Steht das Value Investing vor einer Renaissance?

Für mehrere Jahre schienen Growth-Werte kaum zu stoppen. Das hat zu einem spürbaren Rückgang bei der Attraktivität von Value-Werten geführt. Es scheint, als habe sich diese Situation nun geändert.
24. März 2022
Goran Vasiljevic - Foto: © Lingohr & Partner

Für mehrere Jahre schienen Growth-Werte kaum zu stoppen. Das hat zu einem spürbaren Rückgang bei der Attraktivität von Value-Werten geführt. Es scheint, als habe sich diese Situation nun geändert.

Growth-Aktien, also Wertpapiere von Unternehmen, deren Wachstumsrate deutlich über dem Durchschnitt im Branchenvergleich liegt, waren in den vergangenen Jahren der Performanceturbo für viele Portfolien. Vor allem im Technologiesektor haben Werte wie Amazon, Apple, Facebook, Tesla, Netflix und Co. die Wertentwicklung so gut wie sämtlicher anderer Unternehmen und Branchen in den Schatten gestellt. Growth-Unternehmen sind oftmals junge Unternehmen mit einem innovativen Geschäftsmodell, deren Aktien auf die schnelle und stark überdurchschnittliche Wertvermehrung ausgerichtet sind.

Zur Einordnung der Bedeutung: Der S&P 500 Growth Index ist in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 130 Prozent gestiegen (Stand: Mitte Februar). Ohne den Bewertungsrückgang Anfang 2022 und dem Krieg in der Ukraine läge der Wert zwischen 30 und 40 Prozent höher.

Aus diesem Grund hat das Growth Investing eine führende Rolle unter den verschiedenen Anlagestilen eingenommen – und das Value Investing ins Hintertreffen geraten lassen. Denn die Anlegerinnen und Anleger sind dem Trend gefolgt und haben Growth-Aktien kontinuierlich weiter nach oben gebracht, während klassische Value-Werte in dem Zuge mehr und mehr an Boden verloren haben. Das hat sich jetzt geändert. Das Upside-Potenzial von Growth-Aktien hat sich verringert, die Bewertungslücke zwischen Value- und Growth-Aktien ist deutlich kleiner geworden. Und die Liste der Growth-Unternehmen, die enttäuschen, wächst drastisch.

Kauf von Aktien zu einem reduzierten Preis profitieren

Daher rückt das Value Investing wieder in den Vordergrund. Das ist bekanntlich eine Anlagestrategie, bei der Aktien ausgewählt werden, die unter ihrem inneren Wert oder Buchwert gehandelt werden. Anlegerinnen und Anleger suchen entsprechend nach Aktien, die ihrer Meinung nach vom Aktienmarkt unterbewertet werden. Sie glauben, dass der Markt auf gute und schlechte Nachrichten überreagiert, was zu Kursbewegungen führt, die nicht mit den langfristigen Fundamentaldaten eines Unternehmens übereinstimmen. Die Überreaktion bietet eine Gelegenheit, durch den Kauf von Aktien zu einem reduzierten Preis zu profitieren. Schließlich gilt der günstige Einstieg als der erste Schritt zu mehr Rendite.

Im Fokus dieses Verständnisses steht, dass Aktienkurse langfristig durch Fundamentaldaten bestimmt werden. Der Kapitalmarkt agiert nur kurzfristig nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage: Es wird gekauft, was begehrt ist. Langfristig gilt die Regel, in das zu investieren, was heute das Beste ist, nicht in das, was das Beste war, weil eben vom Markt prozyklisch gekauft wird, also nachdem ein Segment gut gelaufen ist. Die wichtigste Aufgabe eines aktiven Managers ist daher die Unterscheidung zwischen den Fundamentaldaten eines Unternehmens und den vorweggenommenen Erwartungen des aktuellen Aktienkurses. Denn eine überdurchschnittliche Performance ist langfristig wesentlich leichter zu erreichen, indem substanzstarke Fondsanteile dann gekauft werden, wenn sie niedrig bewertet sind. Value-Investoren kaufen damit Aktien (auch solche, deren innerer Wert möglicherweise wenig Wachstum in der Zukunft beinhaltet) aus Überzeugung, dass der aktuelle Wert im Vergleich zum derzeitigen Preis höher liegt.

Kaufgelegenheiten für Value-Aktien bei pessimistischen Märkten

Besonders wichtig ist für erfolgreiches Value Investing ist, sich grundsätzlich gegen den Trend zu bewegen. Auch wenn der Markt manchmal den Eindruck vermittelt, eine gewisse Vorhersagefähigkeit zu besitzen, so reflektiert er doch kurzfristig lediglich die Gefühlslage der Marktteilnehmer in Bezug auf einzelne Unternehmen, Sektoren, Länder oder den Gesamtmarkt. Bei einer Value-Strategie tritt der gegenteilige Effekt ein: ohne Trendfolge, ohne Emotionen. Die besten Kaufgelegenheiten für Value-Aktien bieten sich sogar immer dann, wenn der Markt sehr pessimistisch ist. Das hat man in der Finanzkrise 2009, der Rezession 2011, dem Crash zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 und nach dem Brexit gesehen. Zu diesen Zeitpunkten waren die Anlegerinnen und Anleger pessimistisch, die Bewertungen am Tiefpunkt – und damit auch die zukünftigen Renditen sehr aussichtsreich für opportunistische Investorinnen und Investoren.

2022 als Startschuss für ein Revival des Value-Stils

Das heißt im Ergebnis: Die Chancen für globale Value-Aktien waren selten so gut wie in diesem Jahr. Daran ändern auch die weiterhin ungelöste Covid-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine nichts. Der Markt ist zwar noch nicht positioniert, weil sich Value-Investitionen aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre bislang nicht „gut anfühlen“. Niemand will der erste sein, der sich an Value wagt, weshalb die Performance die neue Stärke noch nicht abbildet. Aber die Bewertungsdispersion liegt weiterhin auf hohem Niveau, und trotz guter absoluter Performance ist das Value-Segment noch günstiger geworden, da das Gewinnwachstum der Unternehmen die Kurssteigerungen überkompensiert hat.

Die attraktivsten Value-Aktien stammen derzeit aus dem Energie‑, Rohstoff- und Finanzbereich und haben erhebliches Potenzial. Die „Wiederentdeckung“ der Inflation und das Ende des billigen Geldes geben lang erwarteten Rückenwind, während die historische Durchschnittsbewertung für Aktien des Anlagestils Value eine deutliche Outperformance erwarten lässt. Daher kann das Jahr 2022 als Startschuss für ein Revival des Value-Stils gelten.

Autor: Goran Vasiljevic ist Chief Investment Officer und Mitglied der Geschäftsleitung von Lingohr & Partner aus Erkrath bei Düsseldorf. Der unabhängige Asset Manager ist Spezialist für konsequentes Value Investing. www.lingohr.de

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