Künstliche Intelligenz wird die Art, wie wir Leben und Arbeiten, grundlegend verändern. Auch die Asset Management Branche prüft, wie sich KI sinnvoll einsetzen lässt. Die II-Chefredaktion sprach mit Christian Sievers, dem Geschäftsführer des KI-Spezialisten LAIC, über Chancen und Risiken von KI im Asset Management, wie die KI die richtigen Aktien aufspürt und welche institutionellen Partner bereits auf die KI der LAIQON-Tochter setzen.
INTELLIGENT INVESTORS: Microsoft, Meta und der Google Konzern haben im ersten Quartal 2024 zweistellige Milliardenbeträge in die Entwicklung von KI investiert. Wo steht die deutsche Fondsbranche derzeit beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz?
Christian Sievers: Sehr am Anfang. Etwas zugespitzt könnte man sagen, die Branche konzentriert sich aktuell eher auf ein Investment in KI als Thema als auf die Entwicklung von KI für das komplette Asset Management. Entsprechend gibt es erst wenige Häuser, die im Asset Management durchgehend mit KI arbeiten. Meist geschieht das nur in Teilbereichen, zum Beispiel bei der vorbereitenden Analyse von Bilanz- und Kursdaten oder in der Auswertung von Social Media. Bei der KI-Tochter LAIC von LAIQON haben wir 2018 den nächsten Schritt gemacht und eine eigene KI für unsere Vermögensverwaltung entwickelt, die das gesamte Asset Management selbständig steuern kann, von der Datenanalyse über die Asset Allocation und Einzeltitelauswahl bis zum Risikomanagement. Besondere an unserem Ansatz ist der Einsatz von Bayesianischen Neuronalen Netzen. So können wir sowohl Einzelwerte als auch Märkte prognostizieren.
II: Welche Chancen bietet aus Ihrer Sicht der Einsatz von KI im Asset Management?
Sievers: Wir setzen auf KI, um Alpha für unsere Investoren zu finden. Die Welt produziert mittlerweile eine enorme Menge an Daten, allein zwischen 2010 und 2020 ist das jährliche Datenvolumen um 2.200 % auf 44 Zettabytes gestiegen. Bis 2025 soll es sich auf rund 180 Zettabytes noch einmal vervierfachen. Diese Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts, der nur mit einer modernen KI verarbeitet werden kann.
II: Datengetriebene Modelle wie Quant-Fonds haben bisher nicht in der Breite überzeugen können. Warum sollten KI-Fonds das besser machen?
Sievers: Tatsächlich sind Quant-Fonds eine Art Vorläufer der heutigen KI-Anwendungen, weil auch sie darauf gesetzt haben, Muster in Daten zu finden und daraus dann Anlageregeln abzuleiten. Allerdings waren diese Systeme eher statisch und sie haben einfachere wenn-dann-Beziehungen gesucht, die dem System von den handelnden Managern vorgegeben wurden. Aber die Wirtschaft verändert sich ständig, es gibt Innovationen, Krisen, Kriege. Das konnten viele Modelle so nicht abbilden. Die moderne KI kann dagegen nicht nur multidimensionale Zusammenhänge identifizieren, sie kann diese Regeln auch laufend überprüfen und selbständig an neue Erkenntnisse und Marktentwicklungen anpassen. Das ist der entscheidende Unterschied.
II: Welche spezifischen Risiken bergen dann die KI-gemanagten Fonds?
Sievers: Ein Hauptrisiko von KI ist immer die Qualität der Daten, die der KI für das Training zur Verfügung stehen. Damit die KI die richtigen Schlüsse ziehen kann, müssen die Daten erstens korrekt und vollständig sein. Vollständig bedeutet für KI-Zwecke zum Beispiel auch, dass alle Daten mit einem Zeitstempel versehen sein müssen. Die KI kann ja nur dann herausfinden, welche Informationen die Kurse beeinflussen, wenn sie die zeitliche Abfolge kennt. Zweitens sollten die Daten möglichst umfangreich und vielfältig sein. Das steigert die Chance der KI, relevante neue Zusammenhänge zu entdecken, die die Performance der Wertpapiere erklären. Und drittens muss die KI mit relevanten Daten gefüttert werden. Eine KI für US Large Caps kann man nicht nur ausschließlich mit europäischen Small-Cap-Daten trainieren und umgekehrt.
II: Wie wählt denn Ihre KI in der Praxis die richtigen Wertpapiere aus?
Sievers: Unsere KI wertet täglich rund 125 Millionen einzelne Datenpunkte aus, die alle für uns wichtigen Märkte, Regionen, Einflussfaktoren und Trendthemen abdecken. Dazu gehören harte Fakten wie Markt‑, Kurs- und Preisdaten, Zahlen zur Inflationsentwicklung, Bilanzdaten und eine Vielzahl von Makrokennzahlen genauso wie weichere Daten wie Analystenschätzungen und ein aufbereitetes Meinungsbild aus der Presse und den sozialen Medien. Auf der Basis dieser Informationen erstellt die KI eine tagesaktuelle Bewertung für jeden Titel unseres Anlageuniversums, das sind derzeit 5.000 Einzelaktien, 12.000 aktiven Fonds und rund 3.000 ETFs. Anschließend werden die Asset Allocation und die Einzeltitelauswahl aller Fonds und Portfolios überprüft und gegebenenfalls umgeschichtet. Wir als Fondsmanager müssen alle Trading-Vorschläge am Ende einmal freigeben.
II: Wird die KI den Menschen in Zukunft dann komplett ersetzen?
Sievers: Nein, das glauben wir nicht. Die Stärken der KI liegen dort, wo Märkte transparent und viele Daten verfügbar sind, also zum Beispiele bei US Large Caps oder bei einer fondsgebundenen Vermögensverwaltung. Hier ist die KI unserer Erfahrung nach schwierig zu schlagen. Anders sieht es bei regionalen Märkten, bei Small Caps und auch im Bereich Fixed Income aus. Hier sind die verfügbare Menge und die Qualität der Daten häufig nicht ausreichend für einen sinnvollen KI-Einsatz. In diesen Segmenten sind spezialisierte Fondsmanager weiter im Vorteil. Ich erwarte eher, dass sich KI-Fonds mittelfristig als drittes Segment etablieren werden, neben den aktiven Spezialisten und den breit gestreuten, effizienten ETFs.
II: Investoren legen viel Wert darauf, die Einzeltitelauswahl zu verstehen, KI-Strategien halten viele für eine Black Box. Schreckt das institutionelle Anleger ab?
Sievers: Im Gegenteil, wir sprechen bereits mit verschiedenen institutionellen Partnern, die sich sehr für unseren KI-Ansatz interessieren. Schon umgesetzt haben wir ein Joint Venture mit der meine Volksbank Raiffeisenbank eG, der größten Volks- und Raiffeisenbank Bayerns, die den Kunden auch KI-Lösungen von LAIC anbietet. Und Ende 2023 haben wir eine Kooperation mit der Union Investment abgeschlossen, die unsere KI für eine neuartige individuelle Fondsvermögensverwaltung einsetzen wird. Genauso kann unsere KI auch hoch individualisierte Mandate für die Eigenanlage institutioneller Investoren aufsetzen und betreuen. Wir sehen hier großes Wachstumspotenzial.