Japans Aktienmarkt erwacht aus Winterschlaf

Die Zinsen steigen in Japan. Verkehrte Welt, denkt man an die fallenden Zinsen in Europa und den USA. In Japan ist man erst jetzt dabei, das seit 2016 andauernde Feldexperiment der Negativzinsen zu beenden. Damit ist die Bank of Japan (BoJ) die letzte der großen Notenbanken, die sich im März 2024 mit der ersten Zinserhöhung seit 17 Jahren von der Nullzinspolitik verabschiedet hat.
19. Dezember 2024
Autor: Moritz Rehmann Fondsmanager des DJE – Multi Asset & Trends / Foto: © DJE

Die Zinsen steigen in Japan. Verkehrte Welt, denkt man an die fallenden Zinsen in Europa und den USA. In Japan ist man erst jetzt dabei, das seit 2016 andauernde Feldexperiment der Negativzinsen zu beenden. Damit ist die Bank of Japan (BoJ) die letzte der großen Notenbanken, die sich im März 2024 mit der ersten Zinserhöhung seit 17 Jahren von der Nullzinspolitik verabschiedet hat.

Ursprünglich wurden die Zinsen gesenkt, um aus Deflation und Wirtschaftsschwäche zu entkommen. Allerdings hat die Geschichte gezeigt, dass das nicht gelang. Mit der Anhebung der Zinsen in der westlichen Hemisphäre begann eine massive Talfahrt der japanischen Währung, die mit den seit der Corona-Pandemie anhaltenden Teuerungsschüben auch die Inflation in Japan auf lange nicht gekannte Höhen brachte und nun erstmals die von der Zentralbank „ersehnte“ Preis-Lohn-Spirale in Gang setzte. Man könnte auch sagen, nachdem das Zuckerbrot des billigen Geldes nicht gegriffen hat, kommt nun die Peitsche aus Inflation und Yen-Entwertung, die besser zu wirken scheint.

Historisches Hoch nach 34 Jahren wieder erreicht

34 Jahre hat der japanische Aktienindex Nikkei gebraucht, um nach den Höhenflügen der 1990er-Jahre das alte Hoch wieder zu erreichen. Japan erlebte in den 1980er-Jahren einen unvergleichlichen Aufschwung mit dem Export von günstiger Hochtechnologie, Konsumgütern und Autos. Nicht zuletzt trug der billige Yen zum Erfolg der Exporte bei, was 1985 zum Plaza-Abkommen führte (der US-Dollar sollte gegen D‑Mark und Yen kontrolliert abwerten). Danach wertete der Yen massiv auf. Es floss noch mehr Geld in japanische Aktien und Immobilien, und der Boom gipfelte in den Höchstständen von 1990. Eine Umkehr im Trend des Yen erlebten wir zuletzt, gerade auch bedingt durch die Bestrebung der BoJ, die Zinsmärkte in Japan zu normalisieren. Das Interesse am japanischen Immobilienmarkt nimmt seitdem zu.

Kapital zu halten lohnt sich nicht mehr

Doch was unterstützt den Aktienmarkt, und sind diese Aspekte langfristige Tragsäulen? Der Börsenbetreiber Japan Exchange Group (JPX) forciert eine Unternehmensreform, um die Qualität des japanischen Aktienmarktes zu verbessern. Diese Bestrebung hätte noch nicht ausgereicht, den Markt in Bewegung zu setzen. Zusammen mit den Impulsen aus der Inflation gewinnt die Reformagenda jedoch an Nachdruck. Mit dem Anstieg der Inflationsraten steigen auch die Refinanzierungskosten. Die Toleranz für das Festhalten an Kassepositionen, Überschusskapital und Geschäftsfeldern mit niedrigen Margen schwindet, da sich diese Geschäftspraktiken im Inflationsumfeld kaum lohnen oder Werte vernichten.

Fokus auf Effizienz

Ein struktureller Faktor des japanischen Arbeitsmarkts ist das Angebotsdefizit von Arbeitnehmern, dass die japanische Bevölkerung zunehmend veraltet und schrumpft. Darum dürfte die beginnende Lohninflation als treibende Komponente langfristig erhalten bleiben. Passend dazu steigt die Anzahl der Firmenpleiten bedingt durch ausbleibende Arbeitskräfte kontinuierlich: Waren es im 1. Halbjahr 2014 nur 35, stieg die Zahl auf 182 im 1. Halbjahr 2024. Das führt zu einem Fokus auf Effizienz und Wertschöpfung. Ferner wird der Aspekt der steigenden Lohnkosten zu einer dringend überfälligen Digitalisierung in Japan beitragen, denn die Produktivität der japanischen Arbeitnehmer stagniert seit ca. 25 Jahren.

Japanische Unternehmen bauen ihre Kapazitäten in Japan wieder aus

Die treibende Mechanik der vergangenen 30 Jahre die Kosten zu senken, um Preise und Löhne gering zu halten, scheint sich nun umzukehren. Die Krisenfaktoren der 1990er-Jahre mit Überkapazitäten bei Personal, Fabriken und Schulden verursachten eine langanhaltende Deflation, die 30 Jahre später – nach der Sanierung und Restrukturierung – zu Bilanzen mit überdurchschnittlich viel liquiden Mitteln führten. Die jetzt begonnenen Trends sollten dazu beitragen, die Liquidität, die viele japanische Unternehmen angesammelt haben, wieder aktiv einzusetzen. Dazu bieten sich Investitionen in Digitalisierung, aber auch in lokale Produktion an. Die Development Bank of Japan befragte vor kurzem international tätige japanische Unternehmen zu ihren Investitionsplänen. Etwa 50 % der Unternehmen bekundeten ihre Absicht, in den kommenden drei Jahren ihre Kapazitäten in Japan aufbauen zu wollen. 2019 waren es nur ca. 35 %.

