Immobilien stehen vor „Jahr der Sondersituationen“ – Chancen erkennen und nutzen

Die Zinswende hat dem Boomjahrzehnt an den Immobilienmärkten ein jähes Ende bereitet. Seither sind nicht nur die Finanzierungskosten erheblich gestiegen, sondern vor allem auch die Bewertungen unter Druck geraten.
24. Juni 2024
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Die Zinswende hat dem Boomjahrzehnt an den Immobilienmärkten ein jähes Ende bereitet. Seither sind nicht nur die Finanzierungskosten erheblich gestiegen, sondern vor allem auch die Bewertungen unter Druck geraten. 

Die Transaktionsmärkte sind infolgedessen nahezu zum Erliegen gekommen. Wer realisiert schon freiwillig Verluste, indem er ohne Not zu gesunkenen Preisen verkauft? Doch die Talsohle scheint erreicht, 2024 wird es durch Sondersituationen wieder zu Chancen kommen. Wichtig ist, diese zu erkennen. Und zu nutzen. Denn klar ist: Immobilien haben immer noch einen wichtigen Platz im Portfolio der institutionellen Investoren.

Gerade bei den Wörtern „freiwillig“ und „ohne Not“ liegt der Hase im Pfeffer. Es ist schon jetzt absehbar, dass Sondersituationen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu leisten werden, wenn sich die Transaktionsmärkte im Laufe des Jahres beleben sollten. Im Zweifel mehr als etwaige Zinssenkungen der Notenbanken, die – sollten sie denn tatsächlich eintreten – nach unserer Erwartung keine sofortige gravierende Veränderung des Finanzierungszinses für Immobiliendarlehen auslösen sollten. Somit entstehen durch Sondersituationen die größten Einstiegschancen für eigenkapitalstarke Investoren.

Das Buzzword „seller capitulation“ fasst es passend zusammen: So manche Immobilieneigentümer müssen sich eingestehen, dass das Festhalten an alten Werten aussichtslos ist und die Sachlage sie zwingt, Objektverkäufe – bestenfalls als „schwarze Null“ – zum aktuellen Preisniveau vorzunehmen. Da das niemand gerne zugibt, wird sich dies in der Regel diskret und unterhalb des Radars der Öffentlichkeit abspielen. Es können dabei sehr vielfältige Konstellationen zu jenen Situationen führen, in denen sich die Marktteilnehmer eher unfreiwillig zu Verkäufen veranlasst sehen.

Sondersituationen haben viele Ursachen

Den größten Einfluss wird die sich absehbar auftürmende Finanzierungslücke ausüben. Denn die in der Hochphase des Immobilienbooms stetig gestiegenen Finanzierungsvolumina stehen in den kommenden Quartalen zur Prolongation an – und zwar zu erheblich gestiegenen Zinssätzen. Doch nicht nur das: Zusätzlich belasten gestiegene Eigenkapitalanforderungen auf Seiten der Banken die Kreditvergabe. Die Kapitalwerte der beliehenen Immobilien sind gesunken, die von den Banken akzeptierten Beleihungsgrenzen ebenfalls. Somit gibt es bei anstehenden Prolongationen vom Senior-Lender weniger Geld zu höheren Kosten.

Mezzanine-Geber als mögliche Retter sind in der aktuellen Marktlage ebenfalls vorsichtiger geworden und lassen sich ihre größere Risikobereitschaft teuer bezahlen. So mancher von ihnen findet sich ungewollt vom Nachrangfinanzierer in einer neuen Rolle als Eigentümer wieder, nachdem das ursprüngliche Eigenkapital durch Bewertungsverluste aufgezehrt wurde – und strebt mangels eigener Asset-Management-Kompetenz einen möglichst zügigen Exit an. Das gilt vor allem im Falle unvollendeter Projektentwicklungen, bei denen der Business-Plan unter den veränderten Bedingungen nicht mehr aufgeht und Asset-Verwertungen aus Insolvenzverfahren auf den Markt kommen.

