Während die Märkte auf den Rückgang der Inflation warten, wird der Entscheidungsrahmen für Anleger zunehmend komplizierter. Axel Cabrol, co-CIO von Tobam, zeigt die verbleibenden Möglichkeiten, sich in diesem komplexen Marktumfeld besser zu positionieren.
Das spätzyklische Muster setzt sich fort. Obwohl die Aktienmärkte ihr Momentum verlieren, befinden sie sich nach wie vor in der Nähe ihrer Allzeithochs. Wie wir jedoch bereits in der Vergangenheit argumentiert haben, reicht diese bekannte, spätzyklische Ambivalenz nicht aus, um das Motto „Sell in May and go away“ beliebig umzusetzen. Mehrere wichtige makroökonomische Entwicklungen verdeutlichen, warum.
Notenbanken ringen um Stabilität
Der Verkauf von Assets als Absicherung vor Wertverlust setzt das Vorhandensein einer natürlichen sicheren Anlage voraus. Üblich wäre ein Halten von Geld in der Kasse. Jedoch ist das heutige Umfeld bis jetzt in den Sommer 2024 hinein durch eine hartnäckige Inflation gekennzeichnet. Die jüngsten Daten zeigen einmal mehr, dass geldpolitische Maßnahmen allein nicht ausreichen, die Notenbank-Vorgabe eines 2 %-Ziels für die jährliche Preissteigerung zu erreichen. Im Gegensatz zu der einstigen Aussage von Mervyn King, langjähriger Gouverneur der Bank of England, ist die Geldpolitik nicht mehr „the only game in town“. Während die Akteure an den Finanzmärkten auf die entschleunigende Wirkung gestiegener Zinsen warten, verkompliziert sich ihr Entscheidungsrahmen erheblich.
Anleger bewerten ihr eigenes Risiko nicht nominal, sondern nach der realen Wertentwicklung. Mit dem Verkauf von Aktien geraten sie in ein Dilemma. Sachwerte wie globale Aktien bieten als nominale Vermögensklasse eine Absicherung gegen den Kaufkraftverlust durch Inflation. Diesen Schutz verliert das durch den Verkauf freiwerdende Vermögen in einem Umfeld, in dem die Notenbanken um die Geldwertstabilität ringen.
Das „go away“-Dilemma
Anleger müssen sich derzeit zwischen zwei Übeln entscheiden. Sie können in hoch bewerteten Aktienmärkten investiert bleiben – mit dem entsprechend hohen Verlustrisiko im Falle einer Marktkorrektur. Reduzieren sie ihr Engagement, brauchen sie eine gute Alternative, um die Erlöse aus dem Verkauf von Aktien vor der Inflation zu schützen. Dieses Dilemma kann sich noch einige Zeit fortsetzen, denn dass die Preissteigerung schnell an Dynamik verliert, erscheint vor dem Hintergrund (geo-)politischer Spannungen unwahrscheinlich.
Die Situation könnte sich nach der Präsidentschaftswahl in den USA sogar noch verschärfen. Die Anti-China-Politik scheint einer der wenigen parteiübergreifenden Konsense der Vereinigten Staaten zu sein. Die Konsequenzen sind voraussichtlich zusätzliche oder höhere Einfuhrzölle auf chinesische Importe. In diesem makroökonomische Rahmen deutet vieles auf eine anhaltend hohe Preisdynamik hin.
Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass sich die US-Wirtschaft ausgehend von einer niedrigen Arbeitslosigkeit verlangsamt, und dass uns die Inflation in Europa und in den USA erhalten bleibt. Anlagestrategien sollten dieses Risiko berücksichtigen, aber auch Stagflationsszenarien in in Betracht ziehen.
Die gute Nachricht
Durchaus können Anleger Engagements auch in Anleihen halten, selbst wenn dies gemessen an Realrenditen zwischenzeitlich weniger attraktiv erschien. Dennoch bieten sich aktuell immer noch kurzlaufende oder inflationsgebundene Papiere an. Vorsicht ist bei Private Debt Angeboten angebracht. Es handelt sich hierbei im Großen und Ganzen eher um einen zusätzlichen Hebel auf Geschäftsmodelle, denen im Niedrigzinsumfeld das reinigende Korrektiv in Form hoher Kapitalkosten gefehlt hat. Die Begeisterung für Private Debt ist eher ein Zeichen für einen auslaufenden Kreditzyklus als ein Grund, sich über niedrige Ausfallraten zu freuen.
Auch innerhalb der Vermögensklasse Aktien finden Anleger noch Diversifikationspotential. Zwar wurde die Performance des Marktes bekanntermaßen von einer Handvoll Aktien — den „Nvidias“ dieser Welt – angetrieben. Trotzdem gibt es immer noch Qualitätsunternehmen, die zu attraktiven Bewertungen gehandelt werden. Anleger sollten sich von den großen Technologieunternehmen, deren Bewertungen überzogen sind, abwenden, da das Hauptrisiko in einem Szenario anhaltend hoher Inflation hauptsächlich die Unternehmen mit hohen Kurs-Gewinn-Verhältnissen betrifft.
Quality und Value wurden in den letzten Jahren vom Markt weitgehend nicht honoriert. In den kommenden Quartalen könnten diese Selektionskriterien ein Revival erleben. Im aktuellen Zinsumfeld sind stark kredit-gehebelte Geschäftsmodelle anfällig. Um eine sichere Positionierung innerhalb jeder Vermögensklasse zu erreichen, ist eine Abkehr von reinen Trendfolgestrategien geboten und auf Bewertungen zu achten. Anleger sollten daher Aktien nicht undifferenziert verkaufen, aber streng nach Qualitäts- und Bewertungskriterien auswählen.
Angesichts des anhaltenden Refinanzierungsrisikos in unberechenbaren Märkten bleibt die Fokussierung auf Qualität von größter Bedeutung.