Die Schubumkehr von Deflation auf Inflation führt zu Aktienrückkäufen

Der Börsenbetreiber JPX spielt bei der Belebung des Aktienmarktes eine zentrale Rolle. Im Jahr 2014 veröffentlichte die JPX einen Stewardship Code und 2015 einen Corporate Governance Code. Beide plädierten für die Reduktion von in Japan beliebten Überkreuzbeteiligungen und haben bereits zu deren Verringerung beigetragen. Ergänzt wurde dies im vergangenen Jahr durch die „Effizienz-Reform“, die auf die Verbesserung des Kurs-Buchwert-Verhältnisses und der Kapitaleffizienz abzielt. Zusammen mit der Schubumkehr von Deflation auf Inflation hat dieser Plan gewirkt und konnte dem japanischen Aktienmarkt zu einer Aufholjagd verhelfen. Die japanischen Firmen müssen sich auf ein Umfeld mit Inflation umstellen. Das ist gut für Preiserhöhungen bei Einzelhandels- und Konsumgüterunternehmen, die am 01.10.2024 ihre erste Preiserhöhung seit 14 Jahren vorgenommen haben. Der japanische Börsenbetreiber unterstützt das unter Androhung konkreter Konsequenzen wie Delisting. Deutlich wird dieses Phänomen auch anhand der massiv wachsenden Aktienrückkäufe (zuletzt +72 % gegenüber dem Vorjahr). Diese Maßnahme ist wohl das am schnellsten wirkende Mittel zur Steigerung der Kapitaleffizienz von überkapitalisierten Unternehmen.

Klasse statt Masse

Weitere Reformen stehen in den Startlöchern. Der japanische Aktienindex TOPIX will im Jahr 2028 die Zahl der Indexmitglieder von ca. 2.100 auf ca. 1.200 um mehr als 40 % reduzieren. Mit der angestrebten Indexzusammensetzung soll jedes Indexmitglied durchschnittlich einen doppelt so hohen täglichen Umsatz und eine doppelt so hohe handelbare Marktkapitalisierung haben. Der Weg dorthin führt über die Verbesserung der Eigenkapitalrentabilität, der Marge und des Kurs-Buchwert-Verhältnisses. Japanische Firmen haben wegen ihrer traditionell überdurchschnittlichen Liquidität, der Überkreuzbeteiligungen und des Festhaltens an unprofitablen Geschäftseinheiten niedrige Werte im internationalen Vergleich. Alle angestoßenen Maßnahmen sollten den japanischen Aktienmarkt attraktiver machen. Das zeigt sich bereits am wachsenden Interesse der Japaner am eigenen Aktienmarkt: Die Anzahl der NISA-Konten (Möglichkeit der steuerbegünstigten Kapitalanlage) stieg deutlich, und über 40 % der Neuanlagen dieser Konten flossen im 1. Halbjahr in japanische Aktien. Die Vermögensaufteilung der Japaner lässt hier mit ca. 51 % Bargeld und Sparguthaben noch erheblichen Spielraum, verglichen mit nur 13 % in den USA und ca. 36 % in Europa. Interessant ist, dass ein hoher Anteil auf junge Japaner entfällt – diejenigen, die den Crash der 1990er-Jahre nicht erlebt hatten.

Steigende Zinsen bergen Potenzial für den Finanzsektor

Die BoJ hat am 31.07.2024 zum zweiten Mal die Zinsen auf 0,25 % angehoben. Sie erklärte auch ihre Absicht, die Leitzinsen weiter anzuheben, wenn sich die wirtschaftliche und die Preisentwicklung im Rahmen ihres Ausblicks bewegen. Ferner kündigte sie an, die Käufe japanischer Anleihen pro Quartal um 400 Mrd. Yen zu reduzieren – sie bleibt damit de facto weiter im „Easing-Modus“, ermöglicht aber über die geringere Nachfrage ein graduell steigendes längeres Ende der Zinskurve.

Damit hat die BoJ die Basis für den Bankensektor gelegt, um von höheren Zinsaufschlägen, höheren kurzfristigen Leitzinsen, höheren Renditen japanischer Staatsanleihen (JGBs) und einem Anstieg der Übernachtzinsen (TIBOR) zu profitieren. Wie schon zuvor in Europa und den USA ermöglicht das den Banken die Rückkehr in ein „normales“ operatives Umfeld. Damit begibt man sich auch direkt auf den gewollten Pfad der Verbesserung der Rentabilität und des Kurs-Buchwert-Verhältnisses. Mittelfristig erscheint es realistisch, von einem Anstieg am kurzen wie auch am längeren Ende der Zinskurve auszugehen. Kurzfristig kann der japanische Markt mit den Schwankungen der Wechselkurse volatil sein. Strukturell ist aber für den Finanzsektor eine Richtungsänderung eingeleitet worden, die mittelfristig weiteres Potenzial bergen sollte.

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