ESG darf keine Verlierer kennen

Kaum ein Thema bestimmt die Fondsindustrie derzeit mehr als ESG. Die Meldungen überhäufen sich. INTELLIGENT INVESTORS bat Oliver Pfeil, Chief Investment Officer und Sprecher der Geschäftsführung der EB-SIM, um eine (kritische) Einordnung dieses Trends. "Fondsmanager, Ratingagenturen und Unternehmen müssen Nachhaltigkeitsziele ausgewogen verfolgen – sonst droht der Verlust der Glaubwürdigkeit einer ganzen Anlageklasse", lautet sein Credo.
12. Juli 2021
Oliver Pfeil, Chief Investment Officer und Sprecher der Geschäftsführung der EB-SIM - Foto: © EB-SIM

Kaum ein Thema bestimmt die Fondsindustrie derzeit mehr als ESG. Die Meldungen überhäufen sich. INTELLIGENT INVESTORS bat Oliver Pfeil, Chief Investment Officer und Sprecher der Geschäftsführung der EB-SIM, um eine (kritische) Einordnung dieses Trends. “Fondsmanager, Ratingagenturen und Unternehmen müssen Nachhaltigkeitsziele ausgewogen verfolgen – sonst droht der Verlust der Glaubwürdigkeit einer ganzen Anlageklasse”, lautet sein Credo.

Jonglieren ist eine Kunst – und kein Ball darf zu Boden fallen. Auch Fonds-Manager müssen in der Regel mehrere Ziele gleichzeitig im Auge behalten. Inzwischen geht es dabei nicht mehr nur um die Balance zwischen Rendite und Risiko. Moderne ESG-Anlagekonzepte beziehen zusätzliche Kriterien wie Umwelt (E für Environment) Soziales (S) und Unternehmensführung (G für Governance) in ihre Strategie mit ein. Und innerhalb von ESG-Anlagestrategien wollen so genannte Impact-Investments nicht-nachhaltige Anlagen nicht bloß passiv ausschließen. Vielmehr sollen Nachhaltigkeitsziele damit aktiv gefördert werden – zum Beispiel die Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen. Wählen Fondsmanager solche aktiv aus, sind Unternehmen eher veranlasst, ihr Geschäftsmodell so auszurichten, dass sie ein attraktiver Kandidat für Impact-Investing werden. Das beschleunigt den ausgewogenen Wandel hin zu nachhaltiger Wirtschaft und Gesellschaft.

Eine derzeit noch nicht veröffentlichte Studie unter anderem der Universität Gießen, in Zusammenarbeit mit der EB-SIM entstanden, lässt nun vermuten, dass Fonds und Unternehmen einen Ball in den letzten Jahren mehr und mehr zur Seite gelegt haben: das Soziale. Im Gegensatz zu den beiden Komponenten E und G ist unter dem Strich beim S nicht im gleichen Maße eine Verbesserung der Nachhaltigkeitsbewertung von Unternehmen eingetreten, sagt das Studienergebnis.

Der Gesellschaftliche Fokus lässt das S tendenziell links liegen

Warum fällt also ausgerechnet das Soziale zurück? Und welche Schlüsse sollten Fondsmanager daraus ziehen? Meine These ist: Der Zeitgeist bestimmt den öffentlichen Diskurs – und der hat die Dimension Soziales in letzter Zeit weniger stark beachtet. Das hat wiederum die Aktualisierung des Regulierungs- und Gesetzesrahmens beeinflusst, der sich scheinbar vorwiegend den Gesichtspunkten Umwelt und Unternehmensführung gewidmet hat.

Um die Jahrtausendwende waren es spektakuläre Pleiten und Korruptionsskandale, die den Blick auf die Führung von Unternehmen veränderten. Die Folge waren verschärfte Corporate-Governance-Richtlinien und Berichtspflichten. In den letzten Jahren rückte nicht erst durch die Fridays-For-Future-Bewegung das Thema Umwelt verstärkt in den Fokus. Als Folge überbieten sich selbst Automobilhersteller inzwischen mit Ankündigungen, wer früher von Verbrenner- auf Elektrofahrzeuge umstellt. Und kaum ein Parteiprogramm kommt mehr ohne Bekenntnisse zu mehr Umwelt- und Klimaschutz aus. Bei Governance (G) und Umwelt (E) kam es also zu Nachholeffekten was Regulierung und Gesetzgebung betrifft. Beim Sozialen (S) ist hingegen zumindest in den Industrienationen ein hoher Regulierungsstandard über viele Jahrzehnte gewachsen. Das mag der Grund dafür sein, dass hier das Tempo bei Gesetzgebung und Regulierung langsamer war – und der gesellschaftliche Fokus entsprechend schwächer.

