DeepSeek sorgte in den vergangenen Tagen für Aufsehen am Markt, und Experten analysieren derzeit die möglichen Auswirkungen auf die Zukunft der KI-Entwicklung. Ben Ritchie, Head of Developed Market Equities bei abrdn, wirft in diesem Marktkommentar einen detaillierten Blick auf die aktuelle Lage und die möglichen Folgen für den Finanzmarkt und zeigt, das die.Entwicklungen insgesamt positiv zu bewerten sind.
Das chinesische Unternehmen DeepSeek hat vor Kurzem ein neues KI-Modell auf den Markt gebracht, das den Markt überraschte und zu einem ersten Ausverkauf bei Nvidia und im Technologiesektor führte. Dieses fortschrittliche Modell benötigt deutlich weniger Rechenleistung und kann auch mit weniger hoch entwickelten Chips betrieben werden, was bisherige Annahmen über die Entwicklung von KI in Frage stellt. Die Auswirkungen dieser Innovation erstrecken sich sowohl über den Software- als auch auf den Hardwaresektor in China, den USA und weltweit.
Ist das Wettrüsten vorbei?
Der Ansatz von DeepSeek legt nahe, dass das Training von KI-Modellen nicht unbedingt die modernsten Nvidia-GPUs oder Brute-Force-Trainingsmethoden erfordert. Diese Aussicht treibt die Investitionsausgaben (CAPEX) von US-Hyperscalern an, die sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollen. Obwohl es noch zu früh ist, um die genauen Auswirkungen dieser Entwicklung zu bestimmen, besteht die Gefahr, dass diese Unternehmen die Rechtfertigung für zukünftige Ausgaben neu bewerten und ihre Wettbewerbsstrategien überdenken müssen.
Produkte, kein Potenzial
KI-Werkzeuge existieren derzeit als Lösungen, die nach Problemen suchen. Der Schwerpunkt liegt auf der Erhöhung der Anzahl von Grafikprozessoren in fortschrittlichen Clustern, um möglichst leistungsfähige Modelle zu trainieren. DeepSeek hat jedoch einen alternativen Ansatz zur Erstellung komplexer Modelle aufgezeigt, der deutlich weniger anfängliche Rechenleistung erfordert. Dies könnte den Wettbewerb fördern, da mehr Teilnehmer die Möglichkeit haben maßgeschneiderte KI-Modelle zu entwickeln, was die Kommodifizierung von KI beschleunigen könnte, da die Marktteilnehmer versuchen, durch Produktdifferenzierung und Spezialisierung zu konkurrieren.
Nachfrage verlagert, aber nicht verringert
Trotz des anfänglichen Abschwungs bei vielen Technologiewerten innerhalb der KI-Halbleiter-Lieferkette könnte die Nachfrage robust bleiben, und wir bleiben hinsichtlich der Aussichten relativ optimistisch. Die zunehmende Demokratisierung der KI könnte die Akzeptanz bei den Endnutzern erhöhen und die Nachfrage nach zusätzlicher Rechenleistung während der Betriebsphase des Lebenszyklus von KI-Modellen aufrechterhalten. Die anhaltende Nachfrage nach Rechenleistung unterstützt die allgemein positiven Aussichten für Unternehmen in den Bereichen Halbleiter, Rechenzentren und Versorgungsunternehmen.
Was sind die Fakten und was ist Fiktion?
Überraschend ist, dass China aufgrund des Chip-Embargos weniger leistungsstarke Grafikprozessoren (GPUs) verwendet hat, um seine Modelle auf alternative Weise zu optimieren – etwa durch den Verzicht auf CUDA und eine effizientere Vernetzung von GPU-Clustern. Dies führte zu beeindruckenden Ergebnissen und ist eine der unbeabsichtigten Folgen der Beschränkung Chinas auf nicht mehr führende Technologien.
Viele fortschrittliche Modelle sind seit 2022 an Skalierungsgrenzen gestoßen – die zuvor formulierten Skalierungsgesetze besagten, dass eine Erhöhung der Rechenleistung in der Vortrainingsphase bessere Modelle hervorbringen würde. Dies führte zu bahnbrechenden Fortschritten und einem enormen Verbrauch modernster Chips (hauptsächlich GPUs). Da die Menge an verfügbarem Trainingsdatenmaterial jedoch begrenzt ist, experimentieren Modelle inzwischen mit alternativen Ansätzen zur Weiterentwicklung von KI – darunter auch solche, die weniger rechenintensiv sind und möglicherweise weniger Chips benötigen. Dies hat eine Schwachstelle in einem KI-Markt offenbart, der stark von Rechenleistung und Chipverbrauch abhängig ist.
Was aber wahrscheinlich nicht stimmt, ist die Angabe von Kosten in Höhe von 6 Millionen Dollar – und DeepSeek stellt das in ihrer eigenen Veröffentlichung klar. Sie erklären dort, dass die angegebenen Kosten nur für den finalen Trainingslauf gelten. Diese Zahl ist also nicht korrekt, aber die Distillation und die Art, wie sie das Modell trainiert haben (Testzeit-Berechnung), dürften tatsächlich mit geringeren Kosten verbunden sein als beispielsweise bei OpenAI.
