Inflation in den USA: Dauerhaft, vorübergehend oder dauerhaft vorübergehend?

Bereits nach dem Wahlausgang im November 2020 war klar: Die Präsidentschaft von Joe Biden würde keine leichte werden. Und tatsächlich trägt Biden nach nunmehr fast einem Jahr als amtierender US-Präsident innerhalb, aber auch außerhalb des Kongresses Tag für Tag Konflikte aus, deren Ursachen in der tiefen Spaltung des Landes zu finden sind.
5. Januar 2022

Die US-Notenbank wandelt somit auf einem sehr schmalen Grad. Auf der einen Seite strebt sie nach Jahren mit aus ihrer Sicht zu geringer Inflation nun nach ihrem offiziellen Strategieschwenk ganz aktiv Inflationsraten über der Marke von zwei Prozent an. Inflation ist und wird – sofern sie alles in allem in geordneten Bahnen verläuft – in den kommenden Jahren politisch gewollt sein. Entsprechend locker ist nach wie vor die US-Geldpolitik in der aktuellen Phase des Aufschwungs trotz der Reduzierung der Anleiheankäufe, die gegen Ende des Jahres starten werden. Auf der anderen Seite wächst mit jedem Monat, in dem die Inflation deutlich erhöht bleibt, die Gefahr, dass die Fed „hinter die Kurve“ gerät. Damit ist die Sorge des Marktes gemeint, der US-Notenbank könnte der Zugriff auf die Inflationsentwicklung aus der Hand gleiten. Besonders zu fürchten sind ernstzunehmende Zweitrundeneffekte am Arbeitsmarkt, auch Lohn-Preis-Spiralen genannt. Reagiert die Notenbank mit einer (deutlichen) Straffung, könnte man sich fragen, wie ernst es denn gemeint gewesen ist, mit dem Strategieschwenk hin zum „Price Level Targeting“.

Fest steht: Mit jedem Monat, der eine deutlich erhöhte US-Inflationsrate hervorbringt, klettert die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem temporären Inflationsanstieg ein dauerhafter wird, da am Arbeitsmarkt eine zunächst als vorübergehend erachtete Preissteigerung sukzessive immer stärker als permanent angesehen wird und in den Lohnverhandlungen eine Rolle spielt. Übrigens eine Gefahr, die auch für Deutschland immer relevanter wird.

Für die Zinsen in den USA gilt somit Folgendes: Orientiert sich die Inflation bei sich langsam auflösenden Angebotsengpässen ab dem kommenden Jahr wieder gen Süden, könnte die Fed wie geplant ihre eher vorsichtige Straffungspolitik fortsetzen. Konsequenz wären moderat weiter steigende US-Renditen. In einem alternativen Szenario würde eine tatsächlich dauerhaft höhere Inflation, getrieben durch fortgesetzte Angebotsknappkeiten und stärker steigende Löhne, die Rufe nach einer schnelleren Straffung der Geldpolitik und vor allem deutlich früher als erwartet Zinsanhebungen laut werden lassen. Man würde sich aus Marktsicht wünschen, dass letzterem Szenario keine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit beizumessen ist. Blöd nur, dass immer mehr das Gegenteil der Fall ist.

Autor: Felix Herrmann
Chefvolkswirt
ARAMEA Asset Management AG

Foto: © Yuliia Lakeienko — stock.adobe.com

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