Produkte zwei Dinge tun:
- Zunächst die technologische Entwicklung genau beobachten, um so jederzeit zu erkennen, für welche unternehmerischen Zwecke das Büro seine Daseinsberechtigung (vorerst) behält.
- Die Planung der Gebäude so ausrichten, dass diese eine maximale Flexibilität für künftige Nutzungsänderungen, entweder im Rahmen der Büronutzung oder auch für komplett andere Nutzungen wie Wohnen jeglicher Couleur, bereithalten.
Dementsprechend wichtig sind gemischt genutzte Objekte, denen es deutlich leichter fällt, auf sich verändernde Nachfragen einzelner Nutzungsarten zu reagieren, ohne gleich eine komplette Umnutzung der gesamten Immobilie vornehmen zu müssen.
Autor: Jan Trenn, CEO der CELLS Group