Machtwechsel in den USA ohne langfristige Risiken für den Aktienmarkt

Im US-Wahlkampf ist die letzte Runde eingeläutet: Lange überschattet von der Corona-Pandemie, gewinnt der Wettlauf zwischen Biden und Trump um das Präsidentenamt an Fahrt. Die Frage für Anleger: Welche Auswirkungen hätte ein politischer Machtwechsel auf die Finanzmärkte?
24. September 2020
USA - Foto: © JEGAS RA

Im US-Wahlkampf ist die letzte Runde eingeläutet: Lange überschattet von der Corona-Pandemie, gewinnt der Wettlauf zwischen Biden und Trump um das Präsidentenamt an Fahrt. Die Frage für Anleger: Welche Auswirkungen hätte ein politischer Machtwechsel auf die Finanzmärkte?

Gemäßigtere Handelspolitik unter Biden?

Sollte Biden als Sieger vom Platz gehen, könnte eine berechenbarere Handelspolitik die Folge sein. Dies dürfte viel Risiko vom Markt nehmen sowie zu einem stärkeren US-Dollar führen. Die gegenwärtige Regierung hat sich hingegen für einen schwächeren Dollar ausgesprochen und anderen Staaten Währungsmanipulation vorgeworfen, um mit den USA konkurrieren zu können. Mit einer grundsätzlichen Änderung der US-Handelspolitik gegenüber China ist nicht zu rechnen. Es wird voraussichtlich keine Kehrtwende geben, was die Sanktionen gegen China – wie im Falle des chinesischen Telekommunikationskonzerns Huawei – betrifft.

Jedoch dürfte Biden insgesamt gemäßigter auftreten, insbesondere gegenüber Europa. Dort, wo sich US-amerikanische und europäische Interessen decken, könnten die USA künftig die Förderung „nationaler Champions“ zunehmend tolerieren. Das gilt insbesondere für das Gesundheitswesen, da derzeit weltweit „nationale Champions“ an einem Impfstoff gegen das Coronavirus arbeiten. Darüber hinaus könnte dies Unternehmen wie Nokia und Ericsson zugutekommen sowie für weniger Spannungen rund um das Duopol von Airbus und Boeing sorgen. Insgesamt ist im Falle eines Biden-Wahlsiegs mit mehr Vorhersehbarkeit und weniger Volatilität zu rechnen, was der Handelspolitik langfristig zugutekommen sollte.

Steuerpolitik mit Nebenwirkung

Kurzfristig sehen wir jedoch mit Bidens Plänen für die Steuerpolitik ein gewisses Risiko für den Aktienmarkt. Die von demokratischer Seite geplante Erhöhung der Kapitalertragssteuer von aktuell 20 Prozent auf mehr als 40 Prozent könnte für zunehmenden Verkaufsdruck bei Investoren sorgen. Zusätzlich spielt ein bislang weitgehend unbeachteter Aspekt eine Rolle: die sogenannte Todesfallbesteuerung. Wenn Vermögen vererbt wird, ist der Wert in der Regel höher als beim Kauf. Der gestiegene Wert des Vermögens wird in den USA für Steuerzwecke berücksichtigt und auf den Wert per Todestag angepasst – auch als „step-up in basis“ bezeichnet. Viele Aktienbesitzer behalten daher ihre Anteile, um die bei einem Verkauf anfallende Kapitalertragssteuer sowie die Nachlasssteuer zu vermeiden. Biden plant jedoch, diese Anpassung des Steuerwerts abzuschaffen und die erworbenen Vermögenswerte der Kapitalertragssteuer zu unterwerfen. Die Sorge vor einer möglichen Erhöhung des Steuersatzes könnte daher kurzfristig für zusätzlichen Verkaufsdruck am Aktienmarkt sorgen.

„Big Tech“ unter Druck

Bei der grundlegenden Frage, ob die großen US-Technologiekonzerne zu mächtig sind, sind sich Republikaner und Demokraten ausnahmsweise einig. Ein demokratischer Wahlsieg könnte Gesetzesänderungen zur stärkeren Regulierung beinhalten. Gleichzeitig dürften die Unternehmen auch von Änderungen in der Steuerpolitik betroffen sein. Die Konsequenz: Steuerrelevante Ressourcen wie geistiges Eigentum können nicht mehr in Länder mit geringeren Steuersätzen verlagert werden. Gleichwohl erwarten wir keine ausgeprägten Auswirkungen der US-Wahlen auf den Technologiesektor.

Tech-Blase in Sicht?

