In den vergangenen Wochen haben wir immer wieder erlebt, wie kurzfristige Marktreaktionen nach folgendem Muster abgelaufen sind: Enttäuschende Arbeitsmarkt- und Wachstumszahlen werden von Investoren wohlwollend registriert oder geradezu mit Erleichterung aufgenommen. Inflationsdaten über den Erwartungen hingegen ziehen Befürchtungen nach sich, die restriktive Notenbankpolitik könnte noch länger Bestand haben als viele Marktteilnehmer zu Jahresanfang vorausgesagt hatten. Entsprechend überwogen unterm Strich Kursverluste an den Märkten für Staatsanleihen auf Sicht der ersten beiden Quartale, während kurzfristige Rückschläge an den Aktienmärkten regelmäßig Käufer anzogen und insbesondere die Indizes am US-Aktienmarkt auf neue Rekordhöhen klettern ließen.
Die Entscheidung der europäischen Zentralbank (EZB), den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte zu senken, kann also nur dahingehend interpretiert werden, dass ihre Prognosen rückläufige Preissteigerungen oder ein Nachlassen des Inflationstempos in das kommende Jahr hinein vorwegnehmen.
Verkehrte Welt?
Leben wir deshalb in einer verkehrten Welt? Nein. Zwar ist derzeit eine deutliche Annäherung an das Zwei-Prozent Inflationsziel der EZB in der auf Sicht der nächsten Monate zu erwartenden Preisentwicklung noch nicht eindeutig gewährleistet. Aber die etwas weniger restriktive Notenbankpolitik ist vor dem Hintergrund des weiterhin moderaten Wachstums im Euroraum und der nachlassenden Inflation als angemessen einzuordnen. Ähnlich dürfte die US-Notenbank Fed vorgehen. Sofern das Wachstum der US-Wirtschaft nicht überraschend schwächelt, wird voraussichtlich im zweiten Halbjahr eine Zinssenkung auf der Tagesordnung stehen.
US-Arbeitsmarkt birgt Überraschungspotenzial
Mit Blick auf die verschiedenen Anlageklassen lassen sich damit folgende Perspektiven ableiten: Wir befinden uns derzeit in einem sogenannten „sweet spot“, also einer recht komfortablen Ausgangssituation. Moderates Wachstum überwiegt, insbesondere in den USA. Dort richten wir unser Augenmerk weiterhin auf die Arbeitsmarktentwicklung. Erstmals seit vier Monaten hatte sich die Konsumneigung der US-Verbraucher im April verbessert. Die Arbeitslosenquote verharrt um die Marke von vier Prozent. Etwas Vorsicht ist dabei allerdings aus zwei Gründen angebracht: Der Stellenaufbau geht einerseits zu einem großen Teil auf wenig qualifizierte Jobs und auf Teilzeitjobs zurück. Auf der anderen Seite könnte ein allzu robuster Arbeitsmarkt den Inflationsdruck erhöhen. Da der private Verbrauch nach wie vor die zentrale Stütze der US-Konjunktur darstellt, birgt die US-Arbeitsmarktentwicklung auf Sicht der nächsten Monate sowohl positives als auch negatives Überraschungspotenzial für die künftige Zinsentwicklung.
High Yield und Financial Bonds als Beimischung im Anleihesegment favorisiert
Für die Assetklasse Rates bleiben wir deshalb zuversichtlich, und sind im Segment „European short term rates“ übergewichtet, mit einem geringen Anteil im Segment der Hochzinsanleihen (high yield). Ebenfalls zu einem geringen Anteil mischen wir Anleihen aus dem Finanzsektor (financial bonds) bei. Die Kapitalausstattung der Banken werten wir als solide.
Auf der Aktienseite ist unsere Präferenz für Europa im aktuellen Umfeld klar: Sowohl unter Bewertungsaspekten als auch im Hinblick auf die Konjunkturaussichten sind europäische Value-Titel für uns derzeit attraktiv. Wir glauben, dass sich die wirtschaftliche Erholung fortsetzen wird – in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ländern. Von einer bisher defensiven Positionierung kommend, stellen wir uns nun insgesamt bei Aktien neutral auf und erhöhen den europäischen Aktienanteil im Verhältnis zu US-Aktien. In beiden Regionen sehen wir das Potenzial, dass Small & Mid Caps gegenüber Large Caps aufholen können, wenn die Zentralbanken die Zinsen senken, was sich in den kommenden Quartalen in einer überdurchschnittlichen Performance niederschlagen sollte.
Einschätzung von Alexis Bienvenu, Portfoliomanager Multi Asset bei LFDE