Die Sicht der Analysten
Wir trafen uns im Dezember mit Technologieunternehmen in San Francisco und stellten einen Wandel hin zu potenziell disruptiven Formen des Model-Scalings fest. DeepSeek hat gezeigt, dass eine andere Art der Optimierung – mit Fokus auf logisches Denken und Zeit als Schlüsselvariablen („Test Time Scaling“) statt auf Rechenleistung und Vortraining – außergewöhnliche Ergebnisse erzielen kann. Bisher wurde das Skalieren von Modellen hauptsächlich durch den Einsatz massiver Rechenleistung und den Ausbau von GPUs vorangetrieben.
Nvidia hat weiterhin enorme Vorteile durch seine Software-Programmiersprache und die Flexibilität seiner GPUs. Doch China hat bewiesen, dass Innovation nicht nur durch brachiale Skalierung, sondern auch durch Optimierung entstehen kann.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Rechenleistung unwichtig wird – ich gehe davon aus, dass die Investitionen in hyperskalierte Rechenzentren weiterhin hoch bleiben. Zudem könnte laut Nadella sinkende Inferenzkosten zu einer erheblichen Steigerung der Monetarisierung von KI und einer besseren Verfügbarkeit von KI-Anwendungen an der „Edge“ führen.
Zuletzt präsentierten wir ein Modell mit drei Schichten des KI-Ökosystems: KI-Infrastruktur / Halbleiter, grundlegende Modelle und die Anwendungsebene. Damals waren vor allem die Infrastruktur und Halbleiter am weitesten in der Monetarisierung von KI, während wir voraussagten, dass grundlegende Modelle zunehmend zur Massenware werden würden (was sich bewahrheitet hat). Gleichzeitig erwarteten wir, dass die Wertschöpfung zunehmend in die Anwendungsschicht verlagert wird. Die Neuigkeiten zu DeepSeek erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass vor allem Software in der Anwendungsschicht an Wert gewinnt, da Training und Inferenz nun voraussichtlich günstiger zugänglich werden.
Implikationen für Asien und Global Emerging Markets
Unsere China-A- und Asien-Strategien sind im Bereich chinesischer IT-Unternehmen untergewichtet und halten lediglich zwei Positionen im chinesischen Halbleitersektor: SG Micro Corp und Naura. Diese werden ausschließlich in unserer China-Strategie gehalten.
SG Micro ist ein etabliertes Designhaus für analoge integrierte Schaltkreise in China. Wir sehen das Unternehmen als Profiteur des Trends zur Lokalisierung im Analogmarkt. Naura gehört zu den größten Herstellern von Halbleiter-Equipment in China, und wir betrachten das staatliche Unternehmen als die qualitativ beste Stellvertreter-Option in seiner Branche.
Der Erfolg von DeepSeek bei der Entwicklung innovativer Lösungen zur Umgehung von Sanktionen ist insgesamt positiv für den Sektor. Allerdings gibt es viele offene Fragen zur Entwicklung des neuen Werkzeugs, sodass dies nicht unmittelbar alle spezifischen Herausforderungen von Unternehmen in diesem Bereich löst.
Generell könnte ein sinkender Wettbewerbsvorteil der USA und eine schwindende US-„Ausnahmestellung“ förderlich für den Technologiesektor in der Region sein. Wir erwarten jedoch eine schrittweise Verschiebung des Fokus von Hardware hin zu Software, da sich die Anwendungsschicht von KI-Lösungen weiterentwickelt. Falls die Einführung von DeepSeek in die KI-Landschaft eine Neubewertung der US-„Ausnahmestellung“ anstößt, könnte dies sowohl für Asien als auch für den Rest der Welt positiv sein.
Eine weitere Entwicklung ist die Veröffentlichung des neuen KI-Modells „Qwen2.5‑Max“ durch Alibaba, das in unserer All-China-Strategie gehalten wird. Der Markt verarbeitet diese Nachricht noch, aber sollten sich die Behauptungen von Alibaba zur Leistungsfähigkeit seines KI-Systems bestätigen, würde dies das Narrativ der Innovationskraft trotz Sanktionen weiter stärken. Wir werden die Situation weiterhin beobachten und Updates bereitstellen. Für weitere Fragen stehen wir jederzeit zur Verfügung.
Auswirkungen auf andere Märkte
Dies dürfte positiv für Aktien aus dem „Rest der Welt“ (RoW) im Vergleich zur US-„Ausnahmestellung“ sein. Es geht dabei nicht um Gewinnprognosen (EPS) oder Kapitalrendite-Unterschiede (ROIC), sondern um die potenzielle Demokratisierung der KI-Kosten. Dies könnte theoretisch KI-Nachzüglern und traditionellen Volkswirtschaften zugutekommen, die diese Technologie zu deutlich geringeren Kosten nutzen könnten. Letztlich ist die Kommodifizierung von KI positiv für den „Rest der Welt“.
Bemerkenswert ist, dass am selben Tag, an dem Nvidia und andere Tech-Werte um über 15 % nachgaben, 70 % der S&P‑500-Titel im Plus waren. Dies deutet auf eine zunehmende Marktbrotbreite hin, nachdem der Markt jahrelang stark konzentriert war – allein Nvidia machte im vergangenen Jahr 23 % der S&P‑500-Rendite aus.