Die Technologieunternehmen werden weiter wachsen, wie es auch in den 2000er Jahren der Fall war. Typischerweise bahnt sich zunächst eine „Melt-up“-Phase an, bei der die Börsenkurse plötzlich stark anziehen, gefolgt von einer „Blow-off“-Phase, die Anzeichen für ein mögliches Platzen einer Blase sein kann.

Der jüngste Aktiensplit von Apple und Tesla zeigt, dass wir uns möglicherweise am Anfang einer solchen „Blow-off“-Phase befinden. Zuletzt haben sich ihre Aktienkurse rasant vervielfacht und sind für viele Privatanleger zu teuer geworden. Der Aktiensplit soll diesen Effekt aufheben. Doch wenn Large-Cap-Aktien innerhalb eines Monats um 30 Prozent zulegen, ist dies ein Anzeichen für eine erhebliche Fehlallokation von Kapital. Diese Entwicklung führt oft dazu, dass sich die Kurse zu sehr von ihrer fundamentalen Basis lösen, weil der Markt zu sehr vom Momentum getrieben wird.

Fokus auf Aktien mit Erholungspotenzial

Die extrem hohen Bewertungen im US-Technologiesektor haben uns dazu veranlasst, unsere Position in diesem Bereich in den letzten Monaten zu reduzieren. Während wir zu Beginn der Krise vor allem in Trends investiert haben, die aufgrund der Corona-Krise beschleunigt wurden, wie Online-Shopping und Homeoffice-Arbeit, haben wir Ende April begonnen, unseren Fokus zu verlagern und verstärkt in Unternehmen mit Erholungspotenzial zu investieren. Wenngleich Trends wie das Arbeiten von Zuhause noch andauern dürften, werden sie sich nicht im gleichen Tempo fortsetzen. Mit Blick auf das Risiko-Ertrags-Verhältnis, erscheint uns die Old Economy derzeit attraktiver.

Wir setzen unseren Fokus also auf die künftige wirtschaftliche Erholung und Rückkehr zur Normalität. Wir investieren verstärkt in Unternehmen, deren Umsatz während des Stillstands zwar zurückgegangen ist, die diesen Rückstand jedoch unseres Erachtens weitgehend wieder aufholen werden, zum Beispiel an elektiven chirurgischen Eingriffen beteiligte Unternehmen. Dazu gehört Stryker, ein US-amerikanischer Hersteller von orthopädischen und chirurgischen Implantaten sowie Instrumenten.

Ein weiteres interessantes Beispiel ist Nidec, ein japanischer Hersteller von Elektromotoren, den wir bereits seit Ende 2016 – in der Regel mit einer geringeren Gewichtung – in unserem Portfolio halten. Es handelt sich hierbei um ein außerordentlich gut geführtes Unternehmen, das 90 Prozent der Marktanteile im Bereich Computer-Festplattenlaufwerke besitzt. Da dieser Markt jedoch rückläufig ist, hat Nidec in andere Wachstumsbranchen reinvestiert und gehört heute zu einem der führenden Anbieter von Motoren für Roboter. Darüber hinaus gehört das Unternehmen zu den Vorreitern in der Herstellung von Motoren für elektrische Systeme im Automobilbereich. Angesichts dessen, dass Automobilhersteller ihre Emissionen reduzieren und einen besseren Kraftstoffverbrauch erzielen müssen, bietet dieser Bereich sowohl mit Blick auf die Wachstumsperspektiven als auch die Umweltthematik Potenzial.

Probleme überblicken: Langfristiger Anlagehorizont entscheidend

Mit 20 bis maximal 25 Positionen (1) haben wir ein sehr konzentriertes Portfolio. Daher müssen wir vom Management und dem nachhaltigen Wachstum eines Unternehmens absolut überzeugt sein. Charakteristisch für unseren Investmentansatz ist unser langfristiger Anlagehorizont. Als die Corona-Krise ausbrach, war dies für uns kein Anlass, auf den wir reagieren müssen, sondern ein kurzfristiges Problem, über das wir hinausschauen müssen. Notenbanken und Regierungen weltweit haben entsprechend reagiert, um sicherzustellen, dass dies zu keinem langfristigen Problem wird. So sehen wir auch mit Blick auf die US-Wahlen zwar potenzielle kurzfristige Risikofaktoren – jedoch keine großen langfristigen Risiken für den US-Aktienmarkt.

Gastbeitrag von David Ross, CFA, Fondsmanager des Echiquier World Equity Growth bei LFDE

Foto: © JEGAS RA — stock.adobe.com

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