Inflation ist und bleibt ein zentrales Thema

Shamik Dhar, Chefökonom bei BNY Mellon Investment Management, stand uns als Interviewpartner Rede und Antwort zu makroökonomischen Fragestellungen, den Inflationsaussichten 2023 und wie sich Investoren positionieren sollten.
17. Januar 2023
Shamik Dhar - Foto: © BNY IM

Shamik Dhar, Chefökonom bei BNY Mellon Investment Management, stand uns als Interviewpartner Rede und Antwort zu makroökonomischen Fragestellungen, den Inflationsaussichten 2023 und wie sich Investoren positionieren sollten.

INTELLIGENT INVESTORS: Zuletzt war von einem Rückgang der Inflation (auch im Euroraum) zu hören. Zurückzuführen mitunter auf die niedrigeren Gaspreise. Mit Blick voraus, welche Inflationsszenarien eröffnen sich 2023 dies- und jenseits des Atlantiks?

Shamik Dhar: Trotz des derzeitigen leichten Rückgangs der Inflation in Europa und den USA, gehen wir davon aus, dass die Inflation hartnäckig bestehen bleibt; ausgelöst durch eine Lohn-Preis-Spirale in den USA und Problemen auf der Angebotsseite in Europa. Deshalb werden weitere Zinserhöhungen erforderlich sein, um die Inflation zu senken, obwohl die US-Notenbank die Zinsen nach viermaligen Zinserhöhungen in Folge von 0,75 % erstmalig im Dezember nur um 0,5 % angehoben hat und die EZB ebenfalls wie erwartet um 0,5 %. Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass diese Phase ewig andauern wird, und unser Hauptszenario sieht die Inflation bis Anfang 2024 wieder auf oder sogar unter dem Zielwert.

II: Wie sollte die US-Notenbank kurzfristig handeln, um angesichts der bis dato erfolgten raschen Zinsanhebungen die Wirtschaft nicht abzuwürgen?

Shamik Dhar: Die US-Wirtschaft wird wahrscheinlich nicht in der Lage sein, einen längeren Zeitraum mit Zinssätzen von mehr als 6 % zu verkraften — die Anleger wissen das, und wir sehen eine Chance auf eine umgekehrte Renditekurve, definiert als die Differenz zwischen zehnjährigen Renditen und dem Leitzins, in der ersten Hälfte dieses Jahres. Die Schlüsselfrage, die sich daraus ergibt, ist, wieviel Schaden die Wirtschaft verkraften muss, um die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Protokolle der Fed-Sitzung im Dezember lassen nun darauf schließen, dass das Tempo der weiteren Zinssteigerungen auf 0,25% gedrosselt werden könnte.

Unser zentrales Szenario ist nach wie vor, dass wir Anfang dieses Jahres in eine weltweite Rezession eintreten, die durch die rasche Anhebung der US-Leitzinsen ausgelöst wurde. Diese wird wahrscheinlich einer typischen geldpolitisch bedingten Rezession sehr ähnlich sein, wobei die Produktion ihren früheren Höchststand innerhalb von ein paar Jahren wieder erreichen dürfte und die Arbeitslosenquote voraussichtlich ihren Peak bei 7,5 % hat, bevor sie wieder zurückgeht.

II: Welche Treiber sehen Sie insbesondere für eine sich hartnäckig haltende Inflation in Europa und besonders mit dem Fokus auf Deutschland?

Shamik Dhar: Der Euroraum sieht sich mit zusätzlichem Gegenwind rund um die Gaslieferungen konfrontiert, auch wenn es dem Euroraum im dritten Quartal 2022 gelungen ist, eine Rezession zu vermeiden. Sowohl das Tempo der Substitution von russischen Lieferungen als auch die Fähigkeit der Wirtschaft, diesen Übergang zu verkraften, hat viele überrascht. Eine Rezession ist trotzdem nach wie vor wahrscheinlicher als keine Rezession — auch wenn die Leitzinsen wahrscheinlich nicht so hoch wie in den USA ausfallen werden. Ein großes Problem könnte die Energieknappheit werden, insbesondere wenn es in den kommenden Wochen viele kalte Tage geben sollte.

II: Welche Lehren gilt es für Investoren zu beherzigen? Welche Anlageklassen könnten in diesem Umfeld reüssieren?

Shamik Dhar: Die Kombination aus hoher Inflation, steigenden Zinsen und schwachem Wachstum zeichnet ein düsteres Bild für die Finanzmärkte. Aktien werden wahrscheinlich weiter fallen, und der Dollar könnte auf seinem hohen Niveau verharren oder seine Rally könnte sich noch eine Weile fortsetzen. Allerdings sind geldpolitisch bedingte Rezessionen in der Regel recht kurz, und wir gehen davon aus, dass in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres wieder eine risikofreudige Stimmung herrschen wird.

Aber es besteht nach wie vor das Risiko, dass die Entwicklung deutlich schlechter ausfällt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der S&P 500 unter 3000 fällt, liegt bei fast 20 %. Wenn es der Fed gelingt, eine weiche Landung zu erreichen, kann dies aber eventuell vermieden werden. Dann dürfte eine risikofreudige Stimmung einsetzen, die Aktien steigen und der Dollar schwächer werden.

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