Europäische Banken: Credit-Story bleibt trotz Covid-19 intakt

Können Anleger die Anleihen eines Emittenten positiv beurteilen, während sie seine Aktien negativ einschätzen? Die unterschiedliche Entwicklung nachrangiger Anleihen und Aktien von Banken, die Anleiheninhabern in den vergangenen fünf Jahren eine Outperformance von über 70% erbrachte, stellt eine faszinierende Fallstudie dar. Der Performanceunterschied dieser Anlageklassen spiegelt zwei unterschiedliche Aspekte wider: Die Entwicklung der Bilanzen und die Entwicklung der Gewinne.
26. Mai 2020
Romain Miginiac

Können Anleger die Anleihen eines Emittenten positiv beurteilen, während sie seine Aktien negativ einschätzen? Die unterschiedliche Entwicklung nachrangiger Anleihen und Aktien von Banken, die Anleiheninhabern in den vergangenen fünf Jahren eine Outperformance von über 70% erbrachte, stellt eine faszinierende Fallstudie dar. Der Performanceunterschied dieser Anlageklassen spiegelt zwei unterschiedliche Aspekte wider: Die Entwicklung der Bilanzen und die Entwicklung der Gewinne.

 

Einerseits profitierten die Anleiheninhaber von der Verschärfung der Regulierungsbedingungen, die zu einem Eigenkapitalaufbau und zu einer Verringerung der Bankbilanzrisiken führte. Die Fundamentaldaten der Banken waren noch nie stärker. Andererseits üben die niedrigen oder gar negativen Zinsen und der härtere Konkurrenzkampf Druck auf die Nettozinsmargen und die Erträge aus, während der Kapitalaufbau die Eigenkapitalrendite (ROE) mechanisch verringert – und damit auch die Ertragsaussichten für die Aktionäre beeinträchtigt.

 

Regierungs- und Zentralbankmaßnahmen fangen wirtschaftlichen Schock ab

Nach unserer Einschätzung verstärkt die Covid-19-Krise tendenziell die beschriebene Entwicklung. Es steht jedoch außer Frage, dass dieser beispiellose Schock für die Wirtschaft nicht spurlos an den Banken vorübergehen wird – insbesondere da die Rückstellungen für Kreditverluste in den kommenden Quartalen stark steigen dürften. Da wir nur über begrenzte Einblicke in die tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise verfügen, können wir nicht genau vorhersagen, wie die Erholung verlaufen wird. Daher konzentrieren wir uns auf die Fähigkeit der Banken, Verluste zu absorbieren, anstatt zu versuchen, potenzielle Verluste zu prognostizieren.

 

Fest steht: Zentralbanken und Regierungen haben Maßnahmen ergriffen, um die Belastung der Wirtschaft zu lindern, unter anderem durch die Bereitstellung von ausreichender Liquidität für Unternehmen und Privatpersonen. Dies sollte letztendlich die Zahl der Zahlungsausfälle bei Unternehmen und Privatpersonen verringern und damit auch den Umfang der notleidenden Kredite und Kreditverluste in den Büchern der Banken begrenzen. Dennoch wird sich die Qualität der Aktiva im Firmenkreditgeschäft der Banken zwangsläufig verschlechtern, da die staatlichen und geldpolitischen Interventionen die Auswirkungen der Krise kaum vollständig abfangen können – insbesondere in anfälligen Sektoren wie Energie, Tourismus oder Freizeit. Im Gegensatz dazu rechnen wir mit einem robusteren Kreditgeschäft mit Privatpersonen, da die staatlichen Maßnahmen die Einkommensverluste begrenzen sollten und die Lockdowns zu einem Rückgang derjenigen Konsumausgaben führen, die den Grundbedarf übersteigen.

 

Düstere Aussichte für Aktionäre

Für Aktionäre hingegen dürfte die weitere Entwicklung volatil verlaufen, da die Gewinne durch steigende Rückstellungen für Kreditverluste gemindert werden und die Aussichten für Ausschüttungen an Aktionäre ziemlich düster sind. Aktien stellen letztendlich den nachrangigsten Bereich der Kapitalstruktur von Banken dar. Daher werden Verluste zunächst auf die Aktionäre umgelegt, bevor Anleiheninhaber, Einlagen und andere Verbindlichkeiten herangezogen werden. Die Aufsichtsbehörden forderten die Banken auf, Dividendenzahlungen und Aktienrückkaufprogramme auszusetzen (oder zumindest drastisch zu reduzieren), um Kapital zu erhalten. Für Anleiheninhaber bedeutet dies effektiv, dass Gewinne vor Rückstellungen – als erste Verteidigungslinie – vollständig zur Absorbierung von Verlusten zur Verfügung stehen. Addiert man dazu das Überschusskapital der Banken, verfügen diese über außerordentlich gute Kapazitäten, um Verluste zu absorbieren. Ein Beispiel: Die durchschnittliche Kernkapitalquote (CET1) des europäischen Bankensektors von 15% per Ende 2019 entspricht einem Überschusskapital von rund 550 Milliarden EUR gegenüber einer durchschnittlichen Kapitalanforderung von circa 10%. Dazu kommen jährliche Einnahmen von über 200 Milliarden EUR vor Rückstellungen.

 

Diese Zahl ist vor allem für Inhaber nachrangiger Anleihen relevant, insbesondere für bedingte AT1-Wandelanleihen, sogenannte CoCos, deren Kupons gefährdet sind, sobald die Kapitalquoten unter die Anforderungen sinken. Da die Aufsichtsbehörden die Kapitalanforderungen für Banken lockerten, um diese vorübergehend zu entlasten und ihnen damit die Möglichkeit zu geben, ihre Kunden und die Wirtschaft durch eine höhere Kreditvergabe zu unterstützen, dürften die Überschusskapitalpositionen sehr stark bleiben. Zusammen mit den Gewinnen vor Rückstellungen konnten Anleiheninhaber vor der Covid-19-Krise auf eine Verlustabsorptionskapazität von über 750 Milliarden EUR zählen, bevor die Kuponzahlungen in Gefahr gerieten. Zum Vergleich: Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) ging bei einem im Jahr 2018 durchgeführten Stresstest von Kreditwertberichtigungen in Höhe von  358 Milliarden EUR aus – und damit von einem schlimmeren Szenario als während der globalen Finanzkrise.

 

Gewinnentwicklung bleibt unter Druck, Bilanzen grundsolide

Mittlerweile haben einige weltweit systemrelevante europäische Banken ihre Ergebnisse für das erste Quartal vorgelegt, die nützliche und repräsentative Einblicke in die Auswirkungen von Covid-19 gewähren. Aus Credit-Perspektive waren die Ergebnisse des ersten Quartals 2020 ermutigend. Sie belegen die Widerstandsfähigkeit des Bankensektors angesichts eines beispiellosen wirtschaftlichen Schocks. Obwohl die Lockdowns allmählich gelockert werden, bleibt die Unsicherheit hoch und die potenziellen Auswirkungen auf die Wirtschaft lassen sich nur schwer einschätzen. Die Rückstellungen für Kreditverluste bleiben erhöht und liegen dabei deutlich über der üblichen Quote aus dem Jahr 2019. Dennoch ist es beruhigend, dass die gesamtwirtschaftlichen Annahmen der Banken recht konservativ erscheinen oder zumindest einen schweren Schock für die Wirtschaft vorwegnehmen. Zudem erhöhte sich die Fähigkeit zur Absorption von Verlusten über die Gewinne, da die Banken unverändert rentabel arbeiten und über signifikante Reserven gegenüber den Kreditverlusten aus dem ersten Quartal 2020 verfügen, falls in den kommenden Quartalen weitere Rückstellungen erforderlich werden sollten.

Selbst wenn es zu leicht negativen Abweichungen von den aktuellen Erwartungen kommt, sollten die Gewinne ausreichen, um Rückstellungsanforderungen abzudecken, sodass die Kapitalreservenpositionen der Banken dadurch nicht beeinträchtigt werden. Für Anleiheninhaber ist es beruhigend, dass sich die Banken in einer außerordentlich starken Position befinden. Die Risiken für Anleiheninhaber haben sich nicht wesentlich verändert. Dies schließt das Kuponrisiko bei AT1-CoCos ein.

Insgesamt ist die Credit-Story für europäische Banken intakt. Die starken Positionen bei den Kapitalreserven mit Gewinnen vor Rückstellungen sind mehr als ausreichend, um die Auswirkungen von Covid-19 zu absorbieren. Obwohl die Gewinne unter Druck stehen, arbeiten die Banken unverändert rentabel. Damit ist Covid-19  zwar ein Problem für die Aktien, aber nicht für die Bilanzen. (ah)

 

Autor: Romain Miginiac, Head of Research bei Atlanticomnium, einem Partnerunternehmen von GAM Investments

Foto: Romain Miginiac / © Atlanticomnium

 

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