Risikoprämie bleibt stabil

Kurzum: Es wird aus verschiedenen Gründen Anlässe zu Transaktionen geben, bei denen die Verkäufer der Realität gesunkener Preise ins Auge blicken müssen. Abwarten ist keine Alternative, denn die Hoffnung auf eine Rückkehr minimaler oder gar negativer Nominalzinsen erscheint auf längere Sicht abwegig. Ob es in diesem Jahr überhaupt zu Zinssenkungen kommt, die vom Markt noch nicht im aktuellen Finanzierungsniveau vorweggenommen sind, ist ungewiss. Es gilt daher die neue Realität zu akzeptieren, in der ein Neustart des Marktgeschehens von einem deutlich niedrigeren Niveau aus erfolgen muss. Die Investoren erwarten ähnliche Risikoprämien zum „risikolosen“ Zins wie vor der Zinswende.

Die gute Nachricht ist, dass der Tiefpunkt bei Immobilienpreisen bald erreicht sein dürfte, da immer mehr Verkäufer die neue Realität akzeptieren (müssen). Weiter steigende Zinsen hingegen sind hierzulande derzeit äußerst unwahrscheinlich.

Zeitfenster zum Wiedereinstieg nicht verpassen

Für eigenkapitalstarke und langfristig orientierte Investoren werden sich in diesem Jahr vielfältige und vergleichsweise günstige Einstiegschancen ergeben. Viele der Opportunitäten, die aus Sondersituationen auf den Markt kommen, sind keine per se schlechten Objekte beziehungsweise Projektentwicklungen. Einzig die zuvor angesetzten Prämissen haben sich verändert und passen nicht mehr zu den anfangs eingeschlagenen Finanzierungsstrukturen.

An der großen Nachfrage nach modernen Wohnungen und energieeffizienten Top-Büroflächen in Premium-Lagen hat sich fundamental nichts geändert. Hier ist das Potenzial für weiterhin steigende Mieten hoch. Insbesondere bei attraktiven Wohnimmobilien werden anziehende Mieten erwartet, bei Büros geht die Schere zwischen attraktiven und weniger attraktiven Flächen weiter auf. Ob die Risikoprämie zum veränderten Zinsniveau passt, hängt nunmehr vor allem vom Einstiegspreis ab.

Klassische institutionelle Investoren aus Deutschland agieren in der Regel eher prozyklisch und finden sich bislang noch selten auf der Käuferseite. Aktuell scheinen es vielmehr Family-Offices oder angelsächsische Private-Equity-Häuser zu sein, die sich ernsthaft für die neuen Chancen am deutschen Immobilienmarkt interessieren. Offenbar überwiegt noch immer die Vorsicht. Risikoaversion ist verständlich, sollte aber nicht dazu führen, ein günstiges Einstiegszeitfenster in eine fundamental attraktive Assetklasse zu verpassen.

Echtes Immobilien Know-how ist gefordert 

Das gilt auch aus einem anderen Grund: Immobilien-Investments sind keine Assetklasse wie jede andere. Es handelt sich eben nicht um Instrumente, die mehr oder weniger passiv vom Auf und Ab der Kapitalmärkte abhängig sind. Immobilien erlauben aktive Maßnahmen zur strategischen Wertsteigerung, von Neuvermietungen über energetische Sanierungen bis hin zu Umnutzungen und strategischen Repositionierungen Es kommt somit nicht allein auf die Ist-Rendite des Cashflows an, sondern auf die Ausnutzung des gesamten Wertschöpfungspotenzials. Aus dieser eher langfristigen und strategischen Perspektive spielt es dann auch nur noch eine untergeordnete Rolle, ob sich die Zinsen um ein paar Basispunkte bewegen oder nicht.

Das setzt allerdings Kompetenz und tiefes Verständnis für die Assetklasse Immobilien voraus. Als passiver Investor die Hände in den Schoß zu legen und zinsbedingt Wertsteigerungen abzuwarten, wird nicht mehr funktionieren. Gleichzeitig ist unter den durch Sondersituationen auf den Markt kommenden Objekten und Projektentwicklungen mit Sicherheit auch nicht alles Gold, was glänzt. Entscheidend ist, das Potenzial hinter solchen Gelegenheiten zu erkennen, danach zu entscheiden und das Potenzial letztlich auch in die Realität umzusetzen. Das „Jahr der Sondersituationen“ ist ein Jahr der Gelegenheiten, aber auch ein Jahr für die echten Immobilienexperten.

Autor: Ulrich Haeselbarth, Vorstand, HanseMerkur Grundvermögen AG

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