EZB hält sich Hintertür für aggressivere Zinserhöhungen offen

Da die EZB der Inflationsdynamik eine höhere Beachtung schenkt als dem Wirtschaftswachstum, wird sie unserer Meinung nach den Prozess der geldpolitischen Normalisierung fortsetzen – ein Prozess, der bereits im vergangenen Dezember eingeleitet wurde. Der EZB-Rat wird wahrscheinlich beschließen, die Nettokäufe von Vermögenswerten im Rahmen seines regulären Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) in diesem Monat zu beenden. Gleichzeitig wird sie den Markt auf Zinserhöhungen im Juli und im September vorzubereiten – die ersten Zinserhöhungen in der Eurozone seit elf Jahren.
8. Juni 2022
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Da die EZB der Inflationsdynamik eine höhere Beachtung schenkt als dem Wirtschaftswachstum, wird sie unserer Meinung nach den Prozess der geldpolitischen Normalisierung fortsetzen – ein Prozess, der bereits im vergangenen Dezember eingeleitet wurde. Der EZB-Rat wird wahrscheinlich beschließen, die Nettokäufe von Vermögenswerten im Rahmen seines regulären Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) in diesem Monat zu beenden. Gleichzeitig wird sie den Markt auf Zinserhöhungen im Juli und im September vorzubereiten – die ersten Zinserhöhungen in der Eurozone seit elf Jahren.

Es sind keine großen Vorgaben hinsichtlich des Zielniveaus zu erwarten. Die EZB wird wahrscheinlich betonen, dass ein sukzessives Vorgehen unter bestimmten Bedingungen nicht angemessen wäre.

Der Markt rechnet mit Zinserhöhungen von rund 120 Basispunkten bis zum Ende dieses Jahres, das heißt im Wesentlichen mit 25 Basispunkten bei jeder Sitzung im zweiten Halbjahr. Jedoch besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB angesichts der großen Unsicherheit in Bezug auf die Inflation stärkere Zinserhöhungen vornimmt.

Der Schwerpunkt der Pressekonferenz wird wahrscheinlich auf dem Tempo und dem Gesamtumfang der bevorstehenden Normalisierung der Zinspolitik liegen. Es besteht nach wie vor große Unsicherheit darüber, wo der neutrale Leitzins für den Euroraum liegen könnte. Alles, was nominal deutlich über einem Prozent liegt, scheint im Vergleich zu anderen Industrieländern beispielsweise dem Vereinigten Königreich oder den USA etwas weniger plausibel. Die derzeitigen Marktpreise für einen Zinserhöhungszyklus von 225 Basispunkten könnten darauf hindeuten, dass sich die EZB in einem eher restriktiven Bereich bewegt, mit einem Höchstzinssatz von 1,75 Prozent Anfang 2024. Ein Zinserhöhungszyklus von 225 Basispunkten entspräche im Großen und Ganzen den beiden vorangegangenen Zinserhöhungszyklen der EZB vor der globalen Finanzkrise. Wir glauben nicht, dass die EZB viele Hinweise auf das mögliche Ziel der Zinsreise geben wird. Doch es erscheint wahrscheinlich, dass der EZB-Rat deutlicher betonen wird, dass ein Wechsel in 25-Bp-Schritten nicht unter allen Bedingungen angemessen sein könnte. Dies gilt insbesondere, um die mittelfristigen Inflationserwartungen zu entkräften, wenn eine hohe Spot-Inflation droht.

Eine Mehrheit im Rat der Gouverneure befürwortet wahrscheinlich immer noch das Konzept einer allmählichen Normalisierung der Geldpolitik. Weitere Überraschungen durch erhöhte Inflationswerte könnten jedoch das Pendel in Richtung aggressiverer Ansätze bei den Leitzinsen ausschlagen lassen und Diskussionen über eine Normalisierung der Bilanz auslösen.

Auch wenn die EZB weiterhin betonen wird, dass sie die Übertragung der Geldpolitik auf die verschiedenen Länder im Zuge der Normalisierung der Politik genau überwacht, glauben wir nicht, dass die EZB in absehbarer Zeit eine Rahmenordnung oder weitere Maßnahmen zur Bewältigung potenzieller Fragmentierungsprobleme vorlegen wird. Vielmehr glauben wir, dass die EZB es wie in der Vergangenheit vorziehen wird, größeren unvorhergesehenen Schocks mit individuellen Lösungen zu begegnen. Daraus ergibt sich das Risiko, dass die Märkte die Bereitschaft der EZB testen werden, nicht-lineare Marktreaktionen, die sich aus einer Zinserhöhung ergeben könnten, zu neutralisieren. Wir gehen davon aus, dass die EZB den Zinssatz für die Einlagefazilität und den Hauptrefinanzierungssatz um denselben Betrag anheben und den Korridor für die Leitzinsen unverändert lassen wird. Eine Verengung des Korridors würde das Anreizsystem der derzeitigen langfristigen Refinanzierungsgeschäfte untergraben und die Geldmarktaktivität im Allgemeinen einschränken.

Dennoch bleibt der Satz der Einlagefazilität vor dem Hintergrund reichlich vorhandener Überschussreserven der einzige Referenzsatz für die Geldmärkte — eine Situation, die angesichts der schieren Menge an Überschussliquidität im System und des Fehlens aktiver Pläne zur Bilanzreduzierung wahrscheinlich noch jahrelang anhalten wird. Bei einer passiven Abwicklung der gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO) würde die EZB-Bilanz in den nächsten zweieinhalb Jahren um rund 25 Prozent schrumpfen, ohne dass die Überschussliquidität unter den erforderlichen Schwellenwert sinkt, um die Geldmarktsätze in der Nähe der Einlagefazilität zu halten. Wir glauben nicht, dass die EZB in absehbarer Zeit einen aggressiven Abbau der in ihrer Bilanz gehaltenen Vermögenswerte vornehmen wird.

Einschätzung von Konstantin Veit, Portfoliomanager und Leiter für Euro-Staatsanleihen bei PIMCO

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