Durch die Relevanz der Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit haben ESG-Kriterien und Zertifizierungen einen immer größeren Einfluss auf die Entstehung und die Bewertung von Immobilien. Welche Herausforderungen, Chancen und Probleme sich daraus ergeben, weiß Stefan Klingsöhr, Geschäftsführer der Klingsöhr Projektentwicklung GmbH und erläutert seine Dinge im Gespräch mit INTELLIGENT INVESTORS.
INTELLIGENT INVESTORS: Herr Klingsöhr, wie hat sich die Immobilienbewertung vor dem Hintergrund von ESG verändert?
Stefan Klingsöhr: Da das Thema Nachhaltigkeit unmittelbar den Verkauf beeinflusst, ändert sich aufgrund von ESG die gesamte Bewertung einer Immobilie. Gibt es ein Bestandsobjekt, das wenige ESG-Kriterien erfüllt und möglicherweise eine umfassende Sanierung benötigt, dann muss das als CapEx, also Investitionsausgabe, bewertet werden. Ein Beispiel: Die Klingsöhr Projektentwicklung kauft ein Bestandsobjekt in Berlin Charlottenburg. Ein schöner gewerblicher Altbau. Aber er ist komplett vermietet und dadurch nur schwer sanierungsfähig. Somit kann man es einem institutionellen Anleger, der alle Marktkriterien erfüllen will, schon nicht mehr verkaufen. Um das Gebäude also einem Fonds beziehungsweise einem institutionellen Anleger anbieten zu können, müsste man es erst einmal komplett energetisch ertüchtigen und dann mit einer modernen Heizungsanlage und einer erneuerbaren Energiequelle wie einer Photovoltaikanlage dafür sorgen, dass es ein Niedrigenergiehaus wird. Das ist bei Bestandsgebäuden schwer umsetzbar. Kurzum: Wenn eine Immobilie nicht die ESG-Kriterien erfüllt, die den institutionellen Anlegern auferlegt werden, dann hat sie einen geringeren Wert, weil sie zunächst saniert werden müsste. Das bedeutet, die Rollen haben sich deutlich geändert und das Thema ESG muss jetzt in die Bewertung einfließen. Das wird dazu führen, dass Bestandsimmobilien in der Bewertung schlagartig nach unten sinken. Insgesamt wird so ein großer Druck ausgeübt.
II: Sind Neubauten dadurch im Vorteil?
Klingsöhr: Bei einem Neubau gibt es aufgrund des Baurechts, der Bauordnungen und der gesetzlichen Rahmenverordnungen die Verpflichtung, ESG-gerecht zu bauen. Das heißt, dass Neubauten in aller Regel die meisten dieser Herausforderungen erfüllen und somit als Investmentprodukt für institutionelle Anleger gut nutzbar sein werden. Unser Büroprojekt „SHED“ in der Berliner Sonnenallee zum Beispiel erfüllt alle diese Kriterien. Dort werden aktuell 2.000 Quadratmeter Solaranlage installiert. Wir haben dort Fernwärme und eine Gebäudehülle, die alle notwendigen Dämmwerte erreicht. Dadurch sind wir fast CO2-frei und haben einen KfW-Gebäudestandard. Das gelingt nur durch die Einhaltung aller technischen Standards. Bestandsimmobilien auf der anderen Seite können diese Kriterien meist nicht erfüllen, da sie in den Bauordnungen vor 20, 50 oder 100 Jahren noch gar nicht vorgesehen waren.
II: Wie unterscheidet sich die Berücksichtigung von ESG-Kriterien für Projektentwicklungen von denen in der Portfolio- und Bestandssteuerung?
Klingsöhr: Assetmanagement betrifft die laufende Bewirtschaftung und Projektentwicklung betrifft das Bauen von Häusern. Darin liegt der entscheidende Unterschied. In einer Projektentwicklung müssen Sie auf erneuerbare Energien achten und darauf, dass Sie Ihr Produkt von vorneherein so bauen, dass es CO2-arm oder CO2-neutral sein wird. Im Assetmanagement wird es künftig verpflichtend, dem Mieter die Verbräuche an Energie, Heizung, Strom etc. zugänglich zu machen. Zugleich muss der Assetmanager diese auch gut steuern und überwachen können. Außerdem muss er Sanierungsmaßnahmen einplanen, wenn etwas nicht funktioniert, entsprechend also auch eine gewisse Ahnung vom Bauen mitbringen.
II: Die Schaffung von Transparenz gilt auch im ESG-Zusammenhang als hehres Ziel. Wie wichtig und zuverlässig ist die Ermittlung von Verbrauchsdaten?
Klingsöhr: Die Ermittlung von Verbrauchsdaten auch nach Mieteinheiten sicherzustellen, ist für den Assetmanager eine Herausforderung, da es dabei technische und rechtliche Probleme gibt. Es gibt beispielsweise die Forderung, der Wohnungsmieter müsse ständig Zugriff auf seinen Verbrauch an Wärme, Energie, Heizung und Strom, aber auch Warm- und Kaltwasser haben. Die Kombination aus Erfassung, Verarbeitung und Analyse dieser Daten ist durchaus anspruchsvoll. Deshalb ist das Thema Monitoring von Verbrauchsdaten durch den einzelnen Mieter noch nicht richtig marktreif. Ich bin aber überzeugt, dass das in Zukunft kommen wird.
II: Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist der „Carbon Footprint“ ein wichtiges Handlungsfeld. Wie schätzen Sie das ein?
Klingsöhr: Beim „Carbon Footprint“, der ja die Summe des Kohlenstoffverbrauchs eines Gebäudes wiedergeben soll, stellt sich immer die Frage, ob die Daten sich auf den Energieverbrauch der Immobilie oder ihren gesamten Lebenszyklus beziehen. Das Gebäude selbst hat in der Regel einen überschaubaren Verbrauch, während ein Großteil an Emissionen in der Bauphase, beispielsweise bei der Herstellung und Verarbeitung von Beton, Stahl, Aluminium oder Glas, erzeugt wird. Dabei wird enorm viel Energie verbraucht und CO2 freigesetzt. Auch deshalb wird die Holzbauweise aktuell immer beliebter. Beim Energieverbrauch muss, wie es auch LEED oder die DGNB macht, ebenso die Lage (ÖPNV) berücksichtigt werden. Denn das beeinflusst auch den Energieverbrauch durch den Nutzer. Ein Büro draußen auf der grünen Wiese, zu dem alle mit dem Auto anreisen müssen, ist demnach keine gute Idee.
II: Haben Sie denn das Gefühl, dass das zurzeit richtig und fair bewertet wird?
Klingsöhr: Nein. Denn bei der Frage, ob wirklich alles berücksichtigt wird, was zum Lebenszyklus eines Gebäudes gehört, wird zurzeit nicht vernünftig abgegrenzt und nicht richtig erfasst.
Nehmen Sie allein einen Kubikmeter Beton. Da müsste gefragt werden: Was ist das für ein Beton, wo kommt er her, wie lange wurde er transportiert, welcher CO2-Ausstoß fällt beim Transport an. Und da wird es schwierig. Sie können zwar mit Benchmarks arbeiten, müssen dann aber im Bauablauf alles entsprechend dokumentieren. Bei der DGNB müssen zum Beispiel alle Baumaterialien angegeben werden, die verbaut werden. Deshalb ist die Zertifizierung auch so ein wichtiger Teil der ESG-Kriterien. (ah)