Die Finanzmärkte reagierten rasch auf die Ergebnisse der US-Wahlen, und die US-Aktienindizes erklommen neue Höchststände. Besonders relevant für Investoren sind nun die vier Politikbereiche, in denen Präsident Donald Trump bedeutende Änderungen plant: Zölle, Steuern, Einwanderung und Deregulierung. Für das kommende Jahr versprechen sie für die USA ein stärkeres Wachstum der Wirtschaft und eine höhere Inflation. Für den Rest der Welt verheißen sie jedoch ein schwächeres Wachstum, ohne dass dabei die Inflation nachlässt.
Geschickte Umsetzung der Maßnahmen ausschlaggebend
Für unsere Szenarien sind zwei wesentliche Marktfaktoren ausschlaggebend: Wachstum und Inflation. Die US-Wirtschaft dürfte sich gut entwickeln, da das Wachstum robust und die Politik reflationär ist, während es auch kein erkennbares Ungleichgewicht gibt. Steuersenkungen und Deregulierung dürften dem Wachstum der US-Volkswirtschaft zugutekommen. Europa wird dagegen wahrscheinlich unter der handelspolitischen Unsicherheit leiden – auch wenn noch unklar ist, wie weitreichend die protektionistischen Maßnahmen Trumps sein werden. In China könnten erhebliche fiskalische Anreize erforderlich sein, um den Deflationsdruck zu überwinden.
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die US-Regierung einige der geplanten handels- und einwanderungspolitischen Maßnahmen geschickt umsetzt. In diesem Fall würde die Inflation zwar steigen, aber Steuersenkungen würden die Einkommen der privaten Haushalte stützen und damit die Wirtschaftstätigkeit ankurbeln. Ein solches Szenario ist vor allem deshalb denkbar, weil die Konjunkturberichte für die USA, China und die Eurozone in den vergangenen Wochen bereits ein höheres Wachstum vermeldet haben.
Auch wenn es weitaus weniger wahrscheinlich ist, sollten Anleger dennoch auch das weniger positive Szenario im Blick behalten: Strenge Einwanderungsbeschränkungen und massive Zollerhöhungen könnten die Inflation anheizen, während ein angespannter Arbeitsmarkt die Federal Reserve (Fed) zwingt, den Leitzins bereits im kommenden Jahr anzuheben. Das Verhältnis zwischen Wachstum und Inflation würde sich dann deutlich verschlechtern.
America First – doch wer kommt an zweiter Stelle?
Die Wahlen verschafften Donald Trump und den Republikanern die Kontrolle über das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses. Angesichts dessen sollten Anleger ihre Positionierung bei Aktien und Anleihen entsprechend dem potenziellen Parteiprogramm anpassen und gleichzeitig Änderungen bei der Handelspolitik und Inflation genau beobachten:
- Wir haben US-Aktien übergewichtet, vor allem in zyklischen Sektoren. US-Nebenwerte sowie Industrieaktien und Finanztitel sind attraktiv, da sie das stärkere Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die binnenorientierten Konjunkturmaßnahmen am besten für sich nutzen können. Diese Sektoren werden besonders von den Steuersenkungen für Unternehmen und den Deregulierungsmaßnahmen profitieren. Banken machen dabei 20 Prozent des Index für Nebenwerte aus. Vor diesem Hintergrund erscheint ein erwartetes Gewinnwachstum von 15 Prozent bis 2025 für den S&P500 Index durchaus realistisch.
- Aktien aus der Eurozone haben wir herabgestuft: Die angekündigte Politik der kommenden US-Regierung scheint dieses Segment am stärksten zu gefährden. Das gilt auch für britische Aktien, die deshalb als neutral zu bewerten sind.
- Obwohl in den Schwellenländern die Risiken durch negative Währungseffekte und Handelsspannungen aufgrund des US-Wahlausgangs zunehmen, halten wir an unserem Engagement fest – vorbehaltlich einer gewissen Flexibilität. Wir haben unsere Positionen in China über eine Option beibehalten und warten auf mehr Klarheit: Hier hängt vieles von der Reaktion Pekings auf die neuen Zölle und den entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen ab.
Deutschland: Kommt endlich eine Reform der Schuldenbremse?
Während in den USA die Wahlergebnisse verkündet wurden, brach in Deutschland die Regierung zusammen: Nach drei schwierigen Jahren kam es schließlich doch zum Bruch der Ampelkoalition. Das letzte Mal, als das Wachstum in Deutschland zwei Jahre in Folge nachgab, war vor mehr als zwei Jahrzehnten. Die Neuwahlen finden voraussichtlich am 23. Februar 2025 statt. Die politische Unsicherheit in Europa ist hoch, mehr noch als in den USA, steigt weiter an und wird bis dahin auch kaum abnehmen.
Die Neuwahlen machen fiskalische Impulse jedoch wahrscheinlicher. Da die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert ist, wäre für eine Reform eine Zweidrittelmehrheit nötig; und da diese im neuen Bundestag wahrscheinlich nicht erreicht wird, ist die aktuelle Oppositionspartei CDU zunehmend offen dafür, eine Reform noch vor der Wahl zu diskutieren. Der nächsten Regierung – aktuellen Umfragen zufolge möglicherweise von der CDU geführt – würde das auf jeden Fall einen gewissen finanzpolitischen Spielraum gestatten. Selbst die Bundesbank konstatierte die Pattsituation, die durch die Schuldenbremse entsteht, und gab grünes Licht für ihre Reform: „Eine kritische Bewertung der Prioritäten der Wirtschaftspolitik ist nahezu mit Sicherheit unvermeidlich, und diese Beurteilung wird weiter auf dem Programm stehen, auch wenn die Schuldenbremse reformiert werden sollte. Die Bundesbank würde eine Reform zulassen, wenn dies eine weiterhin gesunde finanzielle Lage der Regierung garantieren würde.“ Betrachtet man die Situation in Deutschland, erscheint die Einführung einer sogenannten „goldenen Regel“ wahrscheinlich. Der Staat würde dann über den Konjunkturzyklus hinweg nur für Investitionen Kredite aufnehmen dürfen – und nicht zur Finanzierung laufender Ausgaben.
Ähnlich wie der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen hätten die Vorschläge des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi ein Weckruf sein müssen. Um die Wettbewerbsfähigkeit Europas auch in Zukunft zu sichern, ist eine grundlegende Reform der europäischen Wirtschaftsstruktur laut Draghi unabdingbar. Die europäischen Länder sind sich dabei jedoch alles andere als einig. Es ist daher unwahrscheinlich, dass dieser ehrgeizige Plan bald umgesetzt wird. Kurzfristig erschweren politische Differenzen zwischen den Mitgliedsstaaten und der Widerstand gegen Fiskalreformen die Implementierung. Zusätzlich stehen nationale Interessen im Vordergrund. Mittelfristig sind Veränderungen allerdings möglich. Die bevorstehenden Wahlen in Deutschland könnten größere finanzpolitische Flexibilität ermöglichen und damit ein günstigeres Umfeld für tiefgreifende Wirtschaftsreformen und eine besser koordinierte europäische Integration schaffen.
Neugewichtung nach den Wahlen: zyklische Werte
All diese Entwicklungen haben Auswirkungen auf verschiedene Sektoren. Wir haben unser Engagement in US-Finanzwerten erhöht, denn diese profitieren von einer lockereren Regulierung, weniger strengen Regeln für Fusionen und Übernahmen, höheren langfristigen Zinssätzen und einer potenziell aktionärsfreundlicheren Politik, beispielsweise bei Dividenden und Kapitalrenditen. Die Bewertungen sind nach wie vor angemessen, und die Finanzwerte werden durch solide Erträge gestützt. Industriewerte sind ebenfalls attraktiv, da sie vom anhaltenden Trend zum Reshoring sowie möglichen Steuersenkungen nach der Wahl Trumps profitieren dürften. Darüber hinaus dürfte ihnen die potenziell stärkere Konjunktur zugutekommen. Daher haben wir auch eine leichte Präferenz für Investitionsgüter.
Vorsicht ist dagegen bei den defensiven Sektoren geboten. Die Gesundheitsbranche haben wir aufgrund unserer Fokussierung auf zyklische Titel und der höheren langfristigen Zinsen auf neutral herabgestuft – auch wenn die langfristigen Prognosen gut sind. Bei US-Basiskonsumgütern stellen steigende Preise ein Risiko dar: Die Bezahlbarkeit vieler Konsumgüter könnte durch die Zölle beeinträchtigt werden. Darüber hinaus könnten potenzielle Vergeltungsmaßnahmen die Unternehmen aus diesem Bereich erheblich in Mitleidenschaft ziehen, denn diese erwirtschaften im Durchschnitt 40 Prozent ihres Umsatzes außerhalb der USA. Zu guter Letzt ist auch bei US-Immobilien Vorsicht angebracht, da das veränderte Zinsszenario den Sektor belasten könnte.
Der US-Dollar lässt die anderen Währungen hinter sich
Die weitere Entwicklung des Euro ist unsicher, und rasche geldpolitische Lockerungen könnten ein Risiko darstellen. Unsere Long-Position im japanischen Yen haben wir verringert und die Währung als neutral eingestuft. Der vergangene Sommer hat gezeigt, dass es weiterhin sinnvoll ist, die Währung als Absicherung gegen plötzliche Marktverwerfungen zu halten. Bei Rohstoffwährungen wie dem kanadischen und australischen Dollar oder der norwegischen Krone ist Abwarten angesagt, obwohl beim australischen Dollar im letzten Sommer noch Gewinne erzielt werden konnten. Der US-Dollar erhält einen Schub und profitiert davon, dass die Märkte die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung durch die Fed nach den US-Wahlen neu bewertet haben.
Kommentar von Nadège Dufossé, Global Head of Multi-Asset bei Candriam