„FOMO“-Effekt wird uns noch lange umtreiben

FOMO: Hinter diesem gewöhnungsbedürftigen Akronym verbirgt sich in der Sprache Shakespeares der Ausdruck „Fear of Missing Out“. Das heißt die Angst, etwas zu verpassen. Benutzt wurde der Begriff zu Beginn der Coronakrise, um den Ansturm auf Mehl oder Toilettenpapier in den Supermärkten zu begründen, und jüngst, um die zwanghaften Vorbestellungen von noch im Entwicklungsstadium befindlichen Impfstoffen durch Staaten zu erklären. Finanzprofis ist der Ausdruck bereits seit langem vertraut – und nach der Rede von Jerome Powell vom 27. August 2020 wird er sich wohl noch etwas tiefer im Börsenjargon verankern.
2. September 2020
Olivier de Berranger - Foto: © LFDE

FOMO: Hinter diesem gewöhnungsbedürftigen Akronym verbirgt sich in der Sprache Shakespeares der Ausdruck „Fear of Missing Out“. Das heißt die Angst, etwas zu verpassen. Benutzt wurde der Begriff zu Beginn der Coronakrise, um den Ansturm auf Mehl oder Toilettenpapier in den Supermärkten zu begründen, und jüngst, um die zwanghaften Vorbestellungen von noch im Entwicklungsstadium befindlichen Impfstoffen durch Staaten zu erklären. Finanzprofis ist der Ausdruck bereits seit langem vertraut – und nach der Rede von Jerome Powell vom 27. August 2020 wird er sich wohl noch etwas tiefer im Börsenjargon verankern.

 

Strategiewechsel: Was bedeutet das flexiblere Inflationsziel der Fed?

Als derzeitiger Fed-Vorsitzender sorgte Powell bei seinem Auftritt auf dem Symposium von Jackson Hole, dem Hochamt der Notenbanker, für eine Revolution. Er pulverisierte das Dogma des Inflationsziels von 2 %, das mittlerweile das Herzstück der Gebote aller wichtigen Zentralbanken ist. Die US-Notenbank verkündete, dass sie nun nicht mehr eine Inflation von 2 %, sondern ein Inflationsniveau von durchschnittlich 2 % im Zeitverlauf anstrebe. Sie kann die Preise demnach bei Bedarf für „eine gewisse Zeit“ nach oben laufen lassen, um Phasen mit einer Inflation unterhalb des Zielwerts auszugleichen.

Dies scheint zunächst kein großer Unterschied zu sein. Wenn man jedoch bedenkt, dass die als Maßstab dienende US-Kerninflation in den letzten zehn Jahren in kaum 10 % der Zeit über ihrem Zielwert lag (genau genommen nur 13 Monate), kann man hier durchaus von einer bedeutenden Änderung sprechen.

Leitzinsen werden dauerhaft niedrig bleiben

Die Fed verfolgt bereits seit einiger Zeit einen extremen Lockerungskurs mit Leitzinsen nahe 0 % und massiven Anleihenkäufen. Natürlich lässt sich dies im Wesentlichen durch den Konjunkturschock erklären, mit dem die US-Wirtschaft konfrontiert ist. Aber diese Positionierung ist alles andere als vorübergehend. Die Fed wird ihre lockere Haltung für lange Zeit beibehalten, auch wenn das wirtschaftliche Umfeld wieder auf normalen Wachstumskurs und ein besseres Beschäftigungsniveau zurückkehrt und sich die Teuerungsrate der Marke von 2 % nähert.

Da weltweit bereits 21 % der Anleihen negative Renditen aufweisen und die Geldpolitik dauerhaft locker sein wird, dürfte die Attraktivität von Anleihen als Assetklasse für lange Zeit gering bleiben. In einer Welt negativer Zinssätze bleibt das zinslose Risiko die Norm.

Wie Notenbanken den “FOMO”-Effekt befeuern

Durch diesen Beschluss treibt die Fed die Anleger in riskantere und potenziell ertragreichere Anlagen. Hier sind Aktien ein ernstzunehmender Kandidat. Der „FOMO“-Effekt ist überdies ein wichtiger Grund für die vergangene positive Wertentwicklung von Aktien, die sie trotz ihrer im historischen Vergleich teuren Bewertungen erzielen konnten. Zunächst einmal, weil die Austrocknung der Anleihenrenditen die Anleger bereits in diese Assetklasse getrieben hat. Aber auch, weil die Angst, etwas zu verpassen, noch unmittelbarer durch die Notenbanken ausgelöst werden könnte, falls sie Aktien direkt kaufen würden, wie dies bereits bei Anleihen im Rahmen quantitativer Lockerungsprogrammen geschah. Wenn man überlegt, dass die US-Notenbank mit mehreren Jahren Verzögerung den Weg der japanischen Zentralbank geht, sind wir nicht mehr so weit von einer direkten Intervention am Aktienmarkt entfernt. Die Bank of Japan ist seit diesem Jahr übrigens der größte Aktionär am japanischen Aktienmarkt und überflügelt sogar den GPIF, den mächtigen japanischen Pensionsfonds. Die Angst, etwas zu verpassen, wird uns noch lange umtreiben. (ah)

Gastautor: Olivier de Berranger — Foto: © LFDE

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