Mit Blick auf das nächste Jahr dürfte sich jedoch etwas Hoffnung breitmachen

Gespräche vor Ort haben einen besonderen Charme. Mitte Mai traf die Chefredaktion Dr. Felix Schmidt, Leitender Volkswirt bei Berenberg, zum Austausch in Frankfurt. Schwerpunkt war die Analyse der wirtschaftlichen Lage in den USA und Deutschland.
16. Juni 2025
Dr. Felix Schmidt - Foto: Copyright Berenberg

Gespräche vor Ort haben einen besonderen Charme. Mitte Mai traf die Chefredaktion Dr. Felix Schmidt, Leitender Volkswirt bei Berenberg, zum Austausch in Frankfurt. Schwerpunkt war die Analyse der wirtschaftlichen Lage in den USA und Deutschland. 

 INTELLIGENT INVESTORS: Herr Dr. Schmidt, wir leben in spannenden Zeiten. Das prognostizierte Wirtschaftswachstum rund um den Globus ist eher mau. Wie würden Sie Stimmung und Lage an den Kapitalmärkten aktuell einschätzen? 

Dr. Felix Schmidt: Die Unsicherheit, ausgelöst auch durch die erratische Politik Trumps und den Zoll-Hickhack, war und ist nach wie vor an den Märkten spürbar. Das führt dazu, dass die Börsen volatil sind, auch wenn wir zuletzt eine starke Erholung, besonders in Europa, gesehen haben. Gleichwohl sind wir in unserem Basisszenario etwas optimistischer unterwegs – wir können derzeit keine akute Rezessionsgefahr für die USA ausmachen, obgleich der wirtschaftlichen Abkühlung. Unsere Annahme basiert darauf, dass wir von einer Einigung zwischen den USA und ihren Handelspartnern in puncto Zöllen ausgehen. Zudem sind wir der Meinung, dass die US-Administration im zweiten Halbjahr Steuersenkungen vornimmt, um dem Wirtschaftsabschwung entgegenzuwirken. Betrachten wir Europa, so sieht es wirtschaftlich sehr verhalten aus. Die Kommission hat jüngst ihre Prognose für die Wirtschaftsleistung im gesamten europäischen Staatenbund nach unten revidiert. Als Grund für die schlechteren Aussichten nannte sie die Auswirkungen der erhöhten US-Zölle sowie die allgemeine Unsicherheit und gedämpfte Aussichten. Auch China fällt als mögliche globale Konjunkturlokomotive aus.

II: Wir haben die Lage in den USA bereits angesprochen. In den vergangenen Jahren führte an den USA kein Weg vorbei. Die Indizes schnellten in die Höhe. Ist der „American Exceptionalism“ 2025 ausgeträumt?

Dr. Schmidt: Das ist schwierig zu beantworten. Was wir sehen, ist eine Abkühlung der Wirtschaftsleistung, die in den vergangenen Jahren noch um knapp 3 % p. a. gewachsen ist. Der Rückgang des BIP um 0,3 % im 1. Quartal 2025 auf Jahresbasis wurde allerdings durch einen deutlichen Anstieg der Importe angetrieben. Der Konsum war im 1. Quartal noch stabil, mittlerweile macht sich bei den Konsumenten aber die Unsicherheit bemerkbar – das gilt auch partiell für die Unternehmenslandschaft. Hingegen präsentiert sich der US-Arbeitsmarkt nach wie vor vergleichsweise robust. Die Arbeitslosenquote lag im April bei 4,2 %. Das ist die gleiche Quote wie im Vormonat.

II: Im Frühjahr gab es auch immer wieder Attacken von Trump gegen die US-Notenbank. Er forderte rasche Zinssenkungen und schoss bildlich gegen Notenbankchef Powell.

Dr. Schmidt: Die US-Notenbank ist bemüht ihr duales Mandat zu erfüllen. Während die Zollproblematik die Inflation eher noch etwas anheizen dürfte, ist der Arbeitsmarkt, wie geschildert, bisher noch stabil. Es gibt daher derzeit keinen Grund für Zinssenkungen. Nicht jetzt und auch in absehbarer Zukunft. In unserem Basisszenario sehen wir in 2025 keine weiteren Zinssenkungen. Wir glauben, dass die Fed, wie es Powell auch öffentlich sagte, die Entwicklungen aktuell sehr genau verfolgt, aber nicht agiert.

II: Springen wir mal über den Teich zurück und kommen zur Lage in Europa. Lange Zeit im Abseits hat der Kontinent zumindest an den Kapitalmärkten wieder Rückenwind. Ist das nur temporär oder von Dauer, auch im Vergleich zu den USA?

Dr. Schmidt: Das wird sich zeigen. Europa als Einheit hat in der jüngeren Vergangenheit Boden gut gemacht. Das ist so. Ob wir aber bereits auf Augenhöhe zu den Vereinigten Staaten sind, das wäre verfrüht. Da gibt es natürlich grundlegende Unterschiede zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten. Der Blick auf die Wirtschaftsdaten der vergangenen Jahre ist eindeutig. Die USA machten die Pace. Europa dümpelte mehr oder weniger vor sich hin. 2025 tritt eine Ernüchterung jenseits des Atlantiks ein und der europäische Kontinent holt etwas auf. Aber nach wie vor klafft eine Lücke im jeweiligen prognostizierten Wirtschaftswachstum. Was wir wahrnehmen, ist, dass Europa sozusagen emanzipierter auftritt und die politischen Entscheidungsträger sich bewusst sind, dass sie sich nicht mehr so auf den starken Verbündeten in Washington verlassen können wie in der Vergangenheit. Anders formuliert: Europa wurde wachgerüttelt.

II: Aber Europa ist ein Staatenverbund aus 27 Nationalstaaten, sehr heterogen.

Dr. Schmidt: Absolut. Die Klage über den Zustand der EU (zu heterogen, zu schwerfällig etc.) ist nicht neu. Die Krisenphänomene häufen sich in der Vergangenheit. Und aus Europas Vorreitern wie Deutschland oder Frankreich wurden vermeintliche Sorgenkinder. Andererseits gab es positive Entwicklungen bei den Mittelmeeranrainern.

Auf Deutschland bezogen besteht jetzt natürlich die Hoffnung, einerseits durch das Fiskalpaket, das ja quasi schon geschnürt ist, durch die Lockerung der Schuldenbremse, aber auch hoffentlich mit Hilfe von begleitenden Reformen, dass man auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkehrt.

II: Jetzt haben Sie Deutschland und die neue Regierung bereits erwähnt. Wie steht es um uns?

Dr. Schmidt: Die deutsche Wirtschaft kommt aktuell noch nicht aus der Krise. 2025 gibt es voraussichtlich ein Nullwachstum. Die Stagnation dauert nunmehr schon drei Jahre. Mit Blick auf das nächste Jahr dürfte sich jedoch etwas Hoffnung breitmachen. Ich erwähnte bereits das große Fiskalpaket, also die Lockerung der Schuldenbremse. Investitionen in Infrastruktur und Verteidigungsausgaben. Das wird helfen. Zudem gehen wir davon aus, dass die EZB ihren Zinssenkungszyklus noch nicht beendet hat. Auch das wird zeitverzögert in der Wirtschaft ankommen. Dennoch, Deutschland braucht echte Reformen und den Mut, Dinge konsequent anzupacken. Das alles natürlich unter dem Vorbehalt, dass wir weltwirtschaftlich eingebettet sind und uns von den Entwicklungen in den USA bzw. Asien nicht freischwimmen können.

II: Ein guter Aufhänger. China galt für lange Jahre als Stabilitätsgarant. Dann kam die fortwährende Immobilienkrise. Der Riese wankt (sehr). Wie schätzen Sie dort die Lage ein?

Dr. Schmidt: Die Zeiten, in denen China die Wachstumslokomotive der Welt war, sind definitiv vorbei. China hat nach eigenen Angaben gerade so das Wachstumsziel für 2024 erreicht. Angesichts diverser struktureller Probleme dürfte die Wirtschaft in diesem Jahr langsamer vorankommen. Die Erwartungen sind niedrig, insofern könnte der Markt positiv überraschen. Fiskalische Impulse können die Stimmung etwas ins Positive drehen. Insgesamt jedoch ein durchwachsenes Bild.

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