Eine Neubewertung von gewerblichen Immobilien ist unabdingbar

COVID-19, Krieg in Europa, Inflation, steigende Zinsen, knappe und teure Energie, Klimawandel: Historisch betrachtet gab es in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg keine ähnliche Konstellation an multiplen Faktoren, die gleichzeitig auf den Immobilienmarkt einwirken und die eine Neubewertung der Assetklasse gewerblicher Immobilien unabdingbar machen. Der folgende Beitrag betrachtet die exogenen Faktoren, die für eine Bewertung von Immobilen maßgeblich sind.
9. Januar 2023
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COVID-19, Krieg in Europa, Inflation, steigende Zinsen, knappe und teure Energie, Klimawandel: Historisch betrachtet gab es in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg keine ähnliche Konstellation an multiplen Faktoren, die gleichzeitig auf den Immobilienmarkt einwirken und die eine Neubewertung der Assetklasse gewerblicher Immobilien unabdingbar machen. Der folgende Beitrag betrachtet die exogenen Faktoren, die für eine Bewertung von Immobilen maßgeblich sind.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – bekannt als die Wirtschaftsweisen – haben vor einigen Tagen ihren Jahresbericht vorgelegt. Die wichtigsten Ergebnisse: Für dieses Jahr erwarten die Wirtschaftsweisen ein Wachstum von 1,7 %, in 2023 einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 0,2 %. Die Verbraucherpreisinflation liegt über das Gesamtjahr 2022 betrachtet bei 8,0 %. Für das kommende Jahr rechnen die Sachverständigen mit 7,4 % – im Jahresdurchschnitt wohlgemerkt. Gleichzeitig warnen sie bei Gasmangel vor einer tiefen Rezession. Deutschland befindet sich im Krisenmodus – die Verunsicherung ist groß, ein Abwärtstrend auf den Immobilienmarkt deutlich erkennbar.

Nie dagewesener rapider Zinsanstieg

Ausgelöst durch die stark steigende Inflation und den Druck auf die Zentralbanken, die Leitzinsen zu erhöhen, hat sich das weltweite Zinsniveau in den letzten neun Monaten signifikant erhöht. Lagen am Ende des Jahres 2021 die Zinsen für Immobilienkredite noch unter 1 %, befinden sie sich mittlerweile auf einem Level von rund 4 %. Zusätzlich haben die meisten Banken ihre Kreditvergaberichtlinien verschärft, was sich in höheren Qualitätsanforderungen an die Beleihungsobjekte, höheren Anforderungen an die Bonität der Mieter, an Lage, Bauqualität und ESG-Kriterien widerspiegelt. Da der überwiegende Teil der Immobilientransaktionen über eine Fremdkapitalaufnahme geleveraged wird, führen die Veränderungen auf der Fremdkapitalseite zwangsläufig zu verringerten Kaufpreisen bei gleicher Eigenkapitalrendite.

Noch klafft oft ein Bid-Ask-Gap

Die rasche Zinsentwicklung hat viele Käufer und Verkäufer überrascht und wird zwangsläufig zu einer neuen Preisbildung führen. Comparables aus den Vorjahren haben ihre Gültigkeit verloren. Viele Käufer und Verkäufer befinden sich noch in einer Art Schockstarre. Der zurzeit noch vorhandene Bid-Ask-Gap muss sich erst wieder schließen. Die Transaktionen, die stattfinden, weisen Abschläge von bis zu 30 % auf den ursprünglichen Angebotspreis aus Anfang 2022 auf. Doch allmählich nähern sich Käufer und Verkäufer Schritt für Schritt immer näher an, es bilden sich neue Preiskorridore für jede Assetklasse.

Erste Projektentwickler gehen in die Knie

Besonders hart hat es Projektentwickler und Bauträger erwischt, die durch die Verknappung von Bauvorprodukten und Baumaterial mit Kostenexplosionen von bis zu 30 % kalkulieren müssen. Gleichzeitig hat das Wirtschaftsministerium von heute auf morgen Förderungen gekappt, die einst einen Großteil der Entwicklermarge abdeckten. Verzögerungen durch zusätzlich knappe Ressourcen an Handwerkern und fehlenden Baumaterial führen oft zu Regressforderungen bei nicht rechtzeitiger Fertigstellung oder zu höheren Finanzierungskosten. So gehen erste Entwickler in die Knie. Andere Projektentwickler bauen ihre in 2021 angefangenen Projekte noch zu Ende, sind aber sehr zurückhaltend bei neuen Projektentwicklungen. Aktuell ist zumindest von einer Stabilisierung der Baupreise auszugehen, da durch die Stornierungen oder Verschiebung von Bauvorhaben im Milliardenbereich wieder Ressourcen zur Verfügung stehen.

Zahlreiche Grundstücke mit und ohne Baugenehmigung, aber auch Projekte (teilweise schon mit Bautätigkeit) stehen bereits zum Verkauf, da durch die neuen Rahmenbedingungen ein hoher finanzieller Druck auf den Entwicklern lastet. Dazu gehören insbesondere Projekte, die zu spät, überteuert und mit hohem Fremdkapital und/oder Mezzanine finanziert sind. 6,6 % der Hochbaufirmen melden bereits Finanzierungsschwierigkeiten, sagt das ifo Institut. Wer also zu spät im Zyklus und zu teuer gekauft hat, hat es schwer. Der Abschwung im Immobilienzyklus wird zu einem Anstieg der Restrukturierung, Kreditausfällen und Insolvenzen führen – die große Welle kommt erst noch. Und dennoch ist dieser Abschwung nicht vergleichbar mit der Finanzkrise in den Jahren 2007/2008, da es einen deutlich geringeren Überhang an Immobilien gibt, der Leverage basierend auf konservativen Kreditstandards niedriger und genügend Liquidität im Markt vorhanden ist. Doch die Preise werden sinken, damit Projektentwicklungen wieder „funktionieren“ können.

Rezession in Sicht

Die hohe Inflation, die extremen Energiekosten und geopolitische Risiken (Krieg in Europa, China und Taiwan, Nordkorea, Iran) führen zu einer starken Verunsicherung bei den Verbrauchern, aber auch bei den Großkonzernen und dem deutschen Mittelstand. Die Verbraucher reagieren auf die Verunsicherung mit Konsumzurückhaltung bzw. Konsumverzicht. Große Teile der deutschen Wirtschaft haben folglich nicht nur Probleme auf der Einkaufsseite, sondern leiden auch unter der Kaufzurückhaltung ihrer Kunden. Internationale Unternehmen werden versuchen, ihre Produktion in Länder zu verlagern, in denen die Energieabhängigkeit von Russland weniger intensiv ist, sich die Energiekosten auf einem niedrigeren Niveau befinden oder zumindest schneller normalisieren. All diese Faktoren bringen das deutsche Wirtschaftswachstum zum Erliegen und führen spätestens im kommenden Jahr zu einer Rezession.

Vermietermarkt vor zusätzlichen Herausforderungen

Für die gewerblichen Immobilienmärkte wird das Jahr 2023 insbesondere auf der Vermieterseite zur Herausforderung. Eine durch die Corona-Pandemie ausgelöste strukturelle Veränderung in der Nutzung von Homeoffice und die aktuellen multiplen Risiken bringen einen Rückgang bei Flächenerweiterungen, Neuanmietungen und Prolongationen mit sich. Die Konsequenz: stagnierende oder in B- und C‑Lagen sinkende Gewerbe- mieten in den kommenden Jahren in fast allen gewerblichen Assetklassen. Besonders hart wird es Bestandsbauten mit schlechter energetischer Substanz (nicht ESG-konform) treffen oder Büroimmobilien, die den modernen Büroanforderungen wie ausreichende Deckenhöhe für offene Bürolandschaften, Kühlung oder optimale digitale Vernetzung nicht mehr genügen. In Retail-Bereich wird es zu weiteren Schließungen und Flächenaufgaben kommen, da nach der Corona-Pandemie die Reserven von vielen Einzelhändlern aufgebraucht sind. Hinzu kommt, dass bei mangelnder oder schlechter energetischer Dämmung oder veralteten Heizkonzepten die Höhe der Neben- kosten zu einem immer wichtigeren Entscheidungskriterium für oder gegen eine Anmietung ist. Das Ergebnis: Stranded Assets. Stranded Assets sind die Ladenhüter, die sich entweder gar nicht oder nur unter starken Preisabschlägen verkaufen lassen, weil sie nur bei wirtschaftlich sinnvollen Investitionen wieder in den Vermietungsmarkt zurückgeholt werden können.

Autor: Thorsten Brogt
Member of the Board & Director Investment,
Engel & Völkers Investment Consulting

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