Beflügeln die Ratingagenturen den Abstieg der S‑Komponente?

Auch stellt sich die Frage, ob mit der Einführung von ESG-Bewertungen von Fonds durch unabhängige Ratingagenturen nicht sogar ein paradoxer Verstärkungseffekt hinzukam. Solche Ratings sollen Anlegern einen schnellen, einfachen und vergleichenden Überblick über die Nachhaltigkeitsqualität von Fonds und Unternehmen geben. Da viele externe Nachhaltigkeits-Bewertungen ebenfalls stärker auf ökologische und unternehmensethische Themen achten, sind auch hier soziale Aspekte nicht stärker in den Fokus gerückt. So zeigt auch die Studie, dass die Scores für Umwelt und Governance in den Produkten der Fondsanbieter seit der Einführung der ESG-Bewertungen anscheinend nochmals stärker gestiegen sind. Gerade Unternehmen, die zur Spitzengruppe in den Bereichen Umwelt und Governance gehören, zeigen einen Trend, den sozialen Bereich zu vernachlässigen. Scheinbar erwarten sie sich größere Vorteile, wenn sie auf das Thema Umwelt setzen.

Es mag also vielerlei Gründe für die in der Studie aufgezeigte Entwicklung geben. Fest steht jedoch: man kann diesen Trend nicht einfach so hinnehmen. Denn Käufer von ESG-Anlagen, die das Wort Impact im Label führen, erwarten, dass alle drei Dimensionen gleichmäßig gefördert werden. Die Anlageangebote dürfen schließlich nicht lediglich eine Momentaufnahme aktueller gesellschaftlicher Diskussionen sein. Fondsmanager und Ratingagenturen sind damit dazu aufgerufen, ihren Einfluss geltend zu machen, um das S in ESG wieder zu stärken. Jeder Aktionär weiß, dass er mit einer Aktie auch ein Stimmrecht erwirbt. Gerade institutionelle Anleger dürfen diese Einflussmöglichkeit nicht links liegen lassen. Sie haben einen mächtigen Hebel, um in Unternehmensgesprächen und auf Hauptversammlungen dem S wieder mehr Gewicht zu geben.

Fondsmanager sollten die Akzente der öffentlichen Diskussion mitgestalten

Jenseits dieser Einflussmöglichkeiten kann auch mehr öffentliche Kommunikation dem vernachlässigten S wieder mehr Geltung verschaffen. Wenn der öffentliche Diskurs bei der Gewichtung der drei ESG-Dimensionen eine so entscheidende Rolle spielt, sollte sich die Auseinandersetzung mit den Unternehmen nicht im stillen Kämmerlein vollziehen. Gerade Anbieter Impact-orientierter, liquider Anlagen sollten sich bewusst sein, dass es mit der Zusammenstellung eines geeigneten Anlageuniversums nicht getan ist. Wer heute Wirkung für ein besseres Morgen entfalten will, muss nachhaltig, aktiv und breit kommunizieren.

Deshalb dürfen Fondsanbieter sich nicht scheuen, den Finger in die Wunde zu legen, damit der Druck auf das Reformtempo in allen drei Kategorien gleichmäßig wächst und Nachhaltigkeitsziele nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Anbieter von Impact-Investments müssen schließlich ein großes Versprechen einlösen. Sie bieten Investoren die Möglichkeit, für eine bessere Welt zu sorgen. Angesichts der schwindenden Bedeutung nachhaltiger Sozialaspekte im ESG-Markt, gilt es also den Verlust der Glaubwürdigkeit solcher Anlageformen abzuwenden. Erhalten werden kann sie nur, wenn wir stets alle drei Bälle gleichberechtigt in der Luft halten.

Oliver Pfeil, Chief Investment Officer und Sprecher der Geschäftsführung der EB-SIM — Foto: © EB-SIM

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