Neues Recht gibt mehr Flexibilität im Umgang mit dem Stiftungsvermögen

Um das Stiftungswesen in Deutschland weiter zu stärken, hat der Gesetzgeber die Einführung eines bundeseinheitlichen Stiftungsrechts und eines Stiftungsregisters beschlossen. Das neue Recht tritt zweistufig, einmal am 1. Juli 2023 und ein weiterer Teil am 1. Juni 2026, in Kraft. Vermögensverwalter, Finanzberater, Vermögende und Stiftungen sollten sich mit diesen Regelungen auseinandersetzen.
14. März 2022
Stefan Rattay - Foto: © Frank Kind / WWS Wirtz, Walter, Schmitz GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft

Um das Stiftungswesen in Deutschland weiter zu stärken, hat der Gesetzgeber die Einführung eines bundeseinheitlichen Stiftungsrechts und eines Stiftungsregisters beschlossen. Das neue Recht tritt zweistufig, einmal am 1. Juli 2023 und ein weiterer Teil am 1. Juni 2026, in Kraft. Vermögensverwalter, Finanzberater, Vermögende und Stiftungen sollten sich mit diesen Regelungen auseinandersetzen.

Deutschland ist das Land der Stifter. Es existieren laut aktueller Statistik des Bundesverbands Deutscher Stiftungen mehr als 23.000 sogenannte rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts – also Stiftungen mit offizieller Anerkennung durch die Stiftungsaufsichtsbehörde. Die deutsche Stiftungskultur hat sich auch in der Covid-19-Krise bewährt: „Stiftungen scheinen – zumindest mit Blick auf die erste Pandemiewelle – robuster und krisenfester zu sein als Vereine und andere zivilgesellschaftliche Organisationen“, sagt Kirsten Hommelhoff, Generalsekretärin des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen.

Das Stiftungszivilrecht, das die Entstehung und die Verfassung der rechtsfähigen Stiftung des bürgerlichen Rechts bestimmt, beruht derzeit auf Bundesrecht und Landesrecht. Die zivilrechtlichen Regelungen über die Stiftungen in den §§ 80 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) werden ergänzt durch zivilrechtliche Regelungen in den Stiftungsgesetzen der Länder. Die landesrechtlichen Vorschriften sind nicht einheitlich, sodass die Rechtsform der rechtsfähigen Stiftung des bürgerlichen Rechts durch die Landesstiftungsgesetze in den einzelnen Ländern verschieden ausgeprägt ist. Dieses Nebeneinander von Bundesrecht und Landesrecht führt immer wieder zu Streitfragen und Rechtsunsicherheit bei Stiftern und Stiftungen, heißt es beim Bundesministerium der Justiz.

Stiftungen erhalten mehr Rechtssicherheit

Um das Stiftungswesen in Deutschland weiter zu stärken, hat der Gesetzgeber die Einführung eines bundeseinheitlichen Stiftungsrechts und eines Stiftungsregisters beschlossen. Der Gesetzesentwurf zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts wurde mit den Stimmen der großen Koalition am 24. Juni 2021 im Bundestag verabschiedet und gleich am Folgetag auch im Bundesrat. So wird ab Juli 2023 ein bundeseinheitliches Stiftungsrecht für alle Stiftungen gelten und das bisher geltende zersplitterte materielle Landesstiftungsrecht ablösen. Das bedeutet für alle Stiftungen – ob groß oder klein – mehr Rechtssicherheit durch die Entwicklung einheitlicher Rechtsprechung, einer einheitlichen Stiftungsaufsichtspraxis entsprechend dem Bürgerlichen Gesetzbuch, heißt es beim Bundesverband Deutscher Stiftungen.

Flexibilisierung hilft bei Zweckverwirklichung und vorgeschriebenem Kapitalerhalt

Im Mittelpunkt stehen neue Regelungen zur Vermögensverwaltung von Stiftungen. Diese müssen ihren satzungsgemäßen Zweck aus den Erträgen ihres Vermögens erfüllen. Doch gerade in der seit Jahren laufenden Niedrigzinsphase, die so schnell kaum enden wird, brauchen Stiftungen mehr Flexibilität im Umgang mit dem Stiftungsvermögen. Stiftungen sind grundsätzlich dem ungeschmälerten Vermögenserhaltung nach Maßgabe des Stifterwillens verpflichtet. Sofern der Stifterwille nicht etwas anderes vorgibt, sollten auch ohne ausdrückliche Satzungsregelung Gewinne aus der Umschichtung von Vermögensgegenständen für die Zweckverwirklichung eingesetzt werden dürfen. Das gilt beispielsweise bei Wertpapieren. Diese Flexibilisierung hilft bei der doppelten Aufgabe von Zweckverwirklichung und vorgeschriebenem Kapitalerhalt. Damit muss keine Stiftung ihre Finanzierungsstrukturen umstellen und Stiftungsvorstände können flexibler ihre Stiftung durch die Niedrigzinsphase navigieren. Apropos Stifterwille: Anders als im früheren Recht wird im neuen Recht der Stifterwille ausdrücklich zum obersten Primat für die Stiftung, ihre Organe aber auch für die Stiftungsbehörden erhoben. Dabei soll es insbesondere auf den bei der Errichtung der Stiftung zum Ausdruck gekommenen Stifterwillen ankommen.

Kodifizierung der Business Judgement Rule vorteilhaft

Mehr Rechtssicherheit im Umgang mit dem Stiftungsvermögen erhalten Stiftungen zum Beispiel durch die Kodifizierung der Business Judgement Rule, wonach Stiftungsorgane dann nicht für eine Fehlentscheidung haften, wenn sie bei der Geschäftsführung unter Beachtung von Satzung und Gesetzen sowie auf Grundlage angemessener Informationen annehmen durften, dass sie zum Wohle der Stiftung handeln. Zudem gilt die bewährte Haftungsregelung des § 31a BGB weiter. Danach haften Organe nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, solange sie keine oder eine Vergütung von nicht mehr als 840 Euro jährlich erhalten, betont der Bundesverband Deutscher Stiftungen.

Das heißt: Grundsätzlich ist es durch die Kodifizierung der Business Judgement Rule jeder Stiftung freigestellt, in der Anlage des Stiftungsvermögens frei zu entscheiden, wenn es in das Gesamtbild der Strategie und zum Erreichen der Anlageziele passt. Die Business Judgement Rule wird das Haftungsrisiko für Stiftungsorgane reduzieren und es ermöglichen, bei der Anlage des Stiftungsvermögens künftig auch (maßvolle) Risiken einzugehen. Die Vermögensverwaltung muss nicht mehr dem Primat des Substanzerhalts zu jedem Preis unterliegen. Somit können Finanzverantwortliche nun die Grenzen der rein risikolosen Geldanlage zugunsten der eigenen Haftungsvermeidung überwinden.

Größerer Spielraum für den Umgang mit dem Stiftungsvermögen

Das neue Recht tritt zweistufig, einmal am 1. Juli 2023 und ein weiterer Teil am 1. Juni 2026, in Kraft. Es schafft neuen, aber letztlich eng definierten Spielraum für den Umgang mit dem Stiftungsvermögen in unsicheren Zeiten an den Kapitalmärkten. Es ist ein freierer Umgang möglich als zuvor, um durch die Vermögensverwaltung und die Vermögensverwendung den Stiftungszweck besser erfüllen zu können.

Daher sollten vor allem Vermögensverwalter und Finanzberater diese Regelungen streng beachten und gegebenenfalls für die korrekte Umsetzung weitere Beratung hinzuziehen. Sie sind häufig erster Ansprechpartner für Vermögende bei der Stiftungserrichtung und für Stiftungen bei administrativen und finanziellen Fragen. Daher sollten sie die Neuordnung und Auswirkungen der Stiftungsrechtsreform kennen und gemeinsam mit den jeweiligen Fachberatern diskutieren.

Gastautor Stefan Rattay ist Steuerberater und Partner bei der multidisziplinären Kanzlei WWS Wirtz, Walter, Schmitz